Deutsche Turn-Frauen verzücken Berlin

Berlin (dpa) · Die „Chefin“ war sprachlos, Elisabeth Seitz konnte vor Aufregung nicht mehr schlafen: Die neue deutsche Frauen-Power bei den Turn-Europameisterschaften hat nicht nur Berlin verzückt, sondern auch in der internationalen Turn-Szene für Aufsehen gesorgt.

Fünf Finalplätze und drei Medaillen waren eine Ausbeute, an die selbst Cheftrainerin Ulla Koch nicht einmal im Traum gedacht hatte. „Es fehlen mir die Worte. Das war sensationell“, meinte sie nach den großartigen Triumphen ihre Damen. Allen voran Elisabeth Seitz, die mit ausgekugeltem kleinen Finger im Mehrkampf ihre Chance optimal nutzte und mit Silber für die erste Medaille einer Deutschen seit der Berlinerin Maxi Gnauck im Jahr 1985 sorgte.

Dass der 17-Jährigen im Stufenbarrenfinale, in dem sie eigentlich als Medaillen-Kandidatin galt, der Sprung aufs Podest misslang, war nur ein Schönheitsfehler. „Ich wollte mich nach dem Mehrkampf zum Schlafen zwingen, aber ich konnte einfach nicht so ins Bett gehen wie an den Abenden zuvor“, gestand sie akute Schlafdefizite ein. Kim Bui, die so unglücklich die Qualifikation für Olympia in Peking verpasst und danach wegen eines Kreuzbandrisses von den Podien verschwunden war, sprang aber in die Lücke und holte Bronze am deutschen Lieblingsgerät. Und da auch die Turn-Oma Oksana Chusovitina nach Achilles- und Bizepssehnen-Operation wieder strahlend in die Weltspitze zurückkehrte, war das Glück der Deutschen vollkommen.

Zwar standen die Frauen auch in Berlin noch ein wenig im Schatten des überragenden Mehrkampf-Europameisters Philipp Boy, doch sie haben in der öffentlichen Wahrnehmung aufgeholt. „Von unseren Männern erwartet man ja schon fast Medaillen. Aber ich hatte mir vorgenommen, hier ein kleines Ausrufezeichen zu setzen. Nun habe ich ein ganz großes Ausrufezeichen gesetzt“, meinte Gymnasiastin Eli Seitz.

„Wir waren eigentlich nie so ganz weit weg von Europas Spitze, aber man hat uns immer so wenig zugetraut“, meinte Ulla Koch schmunzelnd zum unerwarteten Höhenflug. „Mich freut besonders, dass hier alle drei Mädchen mit einer Medaille nach Hause fahren. Das gibt uns Kraft für die WM. Berlin war supertoll - jetzt könnten wir hier auch gleich die WM ausrichten“, sagte sie unter Anspielung auf die ungeklärte Situation um den WM-Austragungsort Tokio nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima.

Mit ihren fantastischen Comebacks nährten auch Bui und Chusovitina sogar Hoffnungen, dass die deutsche Riege die Olympia-Qualifikation vielleicht doch schon im ersten Anlauf - dazu muss das Team bei der WM unter die Top 8 kommen - schaffen könnte. Zu großen Erwartungen Anlass gibt auch das 15-jährige Team-Küken Nadine Jarosch, das nur haarscharf die Final-Qualifikation für Boden und Mehrkampf verpasste und nun mit Blick auf die WM angreifen will. Zudem hat Ulla Koch noch einige starke Frauen in der Hinterhand. Eines ist sicher: Es wird einen harten Kampf um die WM-Tickets geben.

Oksana Chusovitina jedenfalls gab für ihre sechsten Olympischen Spiele schon mal eine Kampfansage heraus: „Ich weiß jetzt, dass ich auch mit 35 noch in der Lage bin, neue Sprünge einzustudieren. Bis London habe ich mir das fest vorgenommen.“ Welcher Sprung das sein wird, wollte die „Grand Dame“ aber noch nicht verraten. Kim Bui, die in Berlin nur am Barren zum Einsatz kam, legte viel Wert auf die Feststellung, dass sie schon längst wieder den kompletten Vierkampf vorbereite. „Das Publikum in Berlin war atemberaubend. Diese Medaille ist jetzt eine tolle Motivation, jetzt noch härter weiterzuarbeiten.“

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