Deutschland hofft auf London-Hype

London (dpa) · Friedhelm Julius Beucher drehte bei der gigantischen Schlussfeier im Olympiastadion von London seine ganz persönliche Jubelrunde. Mit der deutschen Fahne in der Hand winkte der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) ins Publikum und strahlte übers ganze Gesicht.

Für Beucher waren die Paralympics 2012 der Höhepunkt seiner Funktionärskarriere. Die Briten zeigten der Welt, wie Behindertensport funktionieren soll. Den Hype will Beucher mitnehmen. „Wir wollen die Flamme am Lodern halten“, verkündete er, „und ich habe jede Menge Streichhölzer in der Tasche“.

Um die Sportart in Deutschland voranzubringen, sind Verbesserungen nötig. Starke 66 Medaillen in London täuschen darüber nicht hinweg. „Wir jammern nicht, wir fordern ein“, betonte der Präsident.

Der erste Schritt in die Zukunft ist gelungen, die Spiele sind auch aus deutscher Sicht frischer, dynamischer, attraktiver geworden. Junge Sportler wie Weitsprung-Weltrekordler Markus Rehm und Tischtennis-Ass Thomas Schmidberger lassen auf Rio de Janeiro 2016 hoffen.

Die meisten deutschen Champions von Rehm über Sprinter Heinrich Popow bis Radsportler Tobias Graf und die goldenen Basketballerinnen sind noch im besten Sportleralter - und selbst die 59 Jahre alte Medaillensammlerin Marianne Buggenhagen verkündete bereits, sich den Brasilien-Trip in vier Jahren vorstellen zu können.

„Unser Durchschnittsalter in der Mannschaft lag wie in Peking bei 33 Jahren“, rechnete Chef de Mission Karl Quade vor, „aber 28 Athleten waren auch unter 23 Jahre alt.“ Die meisten haben ihre Bestleistung verbessert. In elf Sportarten gab es Medaillen. „Wir sind extrem breit aufgestellt“, meinte Quade. 2016 kommen zudem die Sportarten Triathlon und Kanu ins Programm. Vor allem letztere gilt als traditionelle deutsche Medaillenbank - siehe Olympische Spiele.

Die Weichen für die Zukunft seien gestellt, fand Quade, jetzt gehe es vor allem um intensivere Nachwuchsförderung und wissenschaftliche Begleitung. Der DBS kämpft noch um Mittel für eine Stiftungsprofessur mit dem Schwerpunkt Behindertensport an der Sporthochschule Köln.

Die Sichtung von Talenten wurde bisher noch dem Zufall überlassen. „Wir haben noch keine Breitensport-Grundlage, da müssen Konzepte und mehr Jugendarbeit her“, meinte Popow. Über seinen Teamkollegen Rehm erzählte der Leverkusener: „Der Markus ist in Düsseldorf auf einem Trampolin rumgesprungen, da hab ich ihn sofort ins Auto gepackt und mitgenommen.“

Die Sportler von Bayer Leverkusen, dem Vorreiterclub mit professionellen Behindertensport-Strukturen, gehen regelmäßig in Krankenhäuser und sprechen mit Unfallopfern. Auch über Facebook werben die beiden um Nachwuchs, nach eigenen Angaben mit Erfolg.

Nachholbedarf gibt es auch bei der Integration von Behinderten in Sportvereinen und im Alltag. „Bei uns werden ja im Kindergarten behinderte Kinder von nicht-behinderten Kindern getrennt, obwohl das überhaupt keinen Sinn macht“, sagte der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, am Montag im Deutschlandradio Kultur. Dadurch komme man auch in getrennte Welten, warnte Hüppe. Er würde sich wünschen, „dass sich Vereine mehr für Menschen mit Behinderung öffnen.“

Im Gegensatz zu anderen Mannschaften wie Großbritannien, USA und Kanada hatte Deutschland in London keinen einzigen Veteranen im Team. Während in diesen Ländern Kriegsverwundete seit jeher in großen Sportprogrammen aufgefangen werden, gibt es das in Deutschland noch nicht. Der DBS sucht den Kontakt zur Bundeswehr, um auch in diesem Bereich aufzuholen. Viel Arbeit bis Rio 2016.

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