Die kleine Blonde und das Eisen

Kasan (dpa) · Die Kleinste ist die Beste. Julia Rohde geht mit ihren 1,55 Metern im Kreis der größeren Mannschaftskolleginnen fast unter, doch sie ist derzeit das Maß aller Dinge im deutschen Frauen-Gewichtheben.

Zwei Bronzemedaillen holte sich die 21 Jahre alten Görlitzerin bei den Europameisterschaften im russischen Kasan am Dienstag ab: eine im olympischen Zweikampf, eine in der Teildisziplin Reißen. In Europas Elite ist die Sportsoldatin, die schon drei Jahre zuvor EM-Dritte war, angekommen.

„Sich auf der Bühne zu beweisen, die Lasten nach oben zu bringen und seine Grenzen auszuloten, ist ein schönes Gefühl“, beschreibt die Blondine den Antrieb, sich tagtäglich in den Kampf mit dem kalten Eisen zu stürzen, wenn sich andere ihres Alters in Diskotheken amüsieren.

Dabei wäre „Jule“, wie sie genannt wird, in jeder Disko ein Blickfang. Schon jetzt könnte die Frau mit dem feinen Antlitz perfekte Werbeträgerin für das deutsche Frauen-Gewichtheben sein. Die Stabsunteroffizierin der Bundeswehr, die zugleich eine Ausbildung als Kosmetikerin macht, ist sich dessen bewusst und genießt das.

Wer sie nicht kennt, staunt. „Du bist Gewichtheberin?“, heißt es dann entgeistert. Die Bilder von chinesischen Seriensiegerinnen haben beim Fragesteller Vorurteile geprägt. Rohde, frühere Turniertänzerin, die mit elf Jahren zu den Hanteln wechselte, kennt die Szene zur Genüge. „Die meisten stellen sich Gewichtheberinnen nur groß, schwer und muskelbepackt vor“, entgegnet sie und besteht darauf, dass der Sport auch fraulich sein kann.

Für hübsch allein gibt es aber keine Medaillen. In Kasan, der Millionenstadt an der Wolga, hat Rohde ein Lehrstück an Kampfeswillen geliefert. Eine Woche zuvor hatte sie mit Bundestrainer Thomas Faselt noch diskutiert, ob sie den EM-Start besser absagen sollte. Grund: Die Sächsin war vier Wochen zuvor von einer schwere Grippe niedergestreckt worden. Erst in den letzten beiden Wochen sei eine intensive Vorbereitung möglich gewesen, gesteht Faselt. „Ich habe alles gegeben“, beteuert Rohde, die unter Aufbietung aller Reserven 187 Kilo im Zweikampf bewältigte. „Mehr war nicht drin.“

Rohde ist die erste deutsche Heberin, die im Stoßen das Doppelte ihres Körpergewichtes in die Höhe gewuchtet hat. In London nächsten Jahres will sie den nächsten Superlativ: die erste deutsche Gewichtheberin mit zwei Olympia-Teilnahmen. In Peking war die Junioren-Europameisterin immerhin Siebte. „Julia hat sich den Respekt in Europa erarbeitet“, sagt Faselt. Jetzt kommt die Welt dran.

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