Heiße Wochen für Turn-Girls

Brüssel (dpa) · Der Sportdirektor suchte keine Ausflüchte. „Wir müssen einen Gang höher schalten“, meinte Wolfgang Willam, nachdem die deutschen Turnerinnen mit Platz acht in der Team-Konkurrenz der Europameisterschaften in Brüssel böse abgestürzt waren.

„Wir werden den Fokus jetzt intensiver auf London richten: Die ein oder andere hat das wohl noch nicht richtig verinnerlicht“, kritisierte der Sportdirektor des Deutschen Turnerbundes (DTB) und kündigte an: „Es wird stramme Ansprachen geben, und wir werden auch die Waage auspacken.“

Damit machte er indirekt deutlich, dass nicht alle deutschen Top-Turnerinnen ihr Idealgewicht mit zur EM gebracht hatten. Die Fehler, vor allem an Balken und Barren, dürften aber auch andere Ursachen haben. Da sich einige Athletinnen im Vorfeld mit gesundheitlichen Problemen gequält hatten, war der Trainingsrückstand unübersehbar. „Es gibt noch viel zu tun bis Olympia“, bestätigte Cheftrainerin Ulla Koch.

Sie war aber glücklich, dass die drei Turnerinnen in den Gerätefinals zum Abschluss schon wieder das bei der WM mit Platz sechs nachgewiesene Können abriefen. „Unsere Zielstellung bleibt das Finale in London.“ Seit Einführung der Team-Endkampfes war dies bei Olympia noch nie einer deutschen Frauen-Riege gelungen.

Die Zuversicht kommt bei Ulla Koch nicht von ungefähr. Zum einen fehlte mit Elisbeth Seitz in Brüssel die Leitfigur des neuen deutschen Frauen-Turnens wegen einer Rückenverspannung. Zum anderen bewies die „Mutter“ des Teams, Oksana Chusovitina, mit fast 37 Jahren alte Qualitäten und rettete mit Silber am Sprung auch den Ruf der Mannschaft.

„Im Team-Finale haben wir das, was wir uns bei der WM in Tokio erarbeitet haben, ein bisschen kaputt gemacht. Aber mit tollen Übungen in den Einzelfinals haben die drei gezeigt, dass sie etwas drauf haben“, fügte Ulla Koch hinzu, obwohl sie Kim Bui nach der knapp verpassten Bronzemedaille am Stufenbarren trösten musste.

Ein großer Trumpf des Teams ist das Zusammengehörigkeitsgefühl trotz harter Konkurrenz im Kampf um die Olympia-Tickets. Als Kim Bui (4.) und Lisa-Katharina Hill (6.) ihre Barren-Finals beendet hatten, wurden sie von den andern Mädchen in der Mixed-Zone schon sehnsüchtig erwartet und herzlich in die Arme geschlossen. Jede gönnt der anderen den Erfolg.

„Jetzt geht es erst richtig los, keine hat einen Freifahrtsschein nach London“, betonte Kim Bui, die vor vier Jahren noch traurige Ersatzturnerin in Peking war und sich nun zur echten Stütze des Teams gemausert hat. Einen kleinen Freifahrtsschein stellte die Cheftrainerin doch schon aus: „Oksana ist dabei, wenn sie fit ist. Die anderen müssen mich noch überzeugen, wir haben klare Kriterien.“

Da erstmals nur fünf Turnerinnen einer Olympia-Riege angehören, werden bei den deutschen Meisterschaften am 16./17. Juni in Düsseldorf und zwei Wochen später in Frankfurt/Main spannende Kämpfe zu erwarten sein. Die Chefin gab für die noch im Mai beginnenden Trainingslager zwei Devisen aus: „Zunächst müssen alle gesundheitlich topfit werden. Und dann liegt unser Fokus auf der Ausführung. Ziel ist es, alle Programme der WM mit perfekter Haltung durchzuturnen.“

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