Nachdenkliche Wyludda: 10 Jahre hat keiner gefragt

London (dpa) · 16 Jahre nach ihrem Olympiasieg steht Ilke Wyludda wieder im Rampenlicht. Bei ihrem Comeback nach Beinamputation schied sie mit dem Diskus früh aus, war aber nicht enttäuscht. Nur mit den Medien hat sie Probleme - jahrelang wollte keiner etwas von ihr wissen.

Unzugänglich sei sie, gar unfreundlich und mürrisch, hieß es vor dem Comeback von Ilke Wyludda in London. „Ilke ist sehr interessant für die Medien, viele erwarten gleich einen Sieg nach Atlanta 1996“, sagte Bundestrainer Bernd Mädler am späten Dienstagabend in den Katakomben des Olympiastadions bei den Paralympics. Die 43-Jährige aus Halle hatte gerade mit 29,57 Metern eine persönliche Bestleistung im Diskuswerfen aufgestellt, für das Finale reichte das bei starker internationaler Konkurrenz aber nicht.

„Der ganze Rummel war ein bisschen belastend“, gab Wyludda zu, „zehn Jahre wurde überhaupt nicht über mich berichtet. Es ist schon ernüchternd, wie schnell man aus den Köpfen der Medienleute heraus ist.“ Sie ist die erste Olympiasiegerin, die jemals bei Paralympics startete und wirkt nach ihrem ersten Auftritt erleichtert, fast glücklich. Aber auch sehr verletzlich. Es war schon ein persönlicher Erfolg für die starke Diskus-Frau der ehemaligen DDR, überhaupt in der britischen Hauptstadt dabei zu sein. Sie ist erst die siebte Athletin, die bei Olympia und Paralympics startet.

Starke gesundheitliche Probleme, eine Bakterieninfektion und die Beinamputation vor eineinhalb Jahren haben sie körperlich schwer belastet. Erst vor einem Jahr begann sie wieder mit Training. „Bei uns gehört sie noch zum Nachwuchs“, sagte Mädler mit einem Lächeln. Die Bewegungsabläufe aus dem Sitzen sind ganz neu zu erlernen. „Ilke kann nur den Arm ziehen, das ist sehr schwer“, betonte die ehemalige Speerwurf-Weltmeisterin und heutige Trainerin Steffi Nerius.

Und richtig viel trainieren konnte Wyludda auch nicht: Sie arbeitet im Schichtdienst im Krankenhaus als Anästhesistin. Erst in letzter Minute erfüllte sie überhaupt die Norm für ihre ersten Behindertenspiele. „Ilke hat ihre Probezeit als Ärztin nun hinter sich, das wird sie sehr motivieren“, erzählte Mädler.

Sogar die Eltern von Wyludda waren unter den 80 000 Zuschauern im Stadion und unterstrichen die Bedeutung des ersten großen Wettkampfes als Behinderte. „Die Engländer haben die Paralympics fast so aufgezogen wie Olympia und damit für Rio eine Marke gesetzt“, meinte sie: „Das ist einmalig, ich habe die Stimmung aufgesogen“.

Die Konkurrenz unter den Athleten sei zudem nicht so ausgeprägt wie bei Olympia. Im paralympischen Dorf wohnt sie mit den anderen Sportlerinnen im Apartment: „Das ist wie eine kleine Familie.“ Am Samstag steht noch ihre stärkere Disziplin, das Kugelstoßen, auf dem Zeitplan. Und dann? Rio de Janeiro 2016? „In vier Jahren kann so viel passieren, mal sehen, ob die Knochen halten. Wenn alles gut läuft, bin ich dabei“, sagte Wyludda, die Gefallen gefunden hat an der Rückkehr in die Welt des Leistungssports.

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