Athlet, Autor, kritischer Geist: Edwin Klein zum Thema Doping

Saarburg · Als Hammerwerfer hat der Konzer Edwin Klein 1972 und 1974 zwei deutsche Meisterschaften gewonnen. Bei Olympischen Spielen wurde er Siebter (1972) und Achter (1976). Mit dem bestehenden System des Anti-Doping-Kampfes geht er im Interview mit TV-Redakteur Mirko Blahak hart ins Gericht.

Nach seiner Karriere arbeitete Klein als Lehrer am Max-Planck-Gymnasium in Trier. Seit Jahrzehnten ist er als Schriftsteller erfolgreich (Thriller, Kinder- und Sachbücher). Der heute 65-Jährige lebt in Saarburg.

Herr Klein, wie sind Sportler und Funktionäre zu Ihrer Zeit als Aktiver mit Doping umgegangen?
Klein: Es war kein alltägliches Thema. Es gab keine Ansagen von Trainern oder Funktionären, bestimmte Substanzen zu nehmen. Aber es gab, besonders im Vorfeld der Olympischen Spiele, manchmal subtile Nachfragen. Ob man alles getan habe, um eine gute Leistung zu bringen - auch abseits des Trainings. Aber Doping war praktisch ein Unwort, es ist nicht ausgesprochen worden.
Wurde gedopt?
Klein: Es wurden auch Medikamente genommen, die damals auf keiner Dopingliste standen. Deshalb kann man den Sportlern jetzt nicht vorwerfen, sie hätten es versäumt, prognostische Fähigkeiten zu entwickeln, weil diese Substanzen inzwischen auf der Liste stehen. Wenn man aus heutiger Sicht Umstände vor 40 Jahren bewertet, kommt man zu ganz anderen Einschätzungen. Das gilt auch für andere Bereiche. Damals gab es keine Airbags oder eine Anschnallpflicht. Rauchen war in, Umweltschutz noch kein Thema. Niemand hat sich bei alldem etwas Schlechtes gedacht.
Uwe Beyer, Ihr früherer Vereinskollege beim USC Mainz und 1993 an einem Herzinfarkt gestorben, hatte 1981 jahrelanges Doping mit Anabolika gestanden. Haben Sie nichts mitbekommen?
Klein: Ich war nie dabei. Das geschah eher im Privaten. Wir haben nur allgemein über Doping gesprochen. Wenn zum Beispiel ein Artikel in der Zeitung stand über Fälle wie die des Boxers Jupp Elze, der 1968 an Dopingfolgen starb, oder des Radrennfahrers Tom Simpson, der während der Tour de France 1967 am Mont Ventoux ums Leben kam. Wir haben auch im Rahmen unseres Studiums über Doping gesprochen, weil es im Sport eine lange Geschichte hat. Der Marathongewinner der Olympischen Spiele 1904 zum Beispiel war mit Strychnin und Whiskey gedopt.
Wurden Ihnen Dopingmittel angedient?
Klein: Es wurde immer etwas angedient. Ich wurde auch einmal positiv getestet. Als ich einen grippalen Infekt hatte, verschrieb mir der damalige Dopingbeauftragte des Deutschen Leichtathletik-Verbands ein Medikament, durch dessen Einnahme ich danach während der deutschen Mannschaftsmeisterschaft in Bonn positiv getestet wurde. Ich bekam erstaunte Anrufe vom Verband: "Edwin, von Dir hätten wir das niemals gedacht..." Es stellte sich dann heraus, dass der Dopingbeauftragte mit dem Medikament einen Fehler gemacht hatte. Die Sache wurde daraufhin vertuscht. Hätte ich die Umstände nicht beweisen können, wäre ich der Dumme gewesen.
Hat der Dopingbeauftragte bewusst gehandelt?
Klein: Nein. Damals wussten die Experten oftmals gar nicht, was Doping ist. Es herrschte früher eher Schludrigkeit oder Unkenntnis.
Wie verführerisch war für Sie ein Griff zu Anabolika?
Klein: Sie sprechen den inzwischen verstorbenen Freiburger Sportmediziner Professor Joseph Keul an. Vor den Olympischen Spielen 1972 in München hatte er in meinen sportärztlichen Untersuchungsbericht geschrieben, dass gegen die Einnahme von Anabolika (20 bis 30 oder 40 Milligramm) nichts einzuwenden sei. Aus heutiger Sicht war das eine stillschweigende Aufforderung zum Dopen. Geschrieben wurde es aber 1972. Professor Keul hat damals ein Medikament empfohlen, das kein Doping war und auf keiner Verbotsliste stand.
Haben Sie zugegriffen?
Klein: Ich habe nie gegen die Dopingbestimmungen verstoßen.
Damals gab es Forschung mit Anabolika. Hat der Staat Dopingforschung bezahlt?
Klein: Nein, weil Anabolika bis 1974 nicht auf der Dopingliste standen. Es gab auch Ausschreibungen für Tests zum Bau von optimierten Ruderbooten oder Ruderblättern. Schwimmer ließen sich Luft in den Darm pumpen, um günstiger im Wasser zu liegen. Letzteres ist heute ein manipulierter Eingriff und damit Doping.
Wir reden über einen Bereich des Sports, in dem nur Spitzenleistungen zählen. In der Formel 1 wird versucht, die technischen Vorgaben auszureizen. Ähnlich versuchen Athleten in anderen Sportarten, sich an Grenzen des Erlaubten heranzutasten. Ich habe erlebt, dass viele Medikamente erst erlaubt waren - und später dann nicht mehr. Daraus im Nachhinein Doping zu konstruieren, ist mehr als abenteuerlich.
So wie Koffein, das im Jahr 2004 von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen wurde?
Klein: Richtig. Für mich war Koffein übrigens sehr wichtig. Ich konnte fünf, sechs Tassen starken Kaffee trinken, ohne den Grenzwert zu erreichen. Ich habe mir vor Wettkämpfen immer drei Tassen in eine Thermoskanne abgefüllt und vor sowie während des Wettkampfs getrunken.
Das war für mich die beste Form, mich auf einen Wettkampf vorzubereiten. Das heißt: Ich habe mir im Bewusstsein, dass Kaffee Doping ist, eine Menge zusammengestellt, die an den strafbaren Bereich herankommt, die Grenze aber nicht überschreitet. Aus heutiger Sicht ist das vielleicht als enorm verwerflich einzustufen. Damals hatte ich deswegen aber kein Unrechtsbewusstsein. Heute übrigens auch noch nicht.
Sie definieren Doping als Sportregelverletzung und nicht als Straftatbestand - außer, es geht um Medikamentenhandel oder die Weitergabe von Doping an Kinder. Nun werden im Zuge der westdeutschen Dopingstudie die Rufe nach einem Anti-Doping-Gesetz wieder lauter. Was halten Sie davon?
Klein: Doping ist immer noch eine Regelverletzung im Sport, mehr nicht. Mit einem Gesetz würde lediglich der Spitzensport einbezogen. Doping als solches ist aber nicht nur dort gefährlich. Statistisch gesehen ist jeder Bundesbürger nach den Bestimmungen des Sports im Schnitt 40-mal pro Jahr gedopt. Etwa jeder zehnte Besucher von Fitnessstudios nimmt bewusst und in höheren Dosierungen Anabolika und betreibt damit Medikamentenmissbrauch und Doping. Während der Recherchen zu meinem Buch "Rote Karte DFB" habe ich 1993 Fußballmannschaften in den unteren Klassen aufgesucht. Da wurde vor dem Spiel und in der Pause flaschenweise Hustensaft getrunken, in dem Ephedrin enthalten ist. Das waren Amateurkicker, die am Wochenende Spaß haben und ein bisschen Leistung bringen wollten. Sie hatten kein Unrechtsbewusstsein, obwohl sie gedopt haben.
Was halten Sie von der Nationalen Anti-Doping-Agentur? Ist sie effektiv oder ein zahnloser Tiger?
Klein: Sie ist eine Alibi-Institution, die beweisen soll: Wir tun alles, was machbar ist, um Doping zu bekämpfen. Grundsätzlich wäre die Situation, dass Doping unmöglich ist, die beste für die Sportler. Dann gäbe keine Unterstellungen, kein subtiles Hinterfragen von Leistungen. Diese Voraussetzung hätte man aus meiner Sicht Anfang der 1990er Jahre schaffen können, als für das Internationale Olympische Komitee eine Methode erstellt wurde, mittels Haaranalysen Dopingmittel rückwirkend für ein Jahr nachzuweisen - ähnlich dem Vorgehen des FBI. Das ist jedoch nicht weiter verfolgt worden.
Warum nicht?
Klein: Ein Erklärungsansatz könnte sein: Wenn Doping unmöglich gemacht wird, dann fehlt zumindest für eine lange Zeit die Aussicht auf neue Rekorde. Manche Sportarten, in denen in Sekunden, Zentimetern und Kilogramm gemessen wird, würden dadurch uninteressant. Es klingt vielleicht etwas hart: Aber Doping hilft auch manchen Funktionären und Sportarten, in aller Munde zu sein.
Andererseits sagen Sie: Von den verbotenen Wirkstoffen gebe es in mehr als 98 Prozent der Fälle überhaupt keinen Nachweis, ob tatsächlich eine Leistungssteigerung erfolgt. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Klein: Wenn man konkret untersuchen würde, welche Substanzen wie wirken, würde man ja Dopingforschung betreiben. Das will man nicht. Also werden Substanzen, von denen man einen Leistungsvorteil vermutet, ohne ihn jemals bewiesen zu haben, verboten. So kommt es, dass auch das Erkältungsmittel Wick Medinait und die meisten anderen Grippemedikamente Dopingmittel sind. Das kann der Normalbürger nicht verstehen. Für den Sportler kann sich folgende Situation ergeben: Er wird wegen der Einnahme eines verbotenen Medikaments bestraft, ohne dass eine Leistungssteigerung stattgefunden hat.
Letztlich geht es auch um Moral. Ist es redlich, wenn sich ein dopender Freizeitsportler über Vergehen von Spitzenathleten echauffiert?
Klein: Die Gesellschaft fordert vom Sport Dinge, die sie selbst nicht dulden würde. So sind die Regeln des Meldesystems für Spitzensportler nicht nur aus meiner, sondern auch aus juristischer Sicht Verletzungen des Persönlichkeitsrechts. Zu Dopingkontrollzwecken müssen sich Sportler lückenlos an- und abmelden sowie sensible Gesundheits- und Aufenthaltsdaten preisgeben. Welcher Bundesbürger würde das mitmachen? Die Art einer Dopingkontrolle, nackt vor wildfremden Kontrolleuren, verstößt gegen die Menschenwürde. Aber niemand regt sich auf. Blutkontrollen sind ein Eingriff, den der Sportler dulden muss. Wenn nicht, darf er nicht starten. blExtra

Höher, schneller, weiter: Der Spitzensport hat ein Imageproblem. Leistungen und Dopingkontrollen werden hinterfragt. Zu Recht? Können die Fans den Athleten noch trauen? Sorgen schwarze Schafe für eine ungerechte Sippenhaft? Sollte Doping freigegeben werden? Sagen Sie uns per E-Mail Ihre Meinung: echo@volksfreund.de

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