Bei minus 41 Grad auf den Spuren der Eisbären

Auw/Churchill · Laufen bei minus 41 Grad - wie fühlt sich das an? Sven Henkes aus Auw bei Prüm kann Antworten geben. Als einziger Deutscher hat er am Polar Bear Marathon im Norden Kanadas teilgenommen - und gewonnen.

 Unterwegs im kalten Norden Kanadas: Sven Henkes (gelbe Hose; kleines Foto) und Laufkumpel Phil. Fotos: Sven Henkes/Harold Cooper

Unterwegs im kalten Norden Kanadas: Sven Henkes (gelbe Hose; kleines Foto) und Laufkumpel Phil. Fotos: Sven Henkes/Harold Cooper

Auw/Churchill. Die Erinnerungen an den härtesten Lauf seines Lebens sind bei Sven Henkes noch frisch: "Auf den letzten Kilometer hätte ein Eisbär direkt vor mir stehen können, ich hätte ihn nicht bemerkt", sagt der 35-Jährige, "da war die Gesichtsmaske komplett steif gefroren. Und durch meine immer wieder zusammengefrorenen Augenlider konnte ich kaum mehr etwas sehen." Dennoch sei der einwöchige Sportausflug in den hohen Norden Kanadas unvergleichlich gewesen.Persönliche Bestzeit in Berlin


Die Idee für einen besonderen Lauf war Ende September nach dem Berlin-Marathon entstanden. "Da bin ich mit 2:58 Stunden eine persönliche Bestzeit gelaufen und habe mir vorgenommen, noch etwas Verrücktes zu machen." Internetrecherche. Den Marathon im Bergwerk verwarf der früher bei der Spielgemeinschaft Auw/Ormont/Hallschlag in der Bezirksliga aktive Fußballspieler ebenso wie einen Extremlauf in Kambodscha und den Start im Himalaya. "Ich bin auf diesen Benefizlauf zugunsten der Eingeborenen an der Hudson Bay gestoßen, das passte am besten zu mir." Die Ehefrau, die ihn nach dem Umzug von der Schneifel nach Berlin vor knapp zehn Jahren für den Laufsport begeisterte, hatte keine Einwände. Auch die fünfjährige Tochter nicht. Und so machte Sven Henkes den Startplatz klar, buchte die Flüge über Montreal und Winnipeg in das Städtchen Churchill, zu dem zwar keine Fernstraße führt. Deren Autofahrer aber oft ein Gewehr dabei haben, falls ein Eisbär auf üble Gedanken kommen sollte. Denn Churchill gilt als "Welthauptstadt" der weißen Riesen, die hier in jedem Jahr im Oktober und November in Richtung Hudson Bay unterwegs sind, um auf dem Eis Robben zu jagen.
"Bei minus 15 Grad bin ich in Berlin ja schon gelaufen. Da hatte ich drei Lagen an. Bei minus 40 Grad ziehe ich mir eben fünf Lagen über", lautete der Plan des Betriebswirts und Marketing-Experten - studiert hat er in Trier - für das Abenteuer im eisigen Norden. So lagen am Morgen des 19. November also mehr als 20 Ausrüstungsgegenstände bereit, als um 6 Uhr der Wecker einen besonderen Wettkampftag einläutete. "Schneller Kaffee, vier Scheiben Toast mit Marmelade. Check des Wetters. Minus 41 Grad im Wind. Hossa! Letzter Check der Sachen, anziehen und raus. Wow, das wird krass!"
Am Start stehen kurze Zeit später bei klirrender Kälte 14 vermummte Gestalten in der Morgendämmerung, die azurblauen Himmel verspricht. Die Stimmung unter den zwölf Kanadiern, dem Schweizer und dem Deutschen ist angespannt aber gut, als es in Dreierteams hinaus geht in die weiße Weite, begleitet jeweils von einem mit Proviant versehenen Fahrzeug. "Da lag auf jedem Beifahrersitz auch ein Gewehr. Das war schon witzig."
Rückenwind. Minus 26 Grad. Eine wunderbare Landschaft. Zeit, um sich gemeinsam mit dem Laufkollegen Phil nach Bären, Wölfen und anderen Tieren umzusehen. Eine Zeit von knapp unter vier Stunden im Blick. "Klar, es war super kalt und die Augenbrauen und Lider waren schnell vereist und eingefroren - aber es war absolut o.k." Das sollte sich allerdings am Wendepunkt nach 21,1 Kilometer ändern: "Wir mussten nun genau gegen den Wind laufen und spürten nun schlagartig die enorme Kälte." Der Grund: Durch den Wind sinkt die "gefühlte Temperatur" auf unter minus 40 Grad. "Das fühlt man direkt", erinnert sich Henkes. "Einzelne Bereiche des Körpers beginnen zu schmerzen, es läuft sich ungleich schwerer und der Körper braucht viel mehr Energie für den Wärmehaushalt."
Schon nach 500 Metern ist die Gesichtsmaske steif gefroren, macht den Blick zur Seite kaum mehr möglich. Die dem Wind ausgesetzten freien Hautstellen schmerzen zunehmend, insbesondere im Bereich der Augenbrauen. "Wir haben uns Kilometer um Kilometer vorangekämpft, jeden Hügel gespürt, den wir davor gar nicht wahrgenommen hatten." Immer wieder essen und trinken. Endlich kommt der Flughafen in Sicht. Noch knapp sieben Kilometer. Kein Gedanke an die Zeit. Vier Kilometer noch. Eine letzte Stärkung. "Da habe ich nochmal einen Kraftschub bekommen, Gas gegeben und bin schließlich als Erster über die Ziellinie gelaufen." Nach 4:14 Stunden. In die Pranken eines Eisbären. Zum Glück nur die der als Eisbär verkleideten Frau des Lauffreunds aus der Schweiz.Auftauen, warten, entspannen


Auftauen und Warten auf die anderen Teilnehmer bei Kakao, Kuchen und einem Bier, natürlich nicht im Freien. "Es war eine sehr krasse Erfahrung. Die zweite Hälfte war mein härtester und schwierigster Lauf bisher. Der Stolz und die Freude, das geschafft zu haben, hat aber alles überwogen", schwärmt der Mann aus der Schneifel auch drei Wochen nach dem eisigen Erlebnis.
Er wundere sich ein wenig über die vielen Anfragen von Medien, die ihn nun erreichen, plaudert er am Telefon. Auch Ausrüster hätten schon angefragt und Unterstützung angeboten. Für das nächste Abenteuer.
"Kanada hat schon ein wenig Appetit gemacht, noch etwas Verrücktes anzugehen", nach nun insgesamt 16 Marathons seit 2007. Was läge näher, nach dem kältesten Lauf der Welt den heißesten folgen zu lassen? Der Marathon des Sables in der marokkanischen Sahara führt an sieben Tagen über eine Gesamtstrecke von 230 Kilometern. 2015 will Sven Henkes das Extrem in der Wüste suchen, dann bei weit über +40 Grad. Das sind 80 Grad mehr als beim Polar Bear Marathon. Auf Eisbären wird er dabei nicht achten müssen.
Mehr Fotos gibt es im
TV-Laufportal unter
www.volksfreund.de/laufenExtra

Der Polar Bear Marathon gilt mit Lufttemperaturen unter minus 40 Grad als kältester Marathon der Welt. Der Benefizlauf in Churchill/Kanada fand in diesem Jahr zum zweiten Mal statt. Er unterstützt Sportprogramme für die Eingeborenen im Tadoule Lake Reservate. Die Strecke des Laufs kreuzt die Wege der Eisbären, die in jedem Oktober und November in die Hudson Bay ziehen, um über das Eis zu den Lebensräumen der Robben zu gelangen und zu jagen. Initiator des Marathons ist Albert Martens aus Steinbach bei Winnipeg gemeinsam mit der christlichen Organisation Athletes in Action. r.n.

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