Berühmt, aber plötzlich!

Rio de Janeiro · Sie kommen aus Syrien, dem Südsudan oder Äthiopien: die Sportler des ersten Olympia-Flüchtlingtsteams. Die Gruppe soll Botschafter und Stimme von Millionen Flüchtlingen sein. Eine ziemlich große Bürde für die jungen Athleten.

Berühmt, aber plötzlich!
Foto: (g_sport

Rio de Janeiro. Vermutlich muss das Podium grün sein. Grün, die Farbe der Hoffnung. 15 Meter breit ist die Bühne, auf der sich im Konferenzraum Samba des olympischen Medienzentrums in Barra zehn Athleten etwas schüchtern platziert haben. Es sind die Mitglieder des ersten Flüchtlingsteams in der Geschichte Olympischer Spiele, das das Internationale Olympische Komitee (IOC) in Rio an den Start schickt.
Das Team soll ein Symbol, die Sportler Botschafter und Stimme von Millionen Flüchtlingen in der ganzen Welt sein. Allein, die Pressekonferenz von Barra zeigt: Die Symbolik ist längst derart groß geworden, dass die schmalen Sportlerschultern aus Syrien, dem Südsudan oder Äthiopien von ihr bisweilen überfrachtet wirken. Yusra Mardini (18) sitzt in der Mitte des Podiums. Ihr Blick ist ein bisschen müde, müde vom Wissen, welche Fragen gleich kommen werden. Müde davon, diese Fragen schon so oft beantwortet zu haben.
Yusra ist vor rund einem Jahr aus Syrien geflohen. Ihr Sport ist das Schwimmen, und in der Ägäis schwammen Yusra und ihre ältere Schwester Sarah um ihr Leben, nachdem ihr Boot vor der griechischen Küste gesunken war. Inzwischen lebt und trainiert sie in Berlin und wäre der Star im Flüchtlingsteam, wenn ein Flüchtlingsteam einen Star hätte. Ihr Trainer bei den Wasserfreunden Spandau 04 Berlin, Sven Spannekrebs, hat neulich mal die Zahl der Interviewanfragen für Yusra in den vergangenen Monaten auf "bestimmt 1000" geschätzt. Und auch an diesem Nachmittag auf dem Podium von Rio gelten fast alle Fragen der Weltpresse ihr. Welche Botschaft wolle sie am Freitag von der Eröffnungsfeier im Maracana nach Damaskus senden, wird sie gefragt. "Vergesst eure Träume nicht", antwortet sie in fließendem Englisch. Was denn die Führer der Welt denken sollen, wenn sie ins Stadion einläuft, wird Yusra gefragt. "Sie sollen an die 60 Millionen Flüchtlinge in aller Welt denken", sagt sie.
In sieben Sprachen werden die Botschaften vom Podium übersetzt. Neben Yusra sitzt ihr Landsmann Rami Anis (25), auch ein Schwimmer, dazu noch zwei Judoka und sechs Leichtathleten. Sie alle bedanken sich artig für jede Frage, aber sie alle wirken auch erschöpft. Wie inzwischen zu oft Rumgereichte, zu oft zum guten Zweck inszenierte Symbole. Unbestritten wichtige Symbole für Leid, Hoffnung, Miteinander, Krieg, Flucht und Menschlichkeit - aber eben auch ganz schön viel Bedeutung für zehn Menschen, die nun das sein wollen, was alle anderen Teilnehmer auch sein dürfen: Sportler.
Doch dass Rami Anis die Bahnen im Schwimmstadion von Barra sehr gut findet und hofft, diesmal von Superstar Michael Phelps ein Autogramm zu bekommen, nachdem der US-Amerikaner ihm bei der WM 2009 keins gegeben hatte, das geht unter dem Strich nur als Randnotiz des Medientermins durch angesichts der größere Aufgabe, die das Flüchtlingsteam eben hat. Und diese größere Aufgabe besteht in den Augen vieler Beobachter längst auch darin, einem durch sein fragwürdiges Vorgehen gegen staatlich organisiertes Doping in Russland in der Kritik stehenden IOC dringend benötigte gute, herzerwärmende Nachrichten zu verschaffen, die sich über die morgen beginnenden Spiele legen.
Und Nachrichten über das Flüchtlingsteam und seine Friedensbotschaft an die Welt versenden sich gut. Während das Internationale Olympische Komitee um Präsident Thomas Bach nebenan in Copacabana seine Session abhält, lächelt Yusra Mardini rund 30 Kilometer weiter westlich mit ihren Teamkollegen in die Kameras zahlreicher Fotografen. "Wir sprechen in unserer Mannschaft zwar nicht dieselbe Sprache, aber wir sind gute Freunde", sagt sie. Und sie lächelt über das grüne Podium hinweg. Es ist ein Bild voller Symbolik. Voller Hoffnung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort