Dem Verbrechen die Rote Karte zeigen

Wittlich · In der Justizvollzugsanstalt und der Jugendstrafanstalt in Wittlich können sich Strafgefangene zum Fußball-Schiri ausbilden lassen. Der Volksfreund hat einen von ihnen besucht. Alexander K. hofft auf einen Neuanfang ohne Kriminalität mit Hilfe des Sports.

Wittlich. Es ist Nachmittag, ziemlich genau 15 Uhr. Alexander sitzt etwas angespannt auf der Bank in der Sporthalle. Oder vielleicht ist er auch nur hochkonzentriert. Er hat sich gerade die schwarze Sporthose, das grau-schwarze Trikot und die schwarzen Stutzen angezogen. Die Einheits-Sportschuhe folgen. Der 25-Jährige wird gleich sein erstes Fußballspiel als Schiedsrichter leiten - und zwar im Gefängnis.
Alexander K. - seinen vollen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen - ist jetzt also Regelhüter. Und das, obwohl er wegen des Brechens von Regeln hinter Gittern sitzt. Insegsamt hat er ganze acht Jahre und drei Monate Freiheitsstrafe zu verbüßen. Und das keinesfalls wegen Lapalien: Versuchter Totschlag und schwere Körperverletzung - das war der Tatbestand, für den Alexander 2008 im Alter von 19 Jahren noch nach Jugendstrafrecht verurteilt worden war. "Das war schon nicht so ohne", sagt der eher Zurückhaltende mit etwas betrübtem Blick, in Erinnerung an damals. Über seine Tat direkt spricht er nicht, aber hier im Knast wissen alle, was 2008 im Wittlicher Umland vorgefallen war. Der Fall machte Schlagzeilen, sein Opfer überlebte Alexanders Attacke schwerstverletzt, konnte nur in einer Not-Operation gerettet werden und muss seitdem sein ganzes Leben mit den schweren Folgen von zahlreichen fast tödlichen Messerstichen leben.
Früh auf die schiefe Bahn geraten


Alexander ist also ein Verbrecher, der schon früh auf die schiefe Bahn geraten war, wie er selbst sagt. Heute, so scheint es, bereut er seine Tat sehr. Er will etwas aus sich machen. Ordentlich rasiert und mit zurückhaltend gestylten Haaren möchte er seine Ambitionen auf ein vernünftiges Leben in Freiheit unterstreichen. So lange Zeit im Gefängnis zu sitzen, macht ihm offenbar mehr aus als zum Beispiel dem 50-jährigen Mitgefangenen aus der Koblenzer Gegend, der abwinkend erzählt, dass er schon mehrere Male hier drin war.
Alexander K. hat hier in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Wittlich nun die Chance bekommen, einen offiziellen Schiedsrichter-Anwärter-Lehrgang des Fußball-Verbands Rheinland mitzumachen. "Ich habe früher selbst Fußball gespielt", sagt er. Der Sport begeistere ihn noch immer. Auch hier drin. Insgesamt 18 Strafgefangene der JVA und der benachbarten Jugendstrafanstalt (JSA) sind bei dem Projekt dabei. Und auch zwei Bedienstete der Anstalten saßen an drei Samstagen in den Reihen der Häftlinge und ließen sich vom Schiedsrichter-Lehrwart des Fußball-Spielkreises Mosel, Mario Saxler, in Fußballregeln unterrichten. Am Ende des Lehrgangs stand die theoretische Prüfung. Und Alexander K. war einer von 13 Teilnehmern, die die Klausur auf Anhieb bestanden.
Als Alexander sich nun auf sein erstes Spiel als Schiri vorbereitet und den roten Gefängnis-Jogginganzug gegen das Schiri-Outfit tauscht, sind gerade etwa drei Stunden seit der Prüfung vergangen. Und erst eine gute halbe Stunde ist es her, dass er sein Zertifikat erhalten hat. Bei der Verleihung durfte er auch den früheren Fifa-Schiedsrichter Herbert Fandel treffen - heute sowas wie ein Idol für Alexander.
Das eigens angesetzte Spiel in der Sporthalle der JVA und JSA zwischen zwei Teams von Mitgefangenen ist dann eher unspektakulär. In zweimal fünf Minuten pfeift Alexander ein einziges Foul, hat aber alles - inklusive Uhr - genau im Blick.
Alexander K. wird wohl Ende 2014 aus der Haft entlassen. Danach will er aktiv im Fußball pfeifen. "Wenn ich vielleicht in einen Verein gehen kann", sagt er, "dann lerne ich da vielleicht neue Leute kennen und komme in ein neues Umfeld. Wenn ich mich gut anstelle, kann mir vielleicht auch jemand zu einer Arbeit verhelfen." Das sind viele Vielleichts.
Aber das Ziel, das Alexander heute schon vor Augen hat, ist genau der Grund, warum Rainer Schuler das Projekt in die Anstalt geholt hat. Schuler ist Personalleiter der JVA, sein Sohn - selbst Schiedsrichter - hatte die Idee an den Vater herangetragen.
Die Liebe zum Fußball



Rainer Schuler hatte sowieso gute Kontakte zum Fußball - Verbands-Vizepräsident Alois Stroh ist ein Schulfreund und der Sohn ist ja als Schiri selbst bestens vernetzt. Zusammen mit dem Sportbeamten der JVA, Manuel Hubo - selbst aktiver Fußballer -, und den Kollegen aus der JSA wurde das Projekt dann umgesetzt.

"Über die Liebe zum Fußball bekommen wir die Gefangenen dazu, freiwillig etwas zu lernen", führt Rainer Schuler als Punkt an. Als Schiedrichter müssten die Gefangenen zudem Entscheidungen treffen, Situationen bewerten, sagt Schuler. "Der Schiedsrichter muss sich auch selbst an die Regeln halten. Er kann schließlich nicht über jemanden richten, wenn er selbst die Regeln nicht befolgt." Und bei allen Anfeindungen, die der Schiedsrichter auf dem Platz oder von Zuschauern zu spüren bekomme "muss er auch cool bleiben. Man entwickelt Persönlichkeit und Durchsetzungsvermögen", sagt Schuler. Und noch etwas ganz wichtiges, wie Alexander K. sagt: "Man erlangt mit der Zeit bestimmt auch eine sehr gute Menschenkenntnis."
Alexander ist guter Dinge. Nach seiner Haftstrafe will er in der Region bleiben - er stammt von hier. Er möchte erst mal zu seiner Schwester ziehen und "versuchen, neu anzufangen" - auch als Schiedsrichter. Bis dahin wird er in der Anstalt das eine oder andere Fußballspiel leiten dürfen, wie auch die anderen neuen Schiedsrichter mit Zertifikat. Alexander sieht aber schon seinem ersten "richtigen Spiel, draußen" entgegen. "Da werde ich bestimmt mit weichen Knien auf dem Platz stehen" - wenn er bis dahin am Ball bleibt. Jetzt aber ist erst einmal wieder Knast-Alltag für den Schiri hinter Gittern. Das Trikot muss wieder gegen den roten Jogginganzug getauscht werden. Mindestens noch bis Ende 2014.

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