Der Mann, den sie den schwarzen Panther nannten

Er war der Torhüter der ungarischen Fußballnationalmannschaft, die 1954 das WM-Endspiel in Bern gegen Deutschland mit 2:3 verlor. Jetzt ist Gyula Grosics, von seinen Fans der "schwarze Panther" genannt, im Alter von 88 Jahren gestorben. Eine Erinnerung seines Weggefährten Ferry Seidl, gebürtiger Ungar und lange Jahre Theatersänger in Trier.

1954 lag in Ungarn alles "am Boden". All diejenigen, die bürgerliche Demokratie wollten, waren mundtot gemacht worden. Sie landeten in den Kerkern, waren in den Westen geflüchtet oder waren hingerichtet worden. Alle Betriebe und die Häuser der Menschen waren konfisziert, die Wirtschaft - vernichtet.
Nach dem kommunistischen Umsturz 1948 waren alle Fußballtalente in "Honvéd Budapest", die Heeresmannschaft, beordert worden. Auch er, Gyula Grosics. Sie wurden dann das Gerüst der ungarischen nationalen Wunderelf, die von 1950 bis 1954 die ganze Welt in die Knie zwang.
Nur diese Fußballmannschaft existierte. Sie gab den Menschen Hoffnung. 1952 waren sie in Helsinki Olympiasieger geworden, seitdem nannte man sie "die goldene Mannschaft". 1953 im November schlugen sie England zum ersten Male in der Geschichte des Fußballs im Wembley-Stadion 6:3. Wie die WM 1954 gelaufen ist, weiß alle Welt. Nachdem die "goldene Mannschaft" in der Vorrunde Deutschland mit 8:3 besiegt, Brasilien und den amtierenden Weltmeister Uruguay im Viertel- bzw. Halbfinale ausgeschaltet hatte, trafen die Ungarn und die Deutschen im Endspiel abermals aufeinander. Deutschland siegte 3:2; die Puskás-Elf musste sich nach vier Jahren ohne Niederlage geschlagen geben.
Im Frühherbst 1954 spielte Honvéd Budapest in Dorog, gegen diese Provinz-Bergmanns-Mannschaft. Da stammte der berühmte Gyula Grosics her.Zu Fuß zum Idol


Ich ging damals etwa neun Kilometer zu Fuß aus Esztergom, wo ich bei den Franziskanern in deren katholischem Internat kleiner Gymnasiast war, zu diesem Spiel nach Dorog. Man spürte die Niedergeschlagenheit, die sich nach der verlorenen WM auf das Gemüt der Menschen geschlagen hatte. Bei den Aufwärm-Übungen starrten die Doroger "ihren" Grosics fassungslos an. Er war eine lebende Legende.
Ich lernte ihn persönlich 1971 in Kaposvár, wo ich am Stadttheater als Tenor engagiert war, kennen. Es spielten die beiden Altherren-Mannschaften: Die Kaposvárer und die "goldene Mannschaft" gegeneinander. Es waren aber nur drei von den Legenden dabei: Budai, der Rechtsaußen, Buzánszki, der Rechtsverteidiger und eben Gyula Grosics. Denn Puskás, Czibor und Kocsis spielten in Spanien bei Barcelona und Real Madrid, Hidegkuti war Trainer in Ägypten. Die anderen wollten oder konnten nicht mehr spielen. Da sah ich, welch ein Star Grosics in Ungarn immer noch war. In der zweiten Halbzeit stellten sie ihn auf Rechtsaußen, und wenn er den Ball bekam und in Richtung gegnerisches Tor marschierte, schrien die Leute wie verrückt. Es gelang ihm zwar kein Tor, aber alles schwärmte für ihn. Am nächsten Tag gaben wir ein buntes Programm für sie.
Es vergingen mehr als zwei Jahrzehnte, ich war über Wien und andere Stationen als Tenor nach Trier ans Theater engagiert worden. Eines Tages, im Jahr 1993, kam Matthias Weber, der Altbürgermeister von Mehring, damals Vizepräsident hinter Theo Zwanziger im Fußballverband Rheinland, zu mir und sagte: "Fünf der noch lebenden Spieler der ungarischen Wunderelf kommen zu Besuch an die Mosel. Sei bitte unser Dolmetscher."
Auf dem Frankfurter Flughafen warteten wir auf die Altstars. Auf einmal schob ein ungemein dicker Mann seinen Gepäckwagen vor sich her, ich guckte ... es war Puskás. Dahinter die anderen: Hidegkuti, Buzánszki, Czibor und ... Grosics. In der DFB-Zentrale trafen wir auf Fritz Walter. Das hätte man sehen sollen, wie sie sich in die Arme flogen. Wie die besten Brüder! Aus den Gegnern von \'54 waren längst dicke Freunde geworden.
Wir fuhren mit einem "Showbus" Richtung Mosel. In Mehring verbrachten wir bei besten Moselweinen den Abend. Puskás, der mit Real Madrid viermal Europameister geworden war, und Czibor, der "verrückte Linksaußen", der Jahre bei Barcelona gespielt hatte, waren erst nach der Wende ein Jahr davor aus Spanien nach 36-jährigem Exil nach Ungarn heimgekehrt.
Ich erzählte "Gyuszi", wie wir Grosics genannt hatten, dass auch ich Torwart war: Zweimal war meine Klassenmannschaft Internatsmeister geworden. Er zeigte sich interessiert, was mich genauso tief beeindruckte wie die Tatsache, dass ihn, nachdem er 1956 nach dem Aufstand ins Ausland gehen wollte, die Kommunisten in die Provinz verbannten, wo er 1962 seine Karriere bei Tatabánya beenden musste.
Er war in Mehring und tags darauf in Trier an meiner Theaterlaufbahn interessiert, kein bisschen arrogant. Als sie ihren Bus bestiegen, um zum Ball des Fußballverbandes zu fahren, fühlte ich: Es ist ein Abschied für immer. Nun starb er, am 13. Juni, 88-jährig, in Budapest. Und ich trage diesen warmherzigen Menschen bis an mein Lebensende in meinen Erinnerungen, in meinem Herzen. Ferry Seidl

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