Des einen Freud’, ist des anderen Silber

Rio de Janeiro · Natürlich hätten die deutschen Fußball-Herren gern Gold geholt - aber für die Brasilianer wäre eine erneute Niederlage im Maracanã ein Desaster gewesen. Der letzte Elfmeter im Spiel veränderte alles für die Gastgeber.

Rio de Janeiro. Als Superstar Neymar den entscheidenden Elfmeter verwandelt hatte, da waren die Brasilianer endlich wieder zu Hause in ihrem Maracanã. Hier, wo sie vor zwei Jahren nach dem bitteren 1:7 im Halbfinale hatten zuschauen müssen, wie Deutschland Weltmeister wurde. Hier, wo tags zuvor die brasilianischen Frauen völlig überraschend nicht um die erwartete olympische Goldmedaille gespielt hatten. Hier war Brasilien nach Neymars Treffer nun also der regelrecht erflehte Olympiasieger geworden.
Hier hatte Brasilien sich letztlich mit sich selbst versöhnt. Und mit diesen Olympischen Spielen. Und mit Deutschland irgendwie auch. "Ich glaube, dass dieser Sieg für Brasilien bei der Frage, ob diese Olympischen Spiele ein Erfolg waren, eine ganz große Bedeutung hat", sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel. Als allzu gewagt ging diese These zwar nicht durch, dafür reichte schließlich ein Blick ins Stadion an diesem Abend. Aber dieser 6:5-Sieg nach Elfmeterschießen gegen den DFB-Nachwuchs, er war für das ganze Gastgeberland die pure Erlösung. Ein Scheitern ihrer Seleção bei den Spielen im eigenen Land zwei Jahren nach dem Scheitern ihrer Seleção bei der WM im eigenen Land - das wäre für die Fußballseele unterm Zuckerhut dann doch kaum zu ertragen gewesen. Bis es allerdings so weit war, bis sich ekstatischer Jubel in Reinform bei den 70 000 im Stadion Bahn brach, hatten sie lange bibbern müssen, denn Horst Hrubeschs Mannschaft war ein ebenbürtiger Gegner. "Ob der Sieg verdient war, soll jeder selbst beurteilen. Aber der Fußball hat heute Abend in jedem Fall gewonnen", sagte Hrubesch an seinem letzten Arbeitstag als Trainer. Bei aller Enttäuschung über den Last-Minute-K.o. vom Elfmeterpunkt (Freiburgs Nils Petersen verschoss als Einziger) überwog im deutschen Lager ohnehin relativ schnell die Zufriedenheit über ein Turnier, an das die Öffentlichkeit in der Heimat im Vorfeld null Erwartungen hatte. Dafür war dieser Kader in der Wahrnehmung zu offensichtlich eine von den Vereinen fast erbettelte B-Auswahl. Doch genau diese B-Auswahl schweißte Hrubesch in Rekordzeit zu einer Einheit zusammen, die es letztlich verdient bis ins Finale nach Rio schaffte.
Das sah auch DFB-Sportdirektor Hansi Flick so: "Die Mannschaft hat im Turnier eine sensationelle Leistung abgerufen. Das ist, glaube ich, in Deutschland auch so angekommen. Wir sind jedenfalls froh und glücklich, die Mission hier mit Silber abgeschlossen zu haben", sagte er. Wie Flick und Grindel ("Der Trainer verfügt übe eine unglaublich hohe soziale Kompetenz") so sparten auch die Spieler selbst nicht mit Lob für Hrubesch und die Art der Mannschaftsführung des 65-Jährigen.
"Wir haben uns alle bei ihm immer sehr wohl gefühlt", sagte Kapitän Max Meyer (Schalke 04), der im Finale Brasiliens Führung durch Neymars Freistoßtor ausgeglichen hatte. Unglücksrabe Petersen ergänzte: "Wir hätten dem Trainer heute unglaublich gerne Gold geschenkt. Schade, dass das nicht geklappt hat." Leverkusens Youngster Julian Brandt fasste die Finalniederlage letztlich vielleicht am passendsten zusammen: "Besser kann man nicht verlieren", sagte er, gerade auch mit Blick auf drei Lattentreffer seines Teams in der ersten Halbzeit.
Die Zuschauer im Maracanã honorierten die Leistung der Deutschen und deren von Hrubesch angeführte Dankesrunde ans Publikum jedenfalls mit tosendem Applaus. Mit dem Olympiasieg gönnt es sich eben leichter. Auch ohne diesen Olympiasieg war den DFB-Junioren hier in Brasilien Historisches gelungen: Erstmals erreichte eine deutsche Auswahl das Finale. Und das ja nicht nur einmal, sondern gleich doppelt. Die Frauen hatten tags zuvor schließlich an selber Stelle ebenfalls ihr Endspiel gegen Schweden bestritten - und am Ende durch ein Traumtor von Dzsenifer Marozsán sowie ein Eigentor 2:1 gewonnen. Mittendrin war dabei die Triererin Josephine Henning, die in der Jugend bei Zewen/Igel und Schweich/Issel aktiv war.
Auch hier gab es mit Silvia Neid eine scheidende Trainerin, auch hier hatte DFB-Präsident Grindel hinterher viel Lob zu verteilen. "Das ist ein historisches Ereignis, der größte Erfolg im Frauenfußball, und ein krönender Abschluss für die Frau, die den deutschen Frauenfußball vielleicht am meisten geprägt hat", sagte er. Neid selbst war "einfach überglücklich". Und über Marozsán sagte die 52-Jährige: "Sie ist die technisch beste Spielerin, die ich kenne. Sie wird immer besser, sie ist sogar besser, als ich damals war. Jetzt ist sie 24, in vier Jahren ist sie die Granate schlechthin."
Schweden hatte zuvor die Gastgeberinnen im Halbfinale geschlagen und diese somit vom Maracanã ausgeschlossen. Dabei hatten die Brasilianer auch den Olympiasieg von Volksheldin Marta und Co. fest eingeplant. So war der Druck auf Brasiliens Männer tags drauf noch mal ein Stückchen größer geworden. Doch mit Neymars entscheidendem Elfmetertor waren eben alle versöhnt.
Selbst Pelé. "Gott möge mein Land und unsere Mannschaft segnen", twitterte er. Und Grindel formulierte am Ende als Unterlegener einfach den Trost, der wohl am besten wirkte in der Heimat: "Weltmeister sind wir ja immer noch."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort