Es riecht nach Wachablösung

Rio de Janeiro · In Rio will Timo Boll seine dritte Olympia-Medaille holen. Nun muss der deutsche Fahnenträger nach dem frühen Aus im Tischtennis-Einzel aber auch um den Erfolg mit dem Team bangen. Nach der Halbfinal-Niederlage gegen Japan hadert Boll auch mit seiner Leistung. Heute geht es gegen Südkorea um Bronze.

Rio de Janeiro. Manche Niederlagen bei Olympia werfen eine Mannschaft nur aus dem Turnier. Das allein ist ja schon bitter. Aber manche Niederlagen bewirken auch mehr, sie hinterlassen bei den Geschlagenen ein Echo, das über den Spielausgang hinaus nachklingt. Und so betreten, wie Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und Bastian Steger nach ihrem Halbfinal-K.o. gegen Japan aus der Kongresshalle Riocentro 2 in Rio herausschlichen, hatte dieses 1:3 für sie mehr Aussagekraft als nur das Verpassen des olympischen Tischtennis-Finales. Die deutsche Mannschaft hatte an diesem Nachmittag eine böse Vorahnung von der Platte mitgenommen. Die, dass die Japaner ihnen auf Dauer den Rang ablaufen werden als Anführer des Rests der Welt hinter China. "Sonst haben wir, wenn wir komplett waren, immer erst gegen China die Segel gestrichen", sagte Timo Boll und lächelt ein bisschen gequält, so als wollte seine Mimik die Erkenntnis noch nicht wahrhaben, die sein Verstand längst verarbeitet hatte.
Es war die Erkenntnis aus einem Halbfinale, in das die Deutschen dank Ovtcharovs Auftaktsieg verheißungsvoll gestartet waren, in dem sie danach aber im Prinzip ziemlich chancenlos waren. Boll selbst verlor sein Einzel gegen Jun Mizutani, den Bronzemedaillengewinner im Einzel und Nummer fünf der Welt. Zusammen mit Steger hatte Boll dann auch im Doppel das Nachsehen - zum dritten Mal im dritten Spiel von Rio. Stegers Niederlage gegen Mizutani war dann am Ende erwartbar. "Japan ist eine extrem gute Mannschaft geworden. Sie waren schon immer gut, aber jetzt kommen unheimlich viele Spieler auf einem ähnlichen Niveau nach. Da müssen wir schon aufpassen, dass sie uns nicht total davonziehen", meinte Boll, und vom strahlenden Grinsen des deutschen Fahnenträgers von Borussia Düsseldorf war in diesem Moment nicht mehr viel übrig.
Wie auch, denn das Szenario, was sich in den Köpfen der deutschen Mannschaft abzeichnete, war ja auch reichlich düster. Wo Boll selbst und Steger mit jeweils 35 Jahren zur älteren Garde an der Platte zählen, räumen die Japaner vier Jahre vor ihren Heim-Spielen in Tokio die Weltrangliste mit jungen Talenten auf. Neben Mizutani (27) bildeten gegen Deutschland diesmal Maharu Yoshimura (23) und Koki Niwa (21) das Team. "Wenn man sich den Altersdurchschnitt der japanischen Mannschaft anguckt und dann schaut, wen sie noch hinten dran haben, dann bin ich überzeugt, dass sie drauflegen werden. Sie haben einen 13-Jährigen, der unter den Top 50 der Welt ist", sagte Ovtcharov. Er selbst ist auch erst 27, aber was kommt in Deutschland von unten nach? Jedenfalls keine Qualität japanischer Couleur, da machen sich die Beteiligten keine Illusionen. Für das Turnier in Rio waren die Deutschen noch mal an Nummer zwei gesetzt. Hinter China. Und es war eben China, das die Deutschen 2008 im Finale von Peking geschlagen hatte, und es war China, das die Deutschen im Halbfinale von London 2012 geschlagen hatte. Aber alle anderen asiatischen Teams, Hongkong, Singapur, Taiwan oder Südkorea, die bekamen Boll und Co. in den vergangenen Jahren meist noch irgendwie in den Griff. Das galt auch für Japan, aber die Wahrscheinlichkeit ist nach diesen Spielen am Zuckerhut groß, dass es in Zukunft nicht mehr so sein wird.
Da half es auch nicht, dass Bundestrainer Jörg Roßkopf an diesem Abend noch mal klarstellte: "Wir sind die stärkste europäische Nation, und wir standen im Halbfinale." Doch drohende Wachablösung hin oder her, das deutsche Trio will seine Müdigkeit und Enttäuschung zumindest mal bis heute Morgen abgestreift haben. Denn um 11 Uhr Ortszeit (16 Uhr deutscher Zeit) steht schließlich das Spiel um Bronze gegen die Südkoreaner an. Und das soll unter allen Umständen gewonnen werden. Es muss gewonnen werden, will das deutsche Herrentennis nicht ausgerechnet ein Jahr vor der Einzel-WM in Düsseldorf Olympia mit einem ausgewachsenen Kater, weil gänzlich ohne Edelmetall verlassen. "Erfahrung wird in diesem Spiel eine große Rolle spielen", hofft Roßkopf, während Ovtcharov mahnt: "Darauf haben wir auch gegen Japan spekuliert. Ich glaube, wir können uns nicht nur auf unsere Erfahrung verlassen."
Helfen würde vor allem, wenn Boll/Steger endlich ihr Doppel mal gewinnen könnten. "Bei dem System hier wird es ohne Sieg im Doppel extrem schwer", sagte Ovtscharov. Für Boll ist es im Zweifelsfall ein ganz besondere Partie, weil womöglich sein letzter Auftritt bei Olympia. "Ob es jetzt mein letzter Einsatz ist oder nicht, wir wollen hier unbedingt die Medaille. Wir müssen jetzt versuchen, positiv zu bleiben", sagte Boll, der mit seiner eigenen Leistung haderte ("Das wurmt mich ungemein"). Wer ihm an diesem Abend ins Gesicht schaute, durfte indes vermuten, dass genau das keine leichte Aufgabe werden würde.

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