Frankreichs Sehnsucht trägt einen Namen

Utrecht · Er ist das Gesicht dieser Tour. Aber für viele seiner Landsleute ist er weit mehr: Er verkörpert ihre Sehnsucht nach einem wie ihm. Einem, der Frankreichs Stolz und Seele war und ist: 1985 gewann Bernard Hinault als letzter Franzose die Tour de France. Damals sahen wir ihn nur flüchtig im Elsass. Heute, 30 Jahre später, traf unsere Zeitung den mittlerweile 60-Jährigen wieder.

Utrecht. "Le blaireau vaincra" - "Der Dachs wird siegen" - dieses Schild inmitten Tausender begeisterter Menschen prangte am Montag, 8. Juli 1985, auf dem Schwarz-Weiß-Foto einer Sportseite des Trierischen Volksfreunds. Zwei Tage zuvor hatte die Tour de France auf ihrer achten Etappe von Sarrebourg nach Strasbourg die Grenzregion Deutschland/Frankreich passiert.Tour de France 2015


Viele Radsportfreunde aus und um Trier hatte es damals ins Elsass gezogen. Dieser Samstag war ein unvergesslicher Tag, an dem sich der Sport das wehende Mäntelchen der Geschichte um die Schultern gehängt hatte. Hinault hatte sich aufgemacht, seinen fünften Gesamtsieg bei "Le Tour" zu erringen, auf dass man ihm Eintritt in die Ruhmeshalle der Herren Merckx und Anquetil gewähren möge.
Heute, 30 Jahre später, wissen wir wie diese historienschwangeren Tage endeten. Hinault, den man wegen seiner listigen Fahrweise den "Dachs" nannte, fuhr in jenem Jahr wirklich zum fünften Male im Gelben Trikot des Gesamtsiegers in Paris ein.
Damals war uns nur ein flüchtiger Blick auf den Bretonen, der die schwerste Radrundfahrt der Welt zuvor bereits viermal gewonnen hatte, gewährt. Heute, 30 Jahre später, stehen wir ihm im Kollegenkreis gegenüber. Der Mann mit einer ungeheuren Aura ist damals wie heute immer noch unabdingbarer Teil des größten Exportschlagers seiner Nation. Keine "Remise des prix" vergeht, ohne dass "Monsieur Bernard" wie Tour-Sprecher Daniel Mengeas ihn bis zum vergangenen Jahr lautstark angekündigt hatte, Tagessieger und Trikotträgern nicht die Hand geschüttelt hätte.
Ende 2014 feierte der kantige Bretone, den manche Wegbegleiter auch als stur bezeichnen, seinen 60. Geburtstag. Seit der Hälfte dieser Zeit warten seine Bewunderer, die den von einem Nasenbeinbruch Gezeichneten vor 30 Jahren mit ihrer Inbrunst über Tourmalet und Peyresourde getragen hatten, dass doch einer wie er wiederkommen möge.
"Wir haben leider keinen kompletten Fahrer", musste Hinault vor dem Start am heutigen Samstag zugeben. Sicher, es gebe Leute wie über ein paar Jahre hinweg etwa Thomas Voeckler, die für einen Fluchterfolg und ein paar Tage im "Maillot jaune" gut gewesen seien. Aber leider keinen, der das Zeug habe, nach drei Wochen in Gelb auf den Champs Élysées einzufahren.
Keinen wie ihn, (was er nicht sagt), der ein exzellenter Kletterer und ein ebenso vorzüglicher Zeitfahrer wäre. "Monsieur Bernard" schreibt Landsleuten wie Romain Bardet oder Thibaut Pinot ins Stammbuch, woran es hapert: "Das sind alles sehr gute Fahrer. Aber ihnen fehlen fünf Prozent in den Bergen und fünf Prozent im Zeitfahren. Und wenn man keine 100 Prozent hat, dann kann man auch die Tour nicht gewinnen."
So wie Hinault dasteht und parliert: braun gebrannt, schlank und rank, blitzende Augen, ein Goldkettchen um den Hals, ist der 60-Jährige der geborene Botschafter für den Tour-Veranstalter ASO. Die französischen Kollegen, ein Großteil weit jünger als er, hängen an seinen Lippen, als verkünde der Messias gerade das Allheilmittel für das Ende der 30-jährigen Durststrecke der Radsportnation Frankreich bei der "Grande Boucle". Aber dieses Rezept hat auch ein Bernard Hinault nicht.
Liveticker, Ergebnisse, Fotostrecken zur Tour de France gibt es online unter
volksfreund.de/tour

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