"Im Regen hätte es Tote gegeben"

Saint Flour · Wunden lecken nach einer hektischen und von schweren Stürzen geprägten ersten Woche ist am Montag, dem ersten Ruhetag der 98. Tour de France, das Stichwort gewesen. Die Topfahrer, die die Tour-Organisatoren wegen ihrer Streckenführung teilweise hart kritisieren, belauern sich vor dem Einstieg in die Pyrenäen.

Saint Flour. "Das war die hektischste und schwerste erste Woche, die ich bisher in der Tour gefahren bin. Jeder Kilometer ist ein ständiger Kampf im Feld." Andy Schleck vom luxemburgischen Team Leopard Trek, der Vorjahreszweite und erneute Herausforderer des Madrilenen Alberto Contador, sparte am Ruhetag im Hotel Garabit, das an einem romantischen Flüsschen gelegen ist, nicht mit offenen Worten über den bisherigen Tour-Verlauf. Vor allem der schwarze Sonntag mit den beiden sturzbedingten Aufgaben von Alexander Winokurow (Kasachstan/Astana) und Jürgen van den Broeck (Belgien/Omega-Pharma Lotto) ließ die Veranstalter in das Fadenkreuz der Kritik der Betroffenen geraten. Der offensichtliche Drang zu spektakulären Aktionen, aber auch die halsbrecherischen Passagen werde immer stärker. Und immer unkalkulierbarer.
Dass zudem Juan Antonio Flecha und Johnny Hoogerland am Sonntag von einem Begleitfahrzeug erfasst und erheblich verletzt wurden, passt ins Bild einer Rundfahrt, deren Streckenverlauf auf die Gesundheit der Fahrer immer weniger Rücksicht nimmt. "Ich habe den Sturz im Fernsehen gesehen. Ich war schockiert", sagte auch der Schweizer Zeitfahr-Weltmeister in Diensten des Luxemburger Rennstalls, Fabian Cancellara, während der deutsche Leopard-Profi Linus Gerdemann sagte: "Dem Fahrer sollte man auf Lebensdauer den Führerschein entziehen. Ich will mir gar nicht ausmalen, was gestern passiert wäre, wenn es geregnet hätte. Dann hätte es Tote gegeben."
Der Deutsche Andreas Klöden wird die Tour trotz Rückenproblemen fortsetzen können. Der RadioShack-Kapitän konnte gestern locker trainieren, nachdem bei einer eingehenden Untersuchung am Sonntagabend keine schwerwiegenden Verletzungen festgestellt worden waren.
Eine Taktik für die ersten Pyrenäen-Etappen, die ab Donnerstag anstehen, hat sich das Luxemburger Team Leopard Trek noch nicht verordnet. "Es kommt darauf an, wer nach dem ersten schweren Berg die besseren Beine hat. Für den wird dann auch gefahren", ließ sich der sportliche Leiter des Teams, der Däne Kim Andersen, noch sämtliche Optionen offen, wie seine Doppelspitze agieren soll, wenn es hart auf hart geht. Frank, der ältere der Schleck-Brüder, gab sich zumindest (noch) recht aufgekratzt und sagte schmunzelnd: "Wenn wir uns nicht einig werden, werfen wir eine Münze."
Sehr viel ernster waren am Montagnachmittag nicht nur die Gesichter, sondern auch die Aussagen bei der Pressekonferenz von Alberto Contador im malerischen Auvergne-Flecken Murat. "Ich bin zweimal auf das gleiche Knie gefallen, habe immer noch erhebliche Schmerzen." Wegen des zeitlichen Rückstandes auf das Gelbe Trikot macht sich der Iberer allerdings weniger Sorgen. "Mir fällt es immer schwer, vor dem Hochgebirge mit einer hohen Frequenz zu fahren. Ich denke auch, dass ich wegen meiner Zeitfahr-Qualitäten immer noch in der besseren Position bin."
Für seinen stärksten Widersacher hält er im Übrigen nicht Andy, sondern dessen Bruder Frank Schleck. Vielleicht müssen ja doch noch die Würfel geworfen werden.

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