Interview mit Herbert Fandel aus Kyllburg: "Anfeindungen gegenüber jungen Schiris werden immer unverschämter" (Video)

Trier · Der frühere Fifa-Schiedsrichter über alarmierende Entwicklungen auf regionalen Fußballplätzen und wie er 2006 selbst Opfer eines tätlichen Angriffs auf dem Platz wurde

Herr Fandel, können Sie sich eigentlich noch an Ihr erstes Spiel als Schiedsrichter erinnern?
HERBERT FANDEL: Ja, sehr gut sogar. Das war ein D-Jugend-Spiel meines Heimatvereins der DJK Utscheid, welches in Baustert in der Eifel stattfand. Es kam damals kein Schiedsrichter und mein Vater sagte zu mir: "So, du machst das jetzt!" - dann hab ich das halt gemacht, obwohl ich noch überhaupt keine Prüfung hatte (lacht).

Wann war das?
FANDEL: 1978, ich war 14 Jahre alt.

Wie war die Stimmung damals auf dem Platz?
FANDEL: Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Situation, in der ich einen Handelfmeter gegen meine eigene Mannschaft geben musste. Als Kind war das für mich ein besonderer Moment, den ich bis heute nicht vergessen habe, denn ich habe das Spiel mit der Elfmeterentscheidung gegen meine eigene Mannschaft entschieden. Da habe ich sofort mitbekommen, wie es sich anfühlt, wenn man als Schiedsrichter unpopuläre Entscheidungen trifft.

Das heißt, die Emotionen kochten damals hoch?
FANDEL: Ich empfand dies zumindest so. Da entstand auch Druck, das merkt man als junger Mensch besonders stark. Man hat einfach noch nicht genug Lebenserfahrung, um solche Emotionen, die von außen auf einen einprasseln, wegzustecken. Diese entwickelt sich erst nach und nach im Laufe des Lebens. Deswegen gehen gerade jungen Schiedsrichtern Vorwürfe, Anfeindungen und Beleidigungen ganz besonders unter die Haut.

Trotz des nicht ganz einfachen Starts haben Sie sich dazu entschieden, weiterzumachen - wieso?
FANDEL: Der Fußball war immer schon ein Teil meines Lebens. Bis ich 21 Jahre alt war, habe ich gepfiffen und gleichzeitig gespielt. Dann habe ich mich für die Schiedsrichterei entschieden. Denn mir war klar: Wenn du es im Fußball in höhere Klassen schaffen willst, dann musst du als Schiedsrichter weitermachen, als Spieler hätte es nicht gereicht.

Wie oft schauen Sie sich heute noch Amateurspiele in der Region an?
FANDEL: Immer mal wieder. Vor kurzem war ich beim Kreisliga-B-Spiel SV Speicher gegen DJK Utscheid. Das war ein prima Spiel und die Qualität war überraschend gut.

Wie war die Leistung des Schiedsrichters?
FANDEL: Es war ein erfahrener Schiedsrichter, der sicherlich auch den einen oder anderen Fehler gemacht hat, aber er hat das insgesamt souverän und ruhig gemacht, auch wenn es Emotionen und Kritik von außen gab. Aber das gehört in gesundem Maße dazu und das war bei diesem Spiel der Fall - niemand ist über die Stränge geschlagen, vielleicht auch, weil ich unter den Zuschauern war (lacht).

Wie glauben Sie, laufen solche Spiele im Amateurbereich ab, wenn Sie mal nicht am Spielfeldrand stehen? Haben sie das Gefühl, dass die Stimmung gegen Schiedsrichter aggressiver geworden ist?
FANDEL: Ja, ich denke schon. Die Stimmung hat sich in den vergangenen 10 bis 20 Jahren verändert, vor allen Dingen bei Jugendspielen. Die Eltern und Betreuer am Spielfeldrand tragen bei diesen Spielen teilweise unglaublich viele Emotionen von außen hinein. Anfeindungen gegenüber den jungen Schiedsrichtern werden immer direkter und unverschämter. Das ist auch ein Spiegel der Gesellschaft. In vielen anderen Bereichen erleben wir das ja auch.

Jugendschiedsrichter-Betreuer haben dem TV berichtet, dass 14- oder 15-jährige Nachwuchsschiedsrichter immer wieder von Eltern und Betreuern aufs Übelste bedroht und beleidigt werden. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie so etwas hören?
FANDEL: Das ist eine Sache von fehlendem Respekt, auch von nachlassendem Niveau allgemein in unserer Gesellschaft. Ich bin davon überzeugt, dass wir in einigen Bereichen unserer Gesellschaft deutlich degenerierende Elemente haben, was sich auch auf den Fußballplätzen niederschlägt. Die Hemmschwelle, einen jungen Schiedsrichter unmittelbar auch körperlich zu attackieren, ihn anzuschreien, ihn zu beleidigen, sinkt zunehmend, das ist alarmierend.

Hat das auch mit den sozialen Medien zu tun?
FANDEL: Absolut. Emotionen, Kritik, Beschwerden, Beleidigungen sind heute sofort und direkt übermittelbar, das war früher anders. Und genau das spiegelt sich auf den Fußballplätzen wider. Und das macht jungen Schiedsrichtern in besonderem Maße zu schaffen - dabei sind es gerade diese jungen Menschen, die dem Fußball eigentlich mit besten Vorsätzen dienen wollen.

Lässt sich das auf Knopfdruck ändern?
FANDEL: Nein, ich glaube, dass kann man nicht mehr ändern. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Man muss junge Schiedsrichter speziell darauf vorbereiten, sie anders coachen und sich vor allen Dingen besser um sie kümmern, ihnen Ansprechpartner zur Seite stellen. Früher war man als Schiedsrichter eher auf sich allein gestellt, da kam nicht viel Hilfe von außen, das geht heute nicht mehr. Wenn man will, dass junge Schiedsrichter dem Fußball erhalten bleiben, dann muss man sie betreuen.

Inwiefern haben Entgleisungen von Fußballern und Trainern wie Jürgen Klopp oder Roger Schmidt gegenüber Schiedsrichtern Auswirkungen auf die Fußballplätze im Amateurbereich?
FANDEL: Das Fernsehen ist das Medium, welches den stärksten Einfluss auf den Fußball hat. Alles, was am Wochenende über den Bildschirm flimmert mit anschließenden Kommentaren und Presseberichten, schlägt sich auf das Verhalten auf unseren Amateurplätzen nieder. Der Profifußball ist das Schaufenster. Im Amateurfußball wird es dann nachgemacht.

Ist den handelnden Personen im Profifußball bewusst, welche Vorbildfunktion sie innehaben?
FANDEL: Wenn der Ball nicht rollt, ja. Wenn der Ball rollt, sehr oft nein. Der Fußball ist ein hochemotionales Geschäft geworden, alle Beteiligten stehen unter einem enormen Druck. Da geht im Eifer des Gefechtes manchmal auch ein Stück Selbstkontrolle verloren.

Kann man solche Entgleisungen im Profifußball denn in Zukunft verhindern?
FANDEL: Wir sind in ständigen Gesprächen und suchen den Kontakt zwischen Schiedsrichtern, Trainern, Spielern, Managern. Das nennt man dann einen runden Tisch. Trainer, Spieler und Schiedsrichter müssen mehr voneinander wissen, müssen im Austausch bleiben. Nur wenn ich meinen Gegenüber und seine Arbeit kenne, wird es mir schwerer fallen, ihn verbal anzugreifen.

Was halten sie davon, wenn ihre Ex-Kollegen Peter Gagelmann und Markus Merk auf Sky Live-Kommentare zu Schiedsrichter-Entscheidungen abgeben?
FANDEL: Ganz offensichtlich wollen die Zuschauer das. Sie wollen, dass Spielszenen auseinandergenommen und seziert werden. Ich halte nicht viel von diesem ganzen "Expertentum" im Fußball. Aber es ist da und wir müssen damit umgehen.

Als Schiri muss man also einfach mit dieser Kritik umgehen können?
FANDEL: Absolut. Ein Schiedsrichter im Profifußball muss Kritik aushalten können, auch wenn diese manchmal ungerechtfertigt und unfair ist. Er lebt mit ständiger Kritik an seiner Person und seinen Entscheidungen und muss den rauen medialen Wind aushalten.

Und wo ist die Grenze?
FANDEL: Ich bin nicht sicher, ob man Grenzen definieren kann. Es gibt ja genügend Unparteiische, die irgendwann sagen: Das mache ich nicht mehr mit, das will ich nicht mehr! Andererseits wachsen Schiris, die es bis ganz nach oben schaffen, mit diesen Rahmenbedingungen auf und gewöhnen sich daran.

Beim Spiel zwischen Dänemark und Schweden im Jahr 2006 wurden Sie auf dem Platz selbst einmal von einem Fan attackiert. Wieso haben Sie danach dennoch weitergemacht?
FANDEL: Ich war damals schon ein sehr erfahrener Schiedsrichter und die Spielleitung in Kopenhagen war gegen Ende meiner Karriere. Für einen jungen Schiedsrichter wäre das Ganze viel schwieriger gewesen. Für mich aber war sofort klar, dass ich eine sehr harte Entscheidung treffen und das Spiel abbrechen musste. Ich bin auch weiterhin der Auffassung, dass man nur mit konsequenten Strafen und Entscheidungen deutlich machen kann: Wer sich nicht an Grenzen hält, wird dafür hart bestraft. Genau das gilt auch für den Amateurbereich.

Wie lässt sich das auf Amateur- und Jugendspiele übertragen?
FANDEL: Es gibt gute Beispiele, den Jugendfußball ohne Schiedsrichter zum Beispiel. Die Trainer stehen dabei gemeinsam in einer Coachingzone, die Zuschauer weiter weg vom Spielfeldrand. Das ist schon eine Aktion nach dem Motto: Gebt den Kindern den Fußball zurück. Die Kinder sollen selbst entscheiden, was ein Foul war und was nicht. Sie müssen selbst Entscheidungen treffen und sehen damit auch, welche Verantwortung ein Schiedsrichter trägt.

Was geben Sie einem jungem Schiri mit auf den Weg, der schon Anfeindungen erlebt hat?
FANDEL: Er muss darüber reden. Er darf sich nicht verschließen, muss sich mit erfahrenen Kollegen besprechen. Schiedsrichtergruppen müssen näher an den jungen Schiedsrichtern dran sein, die Patensysteme müssen ausgebaut werden.

Wenn Sie nochmal 14 oder 15 Jahre alt wären - würden Sie wieder Schiedsrichter werden?
FANDEL: Ja natürlich, ich würde es immer wieder genau so machen. Die Position des Schiedsrichters war mir wie auf den Leib geschnitten. Ich fühlte mich wohl dabei, im Sekundentakt Entscheidungen zu fällen, auch wenn ich im Nachhinein manchmal feststellen musste, dass auch Fehler dabei waren. Wer Verantwortung übernimmt, muss begreifen, dass Fehler trotz bester Vorbereitung manchmal unvermeidlich sind. Ich räume ein, dass dies ein äußerst schwieriger Lernprozess sein kann.EXTRA: ZUR PERSON

(mfr) Herbert Fandel aus Kyllburg leitete als Schiedsrichter jahrelang Spiele der Fußball-Bundesliga. Auch in der Champions League und bei der EM 2008 war Fandel im Einsatz. Seit 2011 ist der 52-Jährige Mitglied der Schiedsrichterkommission der Uefa. Zudem ist Fandel Vorsitzender des DFB-Schiedsrichterausschusses. Fandel leitete unter anderem das Uefa Cup Finale 2006, das Champions-League-Finale 2007, die DFB-Pokalfinals 2004 und 2006. Zudem wurde er viermal zum Schiedsrichter des Jahres gewählt.Mehr zum Thema

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