Knapp war’n nur die Höschen

Rio de Janeiro · Was für ein Triumph: Die deutschen Beachvolleyballerinnen Kira Walkenhorst und Laura Ludwig haben sich gegen Brasilien die Goldmedaille gesichert. Für den Olympia-Gastgeber war diese Pleite aus einem bestimmten Grund besonders bitter.

Rio de Janeiro. Eigentlich warnen die Olympiagastgeber von Rio Besucher aus dem Ausland schon traditionell davor, sich nach Einbruch der Dunkelheit bloß nicht mehr am Strand aufzuhalten. Gerade Frauen. Das steht in jedem Reiseführer. Doch Laura Ludwig und Kira Walkenhorst interessierte das am Mittwochabend mal überhaupt nicht. Sie genossen die Stunden nach Mitternacht am Strand in vollen Zügen.
Sie waren an der Copacabana allerdings auch nicht alleine: Umgeben von 12 000 Menschen feierten die beiden dort ihren Olympiasieg im Beachvolleyball. "Es ist unglaublich, fast ein bisschen unwirklich. Aber als die Hymne gespielt wurde, haben wir schon realisiert, dass wir es geschafft haben und dass es hier um uns, um unseren Olympiasieg geht", sagte Ludwig, nachdem die beiden die große Goldhoffnung der Gastgeber, die Weltmeisterinnen Agatha/Barbara, bei böigem Wind letztlich souverän und ungefährdet 21:18, 21:14 geschlagen und so den brasilianischen Fans die erhoffte Goldparty in den frühen Morgenstunden verbaut hatten. Wie schon in ihren sechs Spielen zuvor hier in Rio zogen die Deutschen auch diesmal ihren Gegenübern den Zahn mit einer Mischung aus Cleverness, Zielstrebigkeit und eben der enormen Erfahrung Ludwigs (30) sowie der unvergleichlichen Blockqualität Walkenhorsts (25). Vier Jahre Arbeit hin auf dieses große Ziel, alle Mühen, alles Training hatten sich in diesem Moment für die amtierenden Europameister und Weltranglistenersten aus Deutschland ausgezahlt. "Wir haben uns hier im Turnier mit jedem weiteren Spiel gesteigert. Und ich denke, wir haben jetzt auch dieses Finale absolut verdient gewonnen", sagte Ludwig.
Bei insgesamt nur einem verlorenen Satz im gesamten Turnierverlauf erübrigte sich in dieser Nacht in der Tat die Frage, ob dieser Olympiasieg verdient ist. So konnte DOSB-Vorstandsvorsitzender Michael Vesper vollauf zufrieden und genüsslich auf einer Handvoll Nüssen kauend die Arena an der Copacabana gegen halb zwei morgens verlassen. Im Wissen, soeben den ersten Olympiasieg eines europäischen Frauenduos gesehen zu haben, dabei ist Beachvolleyball ja immerhin schon seit 1996 olympisch.
Soweit zur deutschen Sicht der Dinge. Die brasilianische Sicht derselben Dinge war naturgemäß eine ganz andere. Klar, ihre Heldinnen hatten nicht das erhoffte Gold gewonnen, aber mehr noch: Die Zuschauer im Stadion mussten quasi stellvertretend für ein ganzes Land mit der bösen Vorahnung fertig werden, dass das Deutschland-Trauma, das sich 2014 bei der Fußball-WM in der bösen 1:7-Halbfinal-Niederlage manifestiert hatte, nun offenbar vom Rasen auch noch in den Sand gewandert ist. Dabei sollte hier im Sand der Copacabana doch gewissermaßen ein bisschen an der Revanche gebaggert werden. Das brasilianische Fernsehen hatte dieses Endspiel dann auch gar nicht erst als das Duell zweier Frauenduos verkauft, sondern einzig und allein als Brasil contra a Alemanha, Brasilien gegen Deutschland. Und nachdem sich Ludwig/Walkenhorst ja tags zuvor auch noch erdreistet hatten, das rein brasilianische Finale mit ihrem Halbfinalsieg über die top gesetzten Larissa/Talita zu verhindern, war es nun im Finale noch mehr Länderkampf als Wettbewerb von vier Leistungssportlern.
Was im Fußball gilt, das sollte auch im Sand der Copacabana gelten. Selbst Pelé twitterte: "Lasst uns beweisen, dass Fußball und Beachvolleyball Brasilien gehören." Beachvolleyball-Gold bei den Frauen gehört nun nachweislich seit gestern zwei deutschen Frauen, da half auch Pelés kleine Multimediaoffensive nicht. Und auch er wird wissen: Der morgige Samstag wird zeigen, ob seinem Land zumindest der Fußball wieder ein Stück weit gehören wird. Schließlich treffen dann im olympischen Finale im ehrwürdigen Maracanã-Stadion Neymar & Co. auf Horst Hrubeschs DFB-Jungs.
Und sicherheitshalber erzählt mancher Carioca deswegen auch schon mal, dass der Olympiasieg im Fußball ja eigentlich viel wertvoller sei als der Weltmeistertitel. Die Frage, was mit ihrem nationalen Selbstverständnis als Fußball- und Beachvolleyballnation eigentlich passiert, wenn Deutschland auch dieses Finale gewinnt, will man sich hier am Zuckerhut lieber erst gar nicht stellen.
Übrigens: Obwohl gar nicht im Beachvolleyball-Finale vertreten, zählten auch die US-Amerikaner in dieser Nacht zu den Gewinnern. Denn während der erste Ballwechsel in Rio werktags um Mitternacht vonstattenging und in Deutschland nur Hartgesottene schon um fünf vor dem Fernseher die Daumen drückten, durften die Amerikaner an der Westküste zur Prime Time einschalten. In Kalifornien beanspruchen sie schließlich genauso wie am Zuckerhut, den Beachvolleyball erfunden zu haben. Und in den USA bezahlten sie - wie bei den Schwimmwettbewerben in Rio - eben das nötige Geld, um die Spielzeiten diktieren zu können. Das ist eben ihr Selbstverständnis als Sportnation.

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