Kopf frei durch Laufen in Afghanistan

Mazar-e Sharif · Sebastian S. aus einer kleinen Stadt in der Eifel ist begeisterter Läufer - und Soldat. Seit drei Monaten trainiert der 30-Jährige in Afghanistan. Im Lager der Internationalen Schutztruppe ISAF, Camp Marmal bei Mazar-e Sharif, fühle er sich sicher, sagt er. Seinen vollen Namen dürfen wir aus Sicherheitsgründen nicht nennen.

Mazar-e Sharif. Neujahrsmorgen im Norden Afghanistans. Es ist nass-kalt. Schneeschauer wehen durch das Tal am Rand des Marmalgebirges. Trotzdem stehen um 10 Uhr morgens 128 Soldaten - Deutsche, Ungarn, Amerikaner, Schweden, Kanadier, Polen, Mongolen - auf der schmalen Straße des Camps Marmal und warten auf den Startschuss. Sport hat einen großen Stellenwert unter den internationalen Militärs der ISAF. Für Sebastian S. sowieso. Seit fünf Jahren läuft der 30-Jährige, der in Thüringen aufgewachsen und nun bei der Bundeswehr in der Eifel stationiert ist.
Mongolen sind losgeprescht



Nach 5,5 Kilometern und 20:21 Minuten kommt Sebastian S. ins Ziel. Als Vierter hinter drei anderen Deutschen. "Es waren bestimmt 30 Mongolen dabei. Die sind losgeprescht wie die Verrückten. Aber nach ein bis zwei Kilometern sind sie dann zurückgefallen", erzählt er.
Obwohl man die Strecke durch das Lager, zwischen Militärfahrzeugen, Wohncontainern und Zelten hindurch, trotz des Blicks auf das schneebedeckte Marmalgebirge nicht gerade als abwechslungsreich bezeichnen kann, möchte Sebastian S. das Rennen nicht missen. "Solche Events steigern unglaublich die Motivation so fernab von Freunden, Familien und Heimat", sagt er und bedauert, dass es im Winter nicht so viele sportliche Aktivitäten gibt. "Frühjahr, Sommer und Herbst wird hier wohl viel organisiert. Wettkämpfe jeder Art: Fußball, Beachvolleyball, Marsch, Tischtennis, Badminton, Skat, aber auch Läufe", erzählt der Ausdauersportler, der zivil für die LG Pronsfeld-Lünebach startet und seit Oktober im Auslandseinsatz ist. Auch Afghanen, die im Lager arbeiten, nehmen an den Wettbewerben teil.
"Die Teilnahme ist natürlich nur gestattet, wenn sie keinem Auftrag im Wege steht, und bedarf der Freistellung durch den entsprechenden Vorgesetzten", erklärt Sebastian S. Ist diese Voraussetzung gegeben, bieten sich etliche Möglichkeiten zum Sporttreiben. "Im Camp gibt es drei große Fitnesseinrichtungen: ein großes Zelt der Amerikaner, das 24 Stunden geöffnet hat, und zwei deutsche Hallen. Alle sehr ordentlich ausgestattet mit Kraftgeräten, Laufbändern und Kardiogeräten. Zudem für den Sommer Beachvolleyballfelder, Basketballplätze und ein Kleinspielfeld", erzählt Sebastian S.
Zuerst zur Waffenkammer


Wenn er an der Lager-Begrenzungsmauer mit den Wachtürmen entlangläuft, fühle er sich sicher, sagt Sebastian S. Allerdings: "Mein Vorgänger auf meinem Dienstposten war schon in anderen Krisengebieten und hat schon andere Erfahrungen gemacht. Einer seiner ersten Schritte mit mir war der in Richtung Waffenkammer", erzählt er und ergänzt: "Wäre es nicht so ruhig, dürfte hier keiner ohne Waffe in Sportkleidung laufen gehen." Sobald das Lager verlassen wird, haben die Soldaten immer zwei Waffen und ausreichend Munition dabei, sagt S.
Er arbeitet zwar innerhalb des Camps, geregelte Arbeitszeiten gibt es für den Offizier, der in einem internationalen Team mit Soldaten aus neun Nationen an der Operationsplanung mitarbeitet, aber nicht. "In der Regel arbeite ich von 8 bis 20 Uhr, aber gelegentlich auch bis Mitternacht oder schon mal bis halb zwei morgens", erzählt er. In der Mittagspause schaffe er es meist, knapp eine Stunde zu trainieren. Normalerweise sei Laufen für ihn ein Hobby. Aber: "An stressigen Tagen brauche ich Laufen als Ausgleich. Es kam schon einige Male vor, dass ich abends um 11 Uhr aufs Laufband bin, weil ich einfach den Kopf freibekommen musste", erzählt Sebastian S. Denn auch wenn er nicht auf Patrouille geht: Welchen Gefahren seine Kameraden ausgesetzt sind, bekommt der Mann aus der Eifel tagtäglich mit.

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