"Macho-Allüren, Alleinherrscher”

Zürich · Gianni Infantino muss sich nach einem Jahr im Amt als Fifa-Präsident derbe Kritik gefallen lassen.

"Macho-Allüren, Alleinherrscher”
Foto: Ennio Leanza (KEYSTONE)

Zürich (dpa) Transparenz, Leidenschaft, Freude am Fußball - das sind die Schlagwörter, die Gianni Infantino zu seinem einjährigen Dienstjubiläum am kommenden Sonntag proklamiert. Nach seinem überraschenden Wahlerfolg beim außerordentlichen Wahlkongress am 26. Februar 2016 sieht der jüngste Fifa-Boss der Nachkriegszeit den lange bedenklich taumelnden Weltverband wieder auf Kurs. Seine Presseabteilung verschickte vor dem Jahrestag ein 50 Seiten dickes Hochglanzdokument als Zwischenbilanz ihres Regenten.
Wo Infantino am Sonntag sein wird, konnte man indes bislang noch nicht sagen. Wahrscheinlich auf Tingel-Tour um die Fußball-Welt — in dieser Rolle fühlt sich der polyglotte Topmanager wie sein Vorgänger richtig wohl. "Was mich an den vergangenen Monaten am meisten erfreut hat, ist zu sehen, wie die Ideen, Absichten und Regularien Realität geworden sind im Alltag der Fußball-Administration", wird Infantino in dem Prospekt von seiner Marketingabteilung zitiert.
Als Erfolge werden die in Deutschland weiter umstrittene Aufstockung der WM auf 48 Teams von 2026 an, die Umsetzung der umfassenden Reformagenda mit einer neuen Gewaltenteilung und das von Infantino entworfene Zukunftsprojekt "FIFA 2.0" angeführt. "Das ist ein konkreter Fahrplan mit messbaren Zielen für die Fifa als Organisation", sagte der Schweizer über die avisierte Neuordnung der globalen Fußball-Verwaltung.
Ist die Fifa nach den langen Jahren des Korruptions-Wahnsinns im Funktionärs-Selbstbedienungsladen unter Sepp Blatter wirklich wieder auf Kurs? Mitnichten, sagen die Kritiker. Jenseits der schönen Schautafeln ist Infantinos Bilanz nach einem Holperstart rund um den Kongress im Mai 2016 in Mexiko inklusive der Inthronisierung der im Fußball völlig unerfahrenen Fatma Samoura als Generalsekretärin keineswegs makellos.
Fifa-intern gibt es zahlreiche Stimmen, die hinter vorgehaltenen Händen von einem "Klima der Angst" berichten und Infantino als "Alleinherrscher" und "Macho" beschreiben. Abgrenzung zu Blatter bis ins kleinste Detail ist ein Leitmotiv Infantinos. Manche Parallele zu seinem Landsmann kann aber auch der 46-Jährige nicht kaschieren, auch wenn sein Führungsstil kühler, effizienter, moderner wirkt - aber eben doch auf größtmögliche Machtkontrolle ausgelegt ist. Nicht Samoura prägt — wie in der Reformagenda proklamiert — die Geschäfte, sondern Infantino, dem laut Statuten nur die Rolle eines Aufsichtsratschefs zugedacht ist.
Knackpunkt bleibt, wie Infantino mit seinen Kontrolleuren umgeht. Compliance-Chef Domenico Scala wurde mit einem Kongress-Beschluss in Mexiko so brüskiert, dass er ging. Dessen Nachfolger Tomas Vesel fiel bislang nicht als scharfer Hüter ökonomischer Normen auf.
Insider-Informationen, dass auch die konsequent ermittelnde und urteilende Spitze der Ethikkommission um Cornel Borbely und den deutschen Top-Juristen Hans-Joachim Eckert beim nächsten Kongress im Mai in Bahrain abgelöst und durch willfähriges Personal ersetzt werden könnte, passen ins Bild.

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