Morgen ein König?

Sotschi/St Petersburg · Vor dem Confed-Cup-Finale zwischen Deutschland und Chile spuckt der Kapitän der Südamerikaner große Töne. Im deutschen Team herrscht dagegen Entspannung pur. Nur so mancher Weltmeister von 2014 spürt plötzlich Druck.

 Der König von Chile: Arturo Vidal trifft am Sonntag auf Deutschland. Foto: dpa

Der König von Chile: Arturo Vidal trifft am Sonntag auf Deutschland. Foto: dpa

Foto: Ivan Sekretarev (g_sport


Sotschi/St. Petersburg (dpa) Auf dem Weg zum Titel-Triple wollen sich "El Rey" (der König) Arturo Vidal & Co. auch nicht mehr von Joachim Löws jungen Wilden aufhalten lassen. Mit großem Pathos und viel Leidenschaft startet der zweimalige Südamerika-Champion um Elfmeter-Held Claudio Bravo in den Confed-Cup-Showdown gegen Weltmeister Deutschland. "Jetzt, wo wir im Finale sind, müssen wir auch Champions werden", beschwor Vidal vor dem Finale am Sonntag (20 Uhr/ZDF) in St. Petersburg. "Ich will diesen Traum erfüllen, ich gebe immer mein Leben für mein Land." Schon direkt nach dem 1:1 im zweiten Gruppenspiel hatte er das erneute Aufeinandertreffen mit Bayern-Kumpel Joshua Kimmich verabredet. Jetzt soll der dritte Triumph in Serie nach der Copa América 2015 und 2016 her.
"Es wird ein sehr schweres Spiel mit zwei sehr starken Mannschaften", sagte Vidal, der nach dem Halbfinale in der Heimat als König ("Rey") gefeiert wurde. Vor der erhofften Krönung präsentieren sich die Stars der La Roja völlig entspannt. Mehr als 45 Minuten plauderten Bravo und Top-Stürmer Alexis Sánchez am Freitagmittag im zweiten Stock des Fünf-Sterne-Hotels Corinthia von St. Petersburg über ihre Erwartungen für das Endspiel. "Wir sind hier, um Geschichte zu schreiben", sagte der europaweit umworbene Angreifer - und machte mit seinem Handy direkt Selfies mit allen Journalisten. Selbst die ungeliebten Fragen nach seiner Zukunft konnten dem Linksaußen vom FC Arsenal keine schlechte Laune machen. Freudig trommelte der auch vom FC Bayern beobachtete Sánchez mit den Fingern auf den Tisch, als er geheimnisvoll verkündete: "Ich habe es für mich geklärt, aber ich kann es euch noch nicht sagen."
Derweil könnte die Stimmung auch bei der DFB-Elf vor dem Finale am Sonntag nicht besser sein. "St. Petersburg war unser Ziel. Jetzt wollen wir auch den letzten Schritt gehen und dieses Finale gewinnen", verkündete Doppeltorschütze Leon Goretzka nach dem zwar zu hohen, aber in seinem Gesamtwerk famosen 4:1 (2:0) im Halbfinale gegen Mexiko.
Was in Russland passiert, wirkt wie ein Zauberwerk von Joachim Löw. In nur 24 Tagen zwischen dem Treffpunkt am Pfingstmontag und dem vorläufigen Höhepunkt gegen die Mexikaner formte der Bundestrainer aus einem kunterbunten Kader mit 13 Turnierneulingen aber ohne alle prominenten Weltmeister einen verschworenen Haufen. Dieser funktioniert und harmoniert in Russland erstaunlich gut und hat dazu die international gefürchtete deutsche Turniermentalität entwickelt.
"Die Spieler fighten füreinander. Sie sind ehrgeizig, sie sind hungrig, sie wollen zur Nationalmannschaft. Jeder hat sich gefreut auf diesen Confed Cup", schilderte Löw am Donnerstagabend, als er im WM-Stadion von Sotschi mächtig stolz über seine WM-Probanden redete. Auch er, der Weltmeistercoach, ist ja nach jedem Auftritt aufs Neue erstaunt. "Wir haben uns in den dreieinhalb Wochen enorm entwickelt. Das Finale hat keiner voraussehen können", lautete Löws Urteil. Mehr als elf Millionen Fans fieberten daheim vor den Fernsehern mit.
Dem Bundestrainer gefiel auch, was er nach dem Einzug in das "große Finale" in der Kabine mit seinen liebgewonnenen Jungs erlebte. "Sie freuen sich, sind aber nicht überschwänglich. Sie wissen, es steht ein Finale an. Dieser Drang, das Spiel gegen Chile zu gewinnen, ist groß", erklärte Löw. Er erwartet gegen Vidal und Co. nach dem 1:1 beim Gruppenspiel in Kasan einen weiteren "Abnutzungskampf".
Der Akku aller Akteure blinkt vor dem letzten Spiel vor dem Urlaub auf Reserve. Die deutsche Mannschaft hat einen Tag weniger Pause. Zudem musste sie am Freitag aus dem liebgewonnen Sotschi, wo der DFB-Tross auch bei der WM 2018 sein Quartier aufschlagen könnte, ins drei Flugstunden entfernte und kühlere St. Petersburg reisen.
"Aber die Chilenen haben im Halbfinale auch eine halbe Stunde mehr gespielt", hielt Goretzka angesichts des Erfolges von Vidal & Co. gegen Portugal nach Verlängerung und Elfmeterschießen entgegen. "Das ist ein Spiel, wo beide Mannschaften noch mal alles reinwerfen", sagte Löw, der überlegen muss, ob er gegen den Turnierfavoriten offensiver aufstellt als im Gruppenduell. "Wir werden alle Hände voll zu tun haben, gegen Chile gut zu verteidigen. Das wird ein Spiel mit offenem Visier", bemerkte der Bundestrainer.

Löw ist guter Hoffnung für seine Titelmission 2018. Die Auswahl hat sich vergrößert. Nicht nur Goretzka (22) und Werner (21) haben sich nachhaltig beim WM-Problelauf für Folgeaufgaben empfohlen. "Wir haben ein großes Reservoir von interessanten Spielern", frohlockte Teammanager Oliver Bierhoff: "Das wird schon eine Qual der Wahl, wenn im September das nächste Länderspiel-Aufgebot berufen wird. Aber das wollten wir genauso. Das ist wichtig für die Spieler, die sonst zur Mannschaft gehören, dass sie Druck von hinten verspüren."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort