Neues Jahrhundert - alte Probleme

Leeds · Aufbruch in ein neues Jahrhundert mit großen Fragzeichen: Im englischen Leeds fällt am Samstag der Startschuss zur 101. Tour de France seit 1903. Doch Frankreichs bedeutendster Export-Artikel wird viele ungelöste Probleme mit über die Schwelle zu den (womöglich) nächsten 100 Jahren nehmen.

 Dunkle Wolken über dem Radsport und der Tour de France. Vor dem Start in das neue Jahrhundert gibt es viele ungelöste Fragen und Probleme. TV-Foto: Jürgen C. Braun

Dunkle Wolken über dem Radsport und der Tour de France. Vor dem Start in das neue Jahrhundert gibt es viele ungelöste Fragen und Probleme. TV-Foto: Jürgen C. Braun

Leeds. Fehlt eigentlich nur noch ein bisschen Olympia am Wochenende, und die drei größten Sportereignisse der Welt könnten sich gemeinsam um den Platz in den Gazetten balgen: Fußball-WM, das Spektakel im Zeichen der fünf Ringe, und eben "Le Tour."
1903 als Werbe-Aktion für eine Auto-Zeitung ins Leben gerufen, ist der dreiwöchige Hype mit Millionen von Konsumenten an der Straße, an den Bildschirmen und im world wide web längst zu einem Spiegelbild unserer Gesellschaft geworden. Es geht um Siege und Niederlagen, um Rekorde, um Dramen, um Profit, um Betrügereien, Verschwörungen, um Eitelkeiten, Konstrukte von Lügen, ganzen und halben Wahrheiten, doch vor allem geht es um eines: um verdammt viel Geld. Die Tour ist ein gigantisches Milliarden-Projekt. Eines, das Krösusse kreiert, aber auch jene fallen lässt, die nicht ins sorgsam aufpolierte Bild der sportlichen Reinheit und Glaubwürdigkeit passen.
Dauerthema Doping


Die Tour und mit ihr der Radsport haben gelitten im vergangenen Jahrzehnt und darüber hinaus. Unter dem Dauerthema Doping. Unter Menschen wie Fuentes, unter Affären wie der "Operacion Puerto", unter falschen Helden wie Armstrong, Ullrich und unter (vermeintlich) reuigen Sündern, die die Gunst der Stunde zur medien-(ein)trächtigen Lebensbeichte nutzten.
Viele, die die Tour seit langer Zeit als Beobachter begleiten, fragen sich längst: "Wem glauben wir heute, wem misstrauen wir morgen?" Am Vorabend zum Start in das neue Tour-Jahrhundert hat sich die Wahrnehmung auf den Mega-Tross von 198 Fahrern und geschätzten 5000 Weggefährten geändert: Vielerorten ist die Distanz größer und die Schar der Hosianna-Rufer kleiner geworden: Die öffentlich-rechtlichen Sender berichten seit 2008 nicht mehr live.
Weder vom sportlichen Verlauf noch von Hintergründigem über eine Nation mit einer großartigen Landschaft und Kultur. Und die Sponsoren, die Geldgeber des großen Tam-Tam? In Frankreich schert man sich "einen Dreck" darum, lässt sich "la fete nationale" nicht kaputt machen. Der Bankenriese "Le Crédit Lyonnais", das Meinungsmonument "L\'Equipe", oder der Nahrungsmittelgigant Nestlé: nur drei von vielen Imperien, die sich in trauter Eintracht mit dem Aushängeschild der "Grande Nation" verbrüdern.
Doch woanders wird auch anders gedacht: Mit dem "Team Gerolsteiner" hat sich bereits vor Jahren ein Sponsor aus der Region mit geschätzten acht Millionen Euro verabschiedet. Das niederländische Kreditinstitut Rabobank, lange Zeit der älteste Teamsponsor, erklärte im vergangenen Jahr seinen Rückzug. Geschätzte 15 Millionen Euro war den Oranjes seit 1996 ihr Name während der drei Sommer-Wochen wert.
Pro Jahr versteht sich. Deutschlands "neue Radsport-Generation" um die Sprintasse Kittel, Degenkolb oder Greipel fordert jetzt "eine neue Chance für eine neue Generation und unseren Sport". Doch noch leiden die Erben der Zwielicht-Ära Ullrich, Zabel, Klöden und Co. unter der Saat des Misstrauens.
Vielleicht hilft der Tour vor dem Start in das neue Jahrhundert ausgerechnet auf der britischen Insel ein Schuss köstlichen schwarzen Humors à la Monty Python: "Always look at the bright side of life" - Schau immer auf die Sonnenseite des Lebens.

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