Leichtathletik Weltklasse-Sprinter Floors nach der Amputation beider Beine: „Endlich waren die Dinger ab“
BADEN-BADEN · Erst nachdem er sich beide Beine hatte amputieren lassen, wurde aus Johannes Floors ein Läufer und später ein Weltmeister: Vor dem „Sportler des Jahres“ in Baden-Baden gab der 24-Jährige im Gespräch mit dem TV einen Einblick in sein Seelenleben.
Es ist ein Paradoxon ohnegleichen: Erst nachdem er sich seine Beine hatte abschneiden lassen, wurde aus Johannes Floors ein Läufer. Ein guter, ein sehr guter sogar. Ein Weltmeister. Die ganze Geschichte erzählte der Paralympics-Sieger dieses Jahres Johannes Floors unserer Zeitung wenige Tage vor der Gala „Sportler des Jahres“ in Baden-Baden.
„Hast Du mal ein Taschentuch für mich?“ – Franziska Brauße, amtierende Bahnrad-Europameisterin in der Einerverfolgung, die neben Johannes Floors auf dem Podium im historischen Baden-Badener „Brenners“ saß, half aus, als der 24-Jährige nach Worten rang und ihm die Stimme dann doch zu versagen drohte. Denn das öffentlich kundzutun, was er empfunden hatte, nachdem er als Heranwachsender mit 16 Jahren aus seiner folgenschweren Operation erwachte, fällt ihm auch heute noch nicht leicht:
„Ich wusste nur, endlich waren sie ab, die Dinger, die mir so viele Schmerzen bereitet hatten. Deformierte Füße, zu kurze Unterschenkel. Mit Freunden kicken konnte ich schon lange nicht mehr. Selbst spazieren gehen war nicht mehr drin. Ich war nur noch 1,60 Meter groß. Aber der Oberkörper war für 1,80 Meter ausgelegt. Ich musste immer zu allen hochgucken. Es gab nur zwei Möglichkeiten für mein weiteres Leben: Rollstuhl oder Amputation.“
Floors, der am so genannten Fibula-Gendefekt leidet, entschied sich für die radikale Lösung. „Ich setzte mich mit dem Arzt in Verbindung, zu dem ich nach vielen Jahren das meiste Vertrauen hatte und der als Spezialist auf diesem Gebiet galt: Der sagte zu mir: Ich mach das – aber du musst es wirklich wollen. Es gibt keinen Weg zurück mehr.“
Der amtierende Para-Weltmeister über 100 Meter von Dubai in diesem Jahr empfand sein neues Leben als eine Befreiung. Eines, das ihm nun Möglichkeiten bot, seinen eigenen Weg so zu gehen, wie er sich das vorstellte. „Ich sagte mir noch im Krankenbett, du hast es bis hierhin geschafft. Jetzt wollte ich allen zeigen, was man anstellen kann, auch wenn man keine Unterschenkel und keine Füße mehr hat.“
Floors meldete sich in seiner Schule für das Sportabitur an. „Dafür musste ich zwei Triathlons absolvieren. Das hat mich zum Laufen gebracht. Vielleicht hat mich das Laufen so fasziniert, weil ich das Gefühl hatte, da müsste ich am meisten nachholen.“ Im Alltag geht Floors, der gelernter Orthopädie-Mechaniker ist und derzeit ein Maschinenbau-Studium absolviert, mit völlig normalen Prothesen.
Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt er: „Der Schaft dieser Alltags-Prothesen fasst den Beinstumpf. Und darunter befindet sich denn ein Federfuß aus Carbon, der in jeden Schuh passt. Damit auch der Schuh ganz ausgefüllt ist, hat der Fuß eine Kosmetik aus Silikon. Ich laufe also in ganz normalen Sneakers rum. Im Prinzip kann ich damit auch barfuß in Flip-Flops laufen.“
Anders sieht es aus, wenn aus dem Alltagsmensch der Hochleistungs-Sportler Johannes Floors wird. Dann kommen die High-Tech-Sportprothesen zum Zug, die aus einem Schaft bestehen mit einer Feder hintendran. Floors erklärt: „Die ‚Blade’ sagt man dazu auch. Sie hat nur einen Vorfuß, weil man nur den zum Sprinten braucht.“
Als so genannter Blade-Runner ging der südafrikanische Sprinter Oscar Pistorius in die Geschichte ein. Vor allem, weil er sowohl an Paralympics als auch an Olympischen Spielen für Nicht-Behinderte teilnahm und insgesamt sechs Goldmedaillen gewann. Nachdem dessen Freundin Reeva Steenkamp in seinem Haus erschossen worden war, gab es einen medial aufsehenerregenden Prozess gegen Pistorius.
Dass Floors in manchen Gazetten und Online-Medien als „der neue Pistorius“ gehandelt wird, ringt ihm nur ein Lächeln ab: „Das schreibt ihr oder einige von euch. Aber ich sage das nicht.“ Für Johannes Floors gilt erst einmal das Ziel Tokio 2020. „Wir haben nur alle vier Jahre das Ziel, bei Paralympischen Spielen zu starten. Deswegen hat das auch einen viel höheren Stellenwert als eine WM.“
Am Samstag wird Johannes Floors aber erst einmal beim „Sportler des Jahres“ in Baden-Baden vor Ort sein. „Eine möglichst vordere Platzierung für mich würde auch eine große Aufwertung für den gesamten Behindertensport bedeuten.“