Rekordjagd trotz Moos auf den Schultern

Esch/Alzette · Für die besten Radrennfahrer der Welt beginnt am 15. Januar bei der Australien-Rundfahrt die Saison 2012. Zu diesem Kreis zählt Jens Voigt, der als ältester Profi der sogenannten World-Tour Geschichte schreibt. Der 40-Jährige geht in seine vielleicht letzte Saison.

Esch/Alzette. Von seinem Leben nach dem Profi-Radsport hat er klare Vorstellungen: "Ich schicke dann meine Frau arbeiten. Ich habe jetzt 15 Jahre die Familie ernährt. Jetzt ist sie 15 Jahre dran." Mit diesem nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag erntete Jens Voigt von seiner Gattin nicht nur Gelächter, sondern auch ein paar Hiebe in die Rippen. Eine Kabbelei im Spaß. Als Radprofi hatte der 40-Jährige in den vergangenen Jahren ernsthaftere Kämpfe zu bestehen.
2012 wird womöglich die letzte Saison für den unermüdlichen Arbeiter. Ein Ausrollen kommt für den Wahl-Berliner aber nicht in frage. Zwar beschreibt er seine Rolle im neuen luxemburgischen Top-Team Radioshak-Nissan-Trek als "Spaßmacher, der ab und zu auch ein bisschen Fahrrad fahren darf" — doch das wird seinen Ambitionen nicht gerecht. 14 Mal hat er bereits die Tour de France absolviert. In diesem Jahr will Voigt zum 15. Mal am Start stehen — er würde damit alleiniger deutscher Rekordhalter. "Ich glaube, dass ich die Leistung noch bringen kann. Wenn jemand gebraucht wird, der unzerstörbar ist, dann bin ich dabei", sagt der sechsfache Familienvater.
Wunsch nach "Jahr ohne Idioten"


Bei allem Ehrgeiz haben sich Voigts Perspektiven verändert: "Es ist auch verdammt schön, wenn andere gewinnen und man weiß: Du hast Ihnen dabei geholfen!" Der zweifache Gewinner der Deutschland-Tour hat in seiner Karriere viel erlebt. Wichtige Etappensiege, zwei Tage im Gelben Trikot des Gesamtführenden bei der Tour de France, schwere Stürze 2009 oder im September 2011. Umso glücklicher ist er, immer noch zur Creme de la Creme des Welt-Radsports zu zählen: "Man zahlt als Radprofi einen hohen Preis. Mir ist nicht alles in den Schoß gefallen. Wenn das von Leuten anerkannt wird, deren Wort Gewicht hat, ist das eine Auszeichnung."
Einer, der Voigt in hohen Tönen lobt, ist Johan Bruyneel, der Generalmanager von Radioshak-Nissan-Trek: "Jens ist super professionell und sehr gut für den Teamspirit. Man kann zu jeder Sekunde auf ihn zählen."
Dabei war im Spätsommer lange unklar, ob Voigt im luxemburgischen Super-Team überhaupt noch eine Rolle spielt. "Ich hing lange in der Luft. Das war keine angenehme Erfahrung", sagt der gebürtige Grevesmühlener. Auch den Zusammenschluss der Teams Radioshak und Leopard-Trek (sein bisheriger Rennstall) beobachtete er zunächst mit Skepsis: "Beim ersten Zusammentreffen war auf beiden Seiten eine Zurückhaltung spürbar. Jetzt kann ich sagen: Es läuft jetzt besser als erwartet."
Voigt will seinen Teil dazu beitragen, dass sich Erfolge einstellen. Und dass Andy Schleck endlich die Tour de France gewinnt: "Er ist mein Freund, mein Kapitän. Wir versuchen es. Er hat es drauf." Eigene Ambitionen werde er vielleicht in ein oder zwei Rennen verfolgen dürfen. Die Olympischen Spiele in London erachtet Voigt für sich eher nicht als realistische Option: "Sollte mich der Bund Deutscher Radfahrer fragen, müsste ich schauen, ob es Sinn macht. Ich muss jeden Morgen das Moos von der Schulter kratzen, so alt bin ich."
Riesig würde sich der Routinier über eine Zeitfahr-Goldmedaille durch Tony Martin freuen: "Vielleicht würde dadurch der Radsport in Deutschland wieder populärer werden. Vielleicht gäbe es dann hierzulande wieder ein, zwei Rennen mehr. Und vielleicht würden manche Sponsoren wieder mutiger." In Bezug auf die Doping-Probleme hat Voigt für 2012 ebenfalls einen Wunsch: "Ich hoffe, dass wir nicht wieder irgendeinen Idioten schnappen, der denkt: ,Ich bin schlauer als alle anderen. Ich kann dies und das machen und keiner erwischt mich.\' Das würde auch mal helfen. Ein Jahr ohne Idioten."Extra

Kurz vor dem Start der Radsport-Saison hat der zweimalige Tour-Zweite An- d reas Klöden mit Journalisten gesprochen, was er jahrelang nicht tat. Sein Schweigen - Klöden war im Zuge der Doping-Anschuldigungen aus dem Freiburger Skandal auf Tauchstation gegangen - hat offenbar ein Ende. Der 36-Jährige spricht wieder - über sein Team, über den Radsport, über seine Ziele. Auch das Thema Doping klammert Klöden nicht gänzlich aus. Wie immer nimmt er nicht Stellung zu den Anschuldigungen. Von Eigenbluttransfusionen während der Tour 2006 war da die Rede. "Es haben doch so viele Fahrer über die Zeit von damals ausgesagt. Wir sollten nicht ständig hinterfragen, was damals gewesen ist", findet Klöden. "Die Rennfahrer haben sicher darüber nachgedacht, was passiert, wenn wir unseren Sport weiter in den Ruin treiben." Man solle vergleichen, was der Radsport und was die anderen Sportarten im Anti-Doping-Kampf machen. Wenn viel kontrolliert werde, gebe es auch mehr schwarze Schafe. Ein großes Ziel hat er noch: "Ich habe eine Olympia-Medaille, war zweimal auf dem Tour-Podium, habe Rennen wie die Baskenland-Rundfahrt oder Paris-Nizza gewonnen. Ich würde mir mal wünschen, bei einer der drei großen Rundfahrten ganz oben zu stehen." dapd

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