Schiedsrichter im Amateurbereich: Wenn Verwarnungen nichts mehr helfen (Video)

Trier · Ohne sie würde es kein Fußballspiel geben, dennoch sehen sich Schiedsrichter im Amateurbereich immer wieder Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt - auch lange nach Spielende. Was Referees auf und neben den Plätzen in der Region so alles erleben und wie sie damit umgehen.

Das Schicksal des jungen Schiedsrichters schockiert Arno Görg noch immer, auch wenn der Fall schon drei Jahre zurückliegt. Der Schock, und viel mehr noch die Enttäuschung, sind ihm deutlich anzumerken, als er davon erzählt. Görg ist 60 Jahre alt. Seit Mitte der 1970er Jahre hat er als Schiedsrichter Amateur-Fußballspiele in der Region geleitet. Wenn der Mann mit der dunklen, sympathischen Stimme von seiner aktiven Zeit erzählt, wird deutlich: Arno Görg ist die Personifizierung des Begriffs "Schiedsrichter aus Leidenschaft". "Das Pfeifen", sagt der Mann aus Traben-Trarbach, "das war schon immer etwas ganz Wichtiges in meinem Leben, es gehört zu mir".

Seit 12 Jahren ist Görg Obmann der rund 100 Schiedsrichter im Fußballkreis Mosel. Er weiß, was die Referees bewegt, was sie all-sonntäglich auf den Plätzen in der Region erleben und auch, was sie nach Spielschluss oder unter der Woche so alles über sich ergehen lassen müssen. Ebenso wie jener junge Schiedsrichter aus der Region, den Görg als "großes Nachwuchstalent" bezeichnet. 17 oder 18 Jahre alt sei der junge Mann damals gewesen, als es zu diesem folgenreichen Vorfall gekommen sei.

Es ist ein Nachmittag in einem Ort in der Region, als der junge Referee nach der Schule auf den Bus wartet. "Er pfiff zu dieser Zeit noch nicht allzu lang", erinnert sich Görg, "aber es war schon klar, dass aus ihm mal was werden könnte". Beim Warten auf den Bus trifft der junge Mann auf andere Jugendliche. Man kennt sich, hat sich an den Wochenenden zuvor schon öfter auf Fußballplätzen getroffen - er als Unparteiischer, sie als Spieler. "Dort, auf der Straße, haben die Jugendlichen den Schiedsrichter dann verbal richtig fertiggemacht", berichtet der Schiri-Obmann, "es ging wohl um Entscheidungen von ihm aus den zurückliegenden Spielen".

Es kommt nicht zu körperlicher Gewalt, doch die Worte reichen: Wenige Tage später meldet sich der junge Unparteiische bei Görg. "Ihn hatte dieser Vorfall derart mitgenommen, dass er nicht weiter pfeifen wollte. Er erklärte mir, dass er sich das nicht weiter antun wolle."

Kein Einzelfall, wie der 60-Jährige betont. Speziell seit dem Aufkommen der sozialen Medien wie Facebook verlagerten sich die Anfeindungen nach Spielende zunehmend ins Internet. "Da wird oft richtig Stimmung gemacht gegen die Referees, es ist bedenklich."

"Schiedsrichter beim Luxemburger Hauptstadtderby zwischen Union Luxemburg und Hamm Benfica von Dose getroffen und verletzt", titelte das Luxemburger Wort im vergangenen Herbst. "Gewalt in der Kreisliga-C: Jagd auf Schiedsrichter in Essen", titelt das Internetportal Der Westen vor acht Wochen. Es sind Schlagzeilen wie diese, die nach beinahe jedem Fußball-Wochenende durch die Medien geistern. Großstädte wie Berlin, Hamburg oder Köln stehen dabei meist im Fokus. Doch Gewalt und Drohungen gegen Unparteiische im Amateurbereich gibt's auch auf Fußballplätzen in der Region. "Eigentlich", sagt Franz-Josef Ferring, "eigentlich sind wir hier noch im Paradies, wenn man sich mal ansieht, was Schiedsrichtern alles so auf Plätzen in anderen deutschen Städten passiert". Dennoch ist da etwas, was dem Nachwuchs-Schiedsrichterbetreuer im Kreis Trier-Saarburg große Sorgen bereitet. "Die verbale Gewalt, insbesondere gegen junge Schiedsrichter, hat extrem zugenommen."

Ferring begleitet als Schiedsrichter-Pate immer wieder Nachwuchs-Referees bei Jugendspielen im Kreis. Was er da zum Teil erlebe, so erzählt Ferring, mache ihn wütend. "Man muss sich das mal vorstellen: Da pfeifen Jugendliche, die sind 15, 16 Jahre alt, doch die werden teilweise beleidigt und angefeindet, dass einem die Haare zu Berge stehen."
Wer glaube, die Spieler seien die Übeltäter, liege falsch. "Das sind die Eltern und die Betreuer. Im Alltag sind das meist super feine Leute, doch wenn der Ball mal rollt, vergessen die alles. Da geht's für die nur noch ums Gewinnen für das Team des Sohnes oder der Tochter." Entscheide der junge Schiedsrichter dann einmal nicht nach dem Geschmack des jeweiligen Vaters oder der jeweiligen Mutter, gehe das Geschrei los. "Was man da zu hören kriegt, ist unglaublich", berichtet Ferring, "den Leuten ist gar nicht bewusst, was sie dem jungen Menschen an der Pfeife da antun." Nur logisch sei es da, dass bis zu 70 Prozent der jungen Schiedsrichter in den ersten zwei Jahren nach Beginn ihrer Karriere die Pfeife schon wieder an den Nagel hingen.

Wenn Karl-Heinz Kläs Sonntagsnachmittags zu einem Kreisligaspiel muss, merkt seine Frau das meist schon am Morgen beim gemeinsamen Frühstück. "Ein gesundes Stück Nervosität ist schon morgens da, meine Frau weiß dann immer genau, dass später für mich ein Spiel ansteht", erzählt der 59-Jährige. Seit 1989 leitet er für den SV Hetzerath Kreisliga-Spiele in der Region. 23 Euro plus Spesen erhält er pro Spiel, dafür reist er sonntags oftmals mehr als 150 Kilometer durch die Region. Kläs ist ein alter Hase an der Pfeife. Die meisten Teams, denen er auf den Plätzen begegnet, kennt er gut. Er weiß, wie er ein Spiel beruhigen kann, weiß auch, was er mal laufen lassen kann, und wo er direkt klare Kante zeigen muss. "Der Schiedsrichterjob in der Kreisliga", sagt Kläs, "den kannst du nicht wegen des Geldes machen, den machst du aus Leidenschaft, weil du den Fußball liebst".

Doch auch der 59-Jährige hat schon erlebt, wie es sich anfühlt, wenn die Stimmung auf dem Platz kippt. Vor ein paar Jahren fällt Kläs bei einer Kreisligapartie Entscheidungen, die einigen Spielern nicht passen. Sie stürmen daraufhin noch während des Spiels auf ihn zu, bedrängen und bedrohen ihn massiv. Später kommt es zu einer Verhandlung vor der Spruchkammer. "Das ist mir damals schon nahegegangen", erinnert sich Kläs. Aufhören wollte er danach dennoch nicht. "Nein, das wäre das falsche Zeichen gewesen, das war keine Option für mich." An die Polizei wendete sich Kläs damals nicht.

Geht es nach Karl-Peter Jochem, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Trier, sollten sich Schiedsrichter, die verbaler oder körperlicher Gewalt ausgesetzt sind, schon bei sich anbahnenden strafrechtlich relevanten Sachverhalten bei der Polizei melden. "Denn", so Jochem, "wir gehen davon aus, dass es insbesondere in Bezug auf Beleidigungen gegen Schiedsrichter ein großes Dunkelfeld gibt". Aus den vergangenen fünf Jahren, so Jochem weiter, seien bei den Dienststellen des Polizeipräsidiums fünf Strafanzeigen bekannt, "in denen Schiedsrichter als Opfer von Körperverletzungsdelikten registriert sind".

Wie oft Schiedsrichter im Amateurbereich tatsächlich beleidigt und angegangen werden, zeigt eine Studie des Frankfurter Psychologen Adrian Sigel. Im Rahmen seiner Masterarbeit hat Sigel sich mit Aggressionserfahrungen von Schiedsrichtern im Fußball-Amateurbereich beschäftigt und dabei über 900 Schiedsrichter befragt. Die Ergebnisse sind alarmierend: 95 Prozent aller Schiedsrichter im Amateurbereich, so hat die Studie ergeben, wurden während der Ausübung ihres Amtes bereits beleidigt, 62 Prozent wurden mindestens einmal bedroht und 27,5 Prozent wurden gar bereits tätlich angegriffen. "Aggressionen gegenüber Schiedsrichtern", so sagt Sigel gegenüber dem TV, "sind im deutschen Amateurfußball eine kontinuierliche und systematische Komponente".

Erich Schneider ist Vorsitzender des Verbandsschiedsrichterausschusses im Fußballverband Rheinland (FVR). Er könne, so erklärt er, aktuell nicht erkennen, dass die Gewaltandrohungen und Beleidigungen gegen Referees enorm zunähmen. "Gleichwohl ist jede Androhung und Beleidigung natürlich eine zu viel", sagt Schneider. Bei rund 900 wöchentlich im Verband ausgetragenen Spielen seien in der Spielzeit 2015/16 22 Tätlichkeiten gegen Unparteiische gemeldet worden, in der laufenden Saison acht, teilt Schneider mit. Um junge Schiedsrichter besser zu schützen, soll im FVR ein Patensystem helfen. Schneider erklärt dazu: "Das Patensystem ist Bestandteil des aktuellen DFB-Masterplans - hier ist der Fußballverband Rheinland einer von fünf Pilotverbänden, die das Patensystem für alle Schiedsrichterneulinge umsetzen." Vorgesehen sei die Begleitung neuer Schiedsrichter bei den ersten Spielen durch einen erfahrenen ehemaligen oder aktuellen Schiedsrichter. "Wir werden uns im FVR zeitnah mit den Rahmenbedingungen befassen und die von den Kreisen gemeldeten Paten für ihre kommenden Aufgaben schulen", erklärt Schneider.

In ein paar Wochen, wenn die Fußball-Kreisligen ihren Spielbetrieb nach der Winterpause wieder aufnehmen, wird Schiri-Obmann Arno Görg an den Wochenenden wieder an den Spielfeldrändern im Kreis Mosel stehen, um seine Schiedsrichter zu beobachten. Er sagt: "Emotionen gehören dazu, das ist klar." Was ihn allerdings beunruhige, sei die Hetze gegen Unparteiische, die sich vom Platz ins Internet oder in den Alltag verlagere. "Diese Entwicklung", gesteht Görg, "macht mir Sorgen, und da ist es an Zuschauern, Clubs und dem Verband, entschieden dagegen vorzugehen." "Sonst", so fürchtet er, "werden sich in Zukunft immer weniger junge Leute für diesen tollen Beruf des Schiedsrichters begeistern können".Mehr zum Thema

Interview mit Herbert Fandel aus Kyllburg: "Anfeindungen gegenüber jungen Schiris werden immer unverschämter" (Video) : Der frühere Fifa-Schiedsrichter über alarmierende Entwicklungen auf regionalen Fußballplätzen und wie er 2006 selbst Opfer eines tätlichen Angriffs auf dem Platz wurde

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