"Sogar meine Mutter sieht den Unterschied"

"Ist das hier das WM-Finale?" Diese Frage stellte Christoph Kramer dem Referee Nicola Rizzoli nach seinem Knock-Out im Endspiel der WM 2014. Der Satz hat ihn berühmt gemacht. Mittlerweile spielt der 24-Jährige bei Bayer Leverkusen. Mit unserer Mitarbeiterin Stefanie Sandmeier sprach Kramer im Trainingslager in Orlando (Florida) über seine Ziele mit dem Nationalteam und die Fußballkenntnisse seiner Mutter.

 Christoph Kramer. Foto: dpa

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Foto: Carmen Jaspersen (g_sport

Herr Kramer, Sie machen nach Ihrem ersten halben Jahr in Leverkusen kein Geheimnis daraus, dass Sie die Hinrunde nicht zufriedenstellt ...Christoph Kramer: Auf dem Papier stehen wir als Fünfter mit 27 Punkten, der Teilnahme am Pokalviertelfinale und an der Europa League nicht schlecht da, trotzdem sind wir mit dem Verlauf der Hinrunde alle nicht so richtig zufrieden, was ich als gutes Zeichen werte. Wir hatten alle höhere Erwartungen. Das zu sagen, finde ich nicht verwerflich.Sie sprechen die Dinge vergleichsweise offen an.Kramer: Kritik zu üben, ist ein schmaler Grat, weil sie auch falsch ausgelegt werden kann. Vielleicht sehe ich manche Dinge etwas zu negativ. Aber was ich im Nachgang zu einigen Spielen gesagt habe, damit hatte ich sicher nicht unrecht. Wir hatten sehr gute Spiele, aber eben auch einige schlechte. Darüber ärgere ich mich dann, weil ich weiß, wie gut wir sein können. Doch es fehlte die Konstanz, die notwendig ist, um in der Tabelle weiter vorne zu stehen.Fühlen Sie sich als Weltmeister in der Verantwortung, kritisch zu sein?Kramer: Das ist keine Frage nach dem Status im Team. Ich versuche immer, mit mir und Fragen zur Leistung ehrlich umzugehen.Welches Zeugnis stellen Sie sich seit Ihrer Rückkehr zu Bayer 04 aus?Kramer: Ich hatte genauso meine Schwankungen. Ich war sehr zufrieden mit den letzten Spielen vor der Winterpause. Es waren aber einige Spiele zu viel, in denen ich nicht mit meiner Leistung zufrieden war.Worin sehen Sie die Gründe?Kramer: Der Wechsel nach Leverkusen und damit verbunden der Wechsel vom Stil eines Lucien Favre zum System von Roger Schmidt war eine krasse Umstellung, die ich so nicht erwartet habe. Ich habe mir viele Spiele von Bayer angeschaut. Die Umstellung von einem Extrem ins andere, ist schon nicht so ohne. Dass mir aufgrund dessen in der Hinrunde etwas die Konstanz abging, ist vielleicht normal. Es soll auch nicht so rüberkommen, dass ich unzufrieden bin, aber es war sicher noch nicht der Christoph Kramer, wie ich ihn gerne sehen würde.Können Sie konkretisieren, was die Anpassung so schwierig macht?Kramer: Ich nenne unser System gerne ein geplantes Chaos: Extremes Gegenpressing, frühes Bälle erobern und manchmal eben geplante Ballverluste. Das ist ein anderer Ansatz als in Gladbach. Sogar meine Mutter - und die ist Laie - sieht den Unterschied. Daran muss man sich erst gewöhnen.Interessiert Sie weiterhin, was bei Borussia passiert?Kramer: Natürlich, ich treffe mich regelmäßig mit den ehemaligen Kollegen, oder schaue im Borussia-Park vorbei, weil ich mich noch sehr verbunden mit den Leuten fühle.Haben Sie Kontakt zu Lucien Favre?Kramer: Wir schicken uns ab und zu eine SMS - mehr nicht.Was kann man von Bayer 04 in dieser Saison noch erwarten?Kramer: Wir wollen auch nächste Saison Champions League spielen, also muss unser Ziel einer der ersten vier Plätze sein. Das klappt nur, wenn wir in allen Bereichen zulegen und eine bessere Halbserie spielen. Um die 60 Punkte werden nötig sein. Das hieße: Wir müssten sechs Punkte mehr holen als in der Hinrunde.Für Sie als Nationalspieler ist die EM im Sommer der Saisonhöhepunkt.Kramer: Ich hoffe, dass ich gesund bleibe und dabei bin.Wie sehen Sie die Titel-Chancen?Kramer: Von einem Weltmeister erwartet man, dass er auch um den EM-Titel spielt. Das ist sicher unser großes Ziel, doch insbesondere die K.o.-Spiele stellen eine Riesenherausforderung dar.Joachim Löw hat als Ziel den Gewinn des vierten EM-Titels ausgegeben, betrachtet dieses Turnier aber auch nur als "wichtiges Zwischenziel" auf dem Weg zur WM 2018. Wie blicken Sie auf die Europameisterschaft?Kramer: Ich habe noch nicht so viele Turniere gespielt und weiß nicht, wie klein oder groß eine Europameisterschaft ist. Für mich sind Turniere immer ein Highlight. Das schauen sich die Leute an, die Begeisterung ist groß, und für uns Fußballer ist es etwas Besonderes.Sie waren dabei, als in Paris die Anschläge verübt wurden. Trübt so etwas die Vorfreude auf ein solches Event?Kramer: Das war ein schlimmes Erlebnis. Was wir dort im Stadion erlebt haben, übertraf alles, was ich mir bis dahin vorstellen konnte. Es herrschte Ausnahmezustand. Das hat mich schon beschäftigt.Sie sind erst 24. Wie geht die Geschichte Christoph Kramer weiter?Kramer: So jung schon Weltmeister zu sein, darauf bin ich sehr stolz. Wie überhaupt die letzten fünf Jahre eine prägende Zeit waren. Ich habe mir nie ein Ziel gesetzt. Fußballer sein zu dürfen, ist ein Privileg. Mir war immer wichtig, Freude an diesem schönen Sport zu haben. Das ist mehr wert als Titel zu gewinnen.Was würden Sie gerne mal machen, wenn Sie nicht Fußballer wären?Kramer: Ach, im Moment genieße ich das und würde daran nichts ändern wollen. Aber Freunde von mir sind im WM-Jahr neun Monate durch Brasilien gereist. So etwas würde mich schon mal reizen.Stefanie Sandmeier ist Sportredakteurin bei der Rheinischen Post.

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