"Verlacht, verboten, gefeiert"

Trier · 53 000 Zuschauer jubeln den Frauen auf dem Rasen zu. Keines der Vorrundenspiele für die WM 2011 - die Szene spielte 1920 in England. Damals hatte jeder Ort auf der Insel ein Frauenfußballteam - Deutschland musste noch zehn Jahre auf sein erstes warten. Wie sich das bis heute geändert hat, zeigte Jürgen Nendza in Trier.

Trier. "Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand." 1955 verbietet der DFB mit dieser Begründung Frauen das Fußballspielen. Der Sport habe als "unweiblich" und "nichtfraugemäß" gegolten, sagt Jürgen Nendza (53) in seiner "Historische Sportschau - Zur Geschichte des Frauenfußballs" im Vorfeld des deutschen WM-Vorrundenspiels gegen Kanada (2:1) vor rund 100 Zuhörern in der Trierer Europäischen Kunstakademie.
Dabei erlebt Frauenfußball bereits in den 1920er Jahren einen Boom: in England. Frauen hätten im Ersten Weltkrieg nicht nur die Arbeits-, sondern auch die Sportbereiche der Männer erobert, erklärt Nendza, Autor des Buchs "Verlacht, verboten und gefeiert". "Jede größere Stadt hat einen Verein." 1920 sehen 53 000 Zuschauer das Spiel der Dick Kerr\'s Ladies gegen St. Helen. Es geht um viel Geld - für wohltätige Zwecke. 1921 das erste Verbot: Englische Vereine dürfen keine Plätze für Frauenfußball zur Verfügung stellen.
Den DFB-Vereinen wird 1955 untersagt, Frauenabteilungen zu gründen und ihre Stadien für Spiele zur Verfügung zu stellen. Auch Schieds- und Linienrichtern hätten saftige Geldstrafen gedroht, erzählt Nendza. "Fußball ist kein Frauensport", sagte DFB-Präsident Peco Bauwens und: "Wir werden uns mit dieser Angelegenheit nie ernsthaft beschäftigen." Das sei keine Sache für den DFB. "Er hat sich getäuscht", sagt Nendza.
Die Frauen reagieren: Sie spielen. Neue Vereine gründen sich, in Essen findet 1956 vor 18 000 Zuschauern das erste Länderspiel zwischen Deutschland und Holland (2:1) statt. In der Wochenschau spricht der Reporter von "haarnadelscharfen Schüssen" und lobt das "bestrickende Spiel" der Frauen. Beim Länderspiel 1957 Deutschland gegen Holland (4:2, 17 000 Zuschauer) gibt es Kommentare wie "die Umstellung von Haushaltsführung auf Ballführung scheint gelungen". Das zeigt der 20-Meter-Schuss von Bärbel Wohlleben vom TuS Wörrstadt. Das erste weibliche "Tor des Monats" fällt 1974 beim Finale um die deutsche Frauenfußballmeisterschaft. Erst 1970 hebt der DFB das Verbot auf. Da kicken 50 000 Mädchen und Frauen in Vereinen, heute sind es mehr als eine Million. 1970 ist auch das Jahr der ersten inoffiziellen Damen-Fußball-WM. In Ermangelung einer Nationalelf fährt der SC 07 Bad Neuenahr nach Italien. Dass 1981 mit Bergisch Gladbach eine deutsche Frauenelf Weltmeister wird, habe den DFB unter Druck gesetzt, sagt Nendza; die Frauenfußball-Nationalelf wurde gegründet. Von Jupp Derwall sei überliefert, er habe "spannende 90 Minuten" gesehen. Das zeige, wie wenig er sich mit Frauenfußball beschäftigt habe. Denn: Das Spiel dauert 70 Minuten.
Heute sind Frauen im Fußball gleichberechtigt, spielen zweimal 45 Minuten. Die WM-Spiele überträgt das Fernsehen live. Das war nicht immer so. Die erste Liveübertragung ist das EM-Halbfinale gegen Italien 1989 in Deutschland. Das Team gewinnt 4:1 gegen Norwegen. Es folgen sechs weitere Europa- und zwei Weltmeistertitel; Frauenfußball ist etabliert. Nendza: "Die Entwicklung ist positiv." 1881 erstes Spiel zweier Frauenteams in Schottland. 1894 erstes Frauenfußballteam: die British Ladies. 1921 erstes Verbot: Der englische Fußball-Dachverband verbietet Vereinen, Plätze für Frauenfußball zur Verfügung zu stellen. 1930 erster Frauenfußballclub in Deutschland: Lotte Specht gründet den 1. DFC Frankfurt. 1970 erste inoffizielle Damen-Fußballweltmeisterschaft in Italien. 1973 erster (inoffizieller) deutscher Meister wird der TuS Wörrstadt. 1974 erste deutsche Meisterschaft. 1976 erste Trainer-Lizenz von Tina Theune-Meyer. 1982 erste Frauenfußball-Nationalelf: Deutschland besiegt die Schweiz in Koblenz mit 5:1. 1984 erste Frauenfußball-EM. 1991 erste Frauenfußball-WM in China. 1996 erste Nationaltrainerin: Tina Theune-Meyer löst Gero Bisanz ab. 2001 erste Profiliga in den USA. 2002 ersten Uefa-Pokal gewinnt der 1. FFC Frankfurt.

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