Vom Überleben der Tradition

Der SV Wittlich hat in den 90ern in der Oberliga Südwest gespielt - das war zwischenzeitlich die 3. Liga. Der finanzielle Kraftakt zwang den Club aber vor fünf Jahren zum Neuanfang.

 Heute Co-Trainer in Mainz, damals beim SV Wittlich: Arno Michels (fallend) Anfang der 90er im Dress des SV. Foto: privat

Heute Co-Trainer in Mainz, damals beim SV Wittlich: Arno Michels (fallend) Anfang der 90er im Dress des SV. Foto: privat

Wittlich. Das neue Vereinsheim des SV Wittlich am Stadion am Bürgerwehr protzt nicht mit vollen Pokalschränken, einer Hartholz-Theke und rustikalen Eichenmöbeln. Von Ewigkeit ist in dem zeltartigen Alu-Glas-Kunststoff-Bau, in dem man auch gut Bier auf der Säubrennerkirmes verkaufen könnte, kaum etwas zu spüren. Doch die Vereinsmitglieder sind stolz auf das kleine, gemütliche Heim des SV. Vor einigen Jahren wäre sein Bau nicht denkbar gewesen.

Horst Lützig, seit 1995 im Verein, beugt sich zur Erklärung über den Plastiktisch, der in der Mitte des Zelts steht. "Durch einen finanziellen Kraftakt sind wir in die Schulden gerutscht. Heute haben wir Gottseidank keine Zahlungsverpflichtungen mehr." Der "finanzielle Kraftakt" - das waren die fünf Jahre in der Oberliga Südwest in den von 92 bis 97. Das Stadion zeugt heute noch mit seiner großen, 3000 Menschen fassenden Tribüne von einer Zeit echter Derbys in Deutschlands dritthöchster Spielklasse: gegen Eintracht Trier, den Erzrivalen FSV Salmrohr und Borussia Neunkirchen.

Der Grundstein für den Aufstieg in die Oberliga wurde Mitte der 80er-Jahre gelegt. Die damalige B-Jugend, die später das Hauptpersonal für das Drittliga-Team stellte, war äußerst erfolgreich (siehe Extra).

Die Spieler aus der eigenen Jugend wurden durch Neuverpflichtungen ergänzt: Viele neue Namen, kaum einer blieb im Gedächtnis. Franko Zwang, damals Torwart in der Oberliga, versucht sich zu erinnern: "In der ersten Saison haben wir diesen Isländer geholt, der in der Abwehr alles weggeköpft hat. Damit könnten wir den Klassenerhalt schaffen." Jener kopfballstarke Nordmann hieß übrigens Hafthor Sveinjonsson und starb 2007 in Burwell, England. Er spielte laut Auskunft des isländischen Fußballverbandes in den Jahren 1982 und 1983 dreimal für die Nationalmannschaft. "Der war echt gut. Ich will aber nicht wissen, wie viel der gekostet hat", sagt Zwang.

Das musste er damals auch nicht wissen: Um die Finanzen des Vereins kümmerte sich jahrelang der vor kurzem verstorbene, langjährige Vorsitzende Klaus Ertz. "Ertz hat der Verein geordnet und die Stadt für den SV Wittlich begeistert", sagt Lützig. "Er wollte unbedingt in die Oberliga und hat immer wieder nach Neuverpflichtungen gerufen. Dann hat er einen Spielerberater kontaktiert und Spieler eingekauft." So wie in der Saison 93/94: "Plötzlich standen fünf Argentinier und zwei Ungarn auf dem Platz", erinnert sich Marc Teusch, unter anderem Stadionsprecher des Vereins. Zunächst mit Erfolg: In der zweiten Oberliga-Saison erreichte das Team immerhin Platz neun. Doch trotzdem zieht sich diese Saison als Bruch durch die Vereinsbiografie. "Die Liga wurde reformiert. Die Regionalliga wurde die neue dritte Liga. Die Oberliga war viertklassig und damit praktisch nichts mehr wert", sagt Lützig. Die Konkurrenten aus Trier und Salmrohr stiegen auf, damit fielen auch die zuschauerträchtigen Derbys weg. Im Viertliga-Alltag standen auch damals schon Geisterspiele gegen Reserve-Mannschaften (Kaiserslautern II und Saarbrücken II) auf dem Programm. "Und auch auf die Fernsehgelder in Höhe von rund 50 000 Mark mussten wir verzichten", erinnert sich Lützig.

Nach und nach wanderten die Leistungsträger ab. In der Saison 96/97 reichten die Kräfte der ständig neuformierten Mannschaft dann nicht mehr: In der entscheidenden Partie gegen den Abstieg am letzten Spieltag- das wegen einer Platzsperrung ausgerechnet auf den Sportplatz des FSV Salmrohr verlegt werden musste - gab es ein 0:2 gegen die TSG Pfeddersheim.

Die Mannschaft erholte sich nicht von diesem Rückschlag: 98/99 folgte der Abstieg in die Landesliga, ein Jahr später ging es runter in die Bezirksliga. Der SV Wittlich verlor die Ordnung: Nach der Saison 02/03 folgte sogar der Zwangsabstieg in die A-Klasse: Der Verein konnte keinen Schiedsrichter stellen. Ein radikaler Umbruch musste her.

Die neuen Macher des Vereins haben sich derweil im Zelt im Stadion versammelt. Kaum einer ist älter als 40, einige von ihnen sind Rückkehrer von anderen Clubs. Es ist der neue Vorstand. "Wir nennen das lieber Arbeitskreis", sagt Franko Zwang, der sich heute "Verwaltungsrat" des SV nennt. Die Hierarchien wurden abgeschafft. "Jeder, der was im Verein leistet, darf auch mitentscheiden. Wir sind basisdemokratisch", fügt Zwang hinzu. Und bei der wichtigsten Entscheidung für die Zukunft waren sich fast alle einig: "2005 hätten wir den Verein auch einfach in die Insolvenz bringen können. Dann hätten wir aber auch den Vereinsnamen ändern müssen. Das hätte keiner übers Herz gebracht", sagt Zwang. "Unsere Zeit in der Jugend war viel zu schön - das wollen wir auch dem heutigen Nachwuchs weitergeben." So kehrt nach und nach ein Stückchen Ewigkeit nach Wittlich zurück.

Der SV Wittlich 1912 ...

… hat 362 Mitglieder. Die erste Mannschaft spielt heute in der A-Klasse. … hatte eine der erfolgreichsten Jugendmannschaften in Rheinland-Pfalz. Franko Zwang, damals Torwart, heute im Vorstand, erinnert sich: "Mit Spielern wie Markus Kuhnen, Jörg Stölben, Kalle Gräfen haben wir 1984 die Rheinlandmeisterschaft gewonnen. Danach spielten wir um die deutsche Meisterschaft, schieden aber im Achtelfinale gegen den 1.FC Nürnberg aus." … wurde 1908 als FC Wittlich gegründet und spielte damals noch auf dem Viehmarktplatz. Das Stadion am Bürgerwehr wurde 1929 errichtet und ist bis heute Heimstatt des SV … spielte 53/54 in der 1. Amateurliga, der höchsten Klasse im Rheinland.

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