Wie der deutsche Radsport zu neuen großen Zielen aufbricht

Bern · Zehn Jahre nach der Gipfel-Zeit von Team Gerolsteiner will der deutsche Radsport zu neuen Ufern aufbrechen. Der TV hat sich am Rande der Tour de France in Bern mal in dieser Sache umgehört.

Bern. "Mit dem Selbstvertrauen, das ich vor dem Unfall in mich und meine Fähigkeiten hatte, wäre am Montag mehr drin gewesen. So blieb halt nur Rang vier." John Degenkolb blieb nach dem dritten Tagessieg von Weltmeister Peter Sagan bei der Etappe am Montag nur ein bedauerndes Achselzucken.
Der Mann, der immer noch nicht ganz von den Folgen des Zusammenstoßes mit einem Auto im Wintertraining geheilt scheint, war aber bei der obligatorischen Ruhetags-Pressekonferenz am Dienstag nicht einmal der begehrteste Gesprächspartner. "Dege" wird das Team Giant Alpecin 2017 verlassen. Beim neuen Modell "In 2000 Tagen zur Spitze" wird der Paris-Roubaix-Sieger des vergangenen Jahres nicht mehr dabei sein.
Mit dem internationalen Reiseveranstalter Sunweb hat sich der Rennstall einen neuen Partner gesucht, der auf dem deutschen Markt stärker Fuß fassen möchte. Mindestens drei Jahre lang wird sich Sunweb als Hauptsponsor an das deutsche Team binden. Von "gemeinsamen Zielen und Ambitionen" spricht Teammanager Iwan Spekenbrink, ein Insider mit großem Netzwerk im Radsport. Wachsen wolle man weiter mit dem neuen Partner, deutsche Talente fördern und an die internationale Spitze heranführen. Dabei soll es sich möglichst nicht nur um Spezialisten wie Tony Martin (Zeitfahren), Marcel Kittel oder André Greipel (Sprinter) handeln, sondern auch um ein Juwel, das in der Lage sein soll, eine der drei großen dreiwöchigen Rundfahrten (Tour, Giro, Vuelta) zu gewinnen.
Vor allem vor dem Hintergrund der revitalisierten Deutschland-Tour, die ab 2018 wieder stattfinden soll, gewinnt dieses Ansinnen an zunehmender öffentlicher Wahrnehmung. Derlei Ambitionen hatte man in der Eifel um Hans-Michael Holczer vor gut einem Jahrzehnt auch: Nach dem ersten Tour-Etappensieg von Team Gerolsteiner durch den Österreicher Georg Totschnig im Jahr 2005 und dem Trikot des besten Kletterers durch den Österreicher Bernhard Kohl schien Team Gerolsteiner der Weg zum Radsport-Olymp geöffnet. Doch es kam anders: Am 4. September 2007 gab Gerolsteiner bekannt, den Ende 2008 auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern. Die Doping-Affären um den entlarvten Bernhard Kohl, um Stefan Schumacher und das beschädigte Image des Radsports in der Öffentlichkeit führten dann gar zum abrupten Ende.
Jetzt zehn Jahre später hat sich offenbar eine neue Allianz gefunden, die es zumindest einmal versuchen will, möglichst oben anzukommen. Die Voraussetzungen, um in und mit dem deutschen Radsport ein neues Feuerwerk zu zünden, wurden bei der Tour also schon einmal gelegt. Um den Funken dafür auch wirklich überspringen zu lassen, dafür gab es jetzt in Bern schon einmal den ersten (verbalen) Zunder.

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