"Wir geben unser gesamtes Leben preis"
Trier/Dortmund · Für Olympia-Kandidat Richard Schmidt hat die heiße Phase der Vorbereitung auf die Sommerspiele 2012 begonnen. Die Trainer begutachten die Leistungen des Trierer Ruderers ganz genau. Auch die Doping-Jäger werfen ihre Augen verstärkt auf Spitzensportler wie ihn.
Trier/Dortmund. Er ist auf der Zielgeraden, doch die wird lang und länger. Richard Schmidt kann erst nach den Olympischen Sommerspielen 2012 in London an der TU Dortmund sein Bachelor-Studium des Wirtschaftsingenieurwesens beenden. "Ich habe in den nächsten Monaten nicht mehr so viel Zeit für die Klausuren", sagt der 24-Jährige.
Der Traum von Olympia fordert ihn abseits der Hörsäle. Im Kraftraum. Im Ruderboot. Im Winter und Frühjahr entscheidet sich, ob Schmidt wie geplant einen Platz im Deutschland-Achter einnimmt. Dem knallharten Selektionsmechanismus blickt er mit Freude, aber auch mit einem etwas mulmigen Gefühl entgegen.
Trainingscamps in Italien und Spanien, danach mehrere Rennen - Schmidts Programm der kommenden Monate steht fest. Auch die Anti-Doping-Kämpfer wollen haargenau wissen, was er in nächster Zeit so treibt. Spitzensportler wie Schmidt stehen vor den Olympischen Spielen besonders im Fokus der Kontrolleure. Der gebürtige Trierer zählt zum 650-köpfigen sogenannten "Registered Testpool" (RTP) der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada). Wer zu dieser Gruppe zählt (A-Kader-Athleten aus von der Nada festgelegten Risikosportarten), wird am intensivsten kontrolliert - im Jahr 2010 war das im Schnitt 4,71 Mal der Fall.
Schmidt erinnert sich an vier Kontrollen in diesem Jahr. Aufgesucht wurde er am Tag nach dem WM-Sieg mit dem Deutschland-Achter im slowenischen Bled. Hinzu kamen Besuche im Trainingslager und zu Hause in Dortmund. Schmidt musste jeweils Urin und Blut lassen.
Als RTP-Athlet hat der Ruderer strenge Meldepflichten zu erfüllen. Gemäß den Vorgaben der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) muss er für jedes Quartal im Vorfeld detaillierte Angaben über Aufenthaltsorte und Erreichbarkeiten machen. Obwohl er rund um die Uhr kontrolliert werden darf, muss er zudem für jeden Tag eine Stunde zwischen 6 Uhr und 23 Uhr angeben, in der er an einem bestimmten Ort für Dopingkontrollen erreichbar ist. Die Angaben müssen so präzise sein, dass der Kontrolleur den Athleten ohne vorheriges Telefonat finden kann. Telefonkontakt ist nämlich untersagt.
Chip-Lösung - wie bei Hunden
Schmidt sieht diese Vorgaben kritisch: "Wir geben unser gesamtes Leben preis. Und woher soll ich wissen, was ich in drei Monaten mache? Wir können die angegebene Stunde zwar kurzfristig ändern, aber wie schnell vergisst man das." Die Folgen könnten fatal sein. Wenn jemand für die Kontrolleure in der benannten Stunde nicht erreichbar ist, gilt dies als "Misstest". Nach drei Misstests wird ein Sportler gesperrt.
Um sich im Freizeitverhalten am Abend nicht mehr als nötig einzuschränken, gibt Schmidt als 60-minütiges Zeitfenster meist die Stunde zwischen 6 Uhr und 7 Uhr morgens an. Als clever erachtet er die Ein-Stunden-Regelung übrigens nicht: "Wer dopen will, kann das auch unter Umgehung dieser Vorgabe."
Um die Aufenthaltsorte einzugeben, steht den Sportlern das sogenannte Adams-Meldesystem zur Verfügung. Ein internetbasiertes Programm, das Schmidt als "schrecklich kompliziert und schlecht programmiert" charakterisiert. Das Benutzerhandbuch für Athleten umfasst 83 Seiten. Zum 22. November soll es eine neue, nutzerfreundlichere Version des Programms geben. Ob\'s was bringt? Schmidt bleibt skeptisch.
Er könnte sich andere Lösungen vorstellen: "Vielleicht sollte man uns wie Hunden einen Chip einsetzen, über den wir geortet werden können. Dann hätten wir nicht den Stress mit den ganzen An- und Abmeldungen", meint er - wenn auch mit einem Augenzwinkern. Grundsätzlich liegt er aber auf einer Wellenlänge mit Tischtennis-Ass Timo Boll. Dessen Vorschlag: Profisportler sollten zwecks Ortung einen GPS-Empfänger tragen.
Mehr als 150 deutsche Spitzensportler haben sich bislang bei den Datenschutz-Beauftragten des Bundes und der Länder beschwert, weil sie unter anderem das Adams-Meldesystem als massiven Eingriff in die Intimsphäre betrachten. Schmidt gehört nicht dazu, doch auch er wirkt genervt. Gleichzeitig sagt er: "Ich mache das alles, weil ich für einen sauberen Sport stehe."
In puncto Regeln, Tests und Analyseverfahren erachtet er die deutschen Standards als weltweit führend. "Es ist ärgerlich, dass nicht überall die gleichen Standards gelten. Nur so aber macht ein globaler Anti-Doping-Kampf Sinn. Gelingt der nicht, fühle ich mich verarscht."
Abschreckung übers Geld
Zähneknirschend nimmt Schmidt die Einschränkungen in Kauf. Bei den Melderichtlinien, bei der Ernährung ("Die Sorge ist groß, dass man unbewusst etwas Verbotenes zu sich nimmt."), bei der Medikation. "Im Falle einer Krankheit darf ich in 60 bis 70 Prozent der Fälle verschriebene Medikamente nicht nehmen, da sie Substanzen enthalten, die auf der Dopingliste stehen. Ich halte immer Rücksprache mit unserem Mannschaftsarzt, der die Liste genau kennt." Schmidt kann meist ausschließlich auf homöopathische Mittel setzen. "Das führt dazu, dass ich manche Erkältung nicht nach einer Woche, sondern erst nach zwei Wochen auskuriert habe."
Auch wenn er verschiedene Bestimmungen für Unsinn hält, plädiert Schmidt für einen harten Anti-Doping-Kampf. Strenge Kontrollen sind das eine, finanzielle Aspekte das andere. Abschreckung über den Geldbeutel - Schmidt findet das gut.
Der Trierer ist im Elite-Förderprogramm der Deutschen Sporthilfe. "Wer gegen das Anti-Doping-Regelwerk der Nada verstößt, fällt nicht nur aus der Förderung. Die Sporthilfe kann dann auch bislang gezahltes Geld zurückfordern", erklärt Schmidt. "Da wir alle auf die Zahlungen der Sporthilfe angewiesen sind, wäre das richtig brutal."