Sport TV-Serie Spochtipedia: Fabian Hambüchen über das Turnen

KONZ · Weltmeister, Olympiasieger, Sportler des Jahres und hungrig auf alles, was jetzt kommt: Wie Turner Fabian Hambüchen den Spagat zwischen gestern, heute und morgen meistert. Der TV hat mit dem 30-Jährigen am Rande des Kinderturnfests in Konz über seinen Sport gesprochen.

 Fabian Hambüchen hat seine Karriere nach dem Höhepunkt mit dem Olympia-Gold in Rio 2016 beendet. Aber auch bei den olympischen Winterspielen ist das frühere Turn-Idol am Start – als Kommentator.

Fabian Hambüchen hat seine Karriere nach dem Höhepunkt mit dem Olympia-Gold in Rio 2016 beendet. Aber auch bei den olympischen Winterspielen ist das frühere Turn-Idol am Start – als Kommentator.

Foto: picture alliance / dpa/Lukas Schulze

Irgendwann, und dessen ist er sich ziemlich sicher: „Irgendwann wird es mir auch so gehen wie Christian.“ Christian Hambüchen ist nicht nur vier Jahre älter als sein Bruder Fabian. Nein, er hat ihm noch etwas anderes, viel Wesentlicheres voraus: „Christian steht mittlerweile morgens schmerzfrei auf. Ihm tun jetzt keine Knochen mehr weh. Aber er hat ja auch früher aufgehört mit der Turnerei als ich“, sagt Fabian.

15 Jahre Leistungssport, das ist die Hälfte seines bisherigen 30-jährigen Lebens, hat er seinem Körper zugemutet. Schinderei, Quälerei. Tag für Tag stundenlange Kraftakte an Stangen und Holmen. Waghalsige Sprünge, Salti, Drehungen, knallharte Landungen. Zirzensische Flugteile. Zupacken, die Wucht des hinauskatapultierten eigenen Körpers auffangen, sie ausbalancieren, in neue physikalische Energie umsetzen.

Vorbeigreifen, hinfallen. Schmerzen. Aufstehen. Weitermachen, immer nur weiter. Dieser nur scheinbar so zähe, stabile, in Wirklichkeit aber sehr fragile Apparat aus Knochen, Sehnen, Muskeln, Knorpeln und Faszien steckt fortwährend in einem Stakkato wüster Schläge und Erschütterungen.

„Ja“, sagt Fabian Hambüchen und lächelt dabei nicht minder gequält: „Ja, man kann seinem Körper durchaus angenehmere und wohl auch förderlichere Dinge zumuten, als jeden Tag sechs bis acht Stunden Kunstturn-Training. Und das über Jahre hinweg.“

Mitunter krieche er morgens nach dem Aufstehen erst mal durch die Wohnung, bis er die Vertikale erreicht hat. „Gestern hab‘ ich einem Kumpel beim Umzug geholfen. Das merke ich dann am nächsten Tag schon.“ Die kaputte Schulter, die ihn fast Rio 2016 gekostet hätte, ist dagegen in Ordnung. „Die ist okay nach der OP.“

Ohnehin habe er bis auf einen Abriss der Achillessehne vor ein paar Jahren nie eine richtig schwerwiegende Verletzung gehabt. Was auch ein Verdienst seines ihn trainierenden Vaters sei. „Der hat immer sehr darauf geachtet, dass der Bogen der Belastungen nicht überspannt wird. Er ist bei all dem Pensum immer sehr verantwortungsvoll vorgegangen.“

Auf einer kleinen Bank am Rande der Saar-Mosel-Halle in Konz haben wir uns niedergelassen. Gau-Kinderturnfest. Um uns herum: gepflegtes diszipliniertes Chaos: Die Halle voll mit lärmenden tobenden, turnenden, „kleinen zukünftigen Hambüchens“. „Ich war fünf, als ich meinen ersten Wettkampf absolvierte“, erzählt der Reck-Olympiasieger von Rio 2016. Die Turngemeinde Konz hatte in einem Casting einen Tag mit dem Vorturner der Nation gewonnen.

Doch aus dem Mann, der mit seinen Auftritten, seinen Titeln (Weltmeister, Olympiasieger, Sportler des Jahres), der spektakulären Reck-Kür seinem Sport das Attribut des „Kunst“-Turnens verliehen hat, ist inzwischen so etwas wie ein „Früh-Rentner“ geworden.

Bei der deutschen Mannschaftsmeisterschaft Ende letzten Jahres hat er seinen letzten Wettkampf geturnt. Einer, der „mindestens so emotional war wie die Kür von Rio. Nur eben anders.  Meine letzte Übung war am Boden. Aber emotional so richtig gepackt hat es mich vorher am Reck. Mit diesem Gerät verbinde ich alles. Danach wusste ich: Das war’s. Aus, vorbei. Das war so ein Moment, da hab sogar ich ein bisschen am Wasser gebaut.“

Rio sei der perfekte Abschluss seiner Karriere gewesen. „Da bin ich mit einer ganz anderen Erwartungshaltung hingeflogen als acht Jahre zuvor nach Peking. Dort war ich Favorit und habe es verbockt. In Rio war ich froh, dass ich trotz der lädierten Schulter überhaupt noch einmal dabei sein konnte. Ich war mit mir im Reinen. War auch psychisch auf der Höhe, nicht nur körperlich. Und ohne das Mentale geht’s nicht.“

Und jetzt? Nach Rio? Was nun, Fabian Hambüchen? Der Mann, das erzählt er frei heraus, steckt voller Pläne. Ist berauscht von Enthusiasmus, hungrig auf das Leben danach. Am Wochenende ist er nach Pyeongchang  geflogen, wo er während der Olympischen Spiele für Eurosport im Einsatz ist. Für Tokio 2020 ist er schon fest gebucht als Kunstturn-Experte.

„Ich hab das Gefühl, als müsste ich jetzt alles auf einmal ausprobieren. Das Leben steckt jetzt voller spannender Sachen.“ Dinge, auf die er sein halbes Leben lang hat verzichten müssen, sind jetzt eine neue, süße und vor allem reale Verlockung: „Vor kurzem war ich bei Markus Wasmeier. Der Wasi hat mir das Skifahren beigebracht. Das wäre ja früher nie möglich gewesen wegen des Verletzungsrisikos.“

Die Anfragen, die Termine häufen sich bei ihm. Der Name Hambüchen lässt sich vermarkten. „Ich kann jetzt ganz gut leben von meinem Namen“, sagt er und relativiert: „Natürlich sind das andere Dimensionen als bei einem Fußball-Superstar wie Neymar oder Ronaldo. Aber darauf bin ich nicht neidisch. Fußballer müssen auch was leisten. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Das gelingt nur ganz wenigen.“ Dazu baut er zusammen mit seiner Familie zu Hause in Wetzlar noch ein Haus. „Also über Beschäftigungslosigkeit kann ich im Moment  nicht klagen.“

Jetzt, wo er nicht mehr jeden Tag in der Halle steht, die körperliche Betätigung  immer weniger Raum einnimmt, „suche ich mir meinen Platz im Fitness-Bereich. Ich bin ja viel unterwegs, und da nutze ich jede Möglichkeit, etwas für mich zu tun.“ An die Geräte gehe er „nur noch ab und zu. Aus Spaß.“ Aber abtrainieren im eigentlichen Sinne, so wie es viele Leistungssportler tun müssen, das geht halt bei einem Turner nicht. „Ich kann ja nicht gut einen halben Salto schlagen.“

Nun, da er auch innerlich mit der Karriere als Kunstturner abgeschlossen habe, sei er nach allen Seiten offen. „Aber wenn ich was mache, dann mit Energie und Herzblut.“ In den Kampf gegen das organisierte Doping wolle er sich zukünftig einbringen. „Aber es ist halt verdammt schwer, in diese Strukturen einzubrechen.“ Vor kurzem, so erzählt Hambüchen, „war ich noch in Lausanne und habe mit Thomas Bach lange und intensiv darüber gesprochen.“ Die Missverständnisse, die er nach Olympia mit dem IOC-Präsidenten gehabt  habe, seien inzwischen „ausdiskutiert und erledigt.“

Unter all den neuen vielfältigen Aktivitäten soll aber sein Sportstudium in Köln, das er derzeit immer noch absolviert,  nicht leiden. Seine Mutter, so gibt er preis, sei die treibende Kraft dafür gewesen, dass er neben der Turnerei noch sein Abi gemacht hat. Heute sei er ihr dankbar dafür. „Ich hatte kein Hobby, keine anderen Interessen. Mein Leben bestand nur aus Turnen.“ Irgendwann habe er dann gemerkt, „dass du irgendwie verblödest, wenn du nix als Turnen machst.“ Deswegen auch das Studium.

Mit einem Auge ist Hambüchen während des Gesprächs immer bei den Kleinsten, die an und zwischen den Geräten im wahrsten Sinn des Wortes herum turnen. Er selbst vollzieht jetzt seinen eigenen Spagat. Den zwischen dem was war, was ist, und dem was kommt.

 Magnesia gehört dazu: Die Sportler trocknen sich damit die Handinnenflächen, damit ihre Haut beim Umfassen der Holme von Barren oder der Stangen des Recks nicht zu stark haftet.

Magnesia gehört dazu: Die Sportler trocknen sich damit die Handinnenflächen, damit ihre Haut beim Umfassen der Holme von Barren oder der Stangen des Recks nicht zu stark haftet.

Foto: picture alliance / dpa/Bernd Thissen

Ein kleiner Junge hat seinen Gymnastikball, der auf uns zurollt, verloren. Fabian nimmt den Ball auf, gibt ihm dem Jungen wieder, der ihn interessiert anschaut und dann die Frage herauspresst, die ihm offensichtlich auf der Zunge liegt: „Turnst du nachher mit uns?“-  „Nein“, entgegnet ihm der so Gefragte und blickt dabei ein wenig versonnen: „Heute turne ich nicht mehr. Früher, da habe ich auch geturnt.“ Aber das sind Geschichten aus einem anderen Leben.

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