Tannenbaum statt Kienbaum: Turnerinnen bei Olympia

Tokio (dpa) · Die Trainer stießen bis zum „Last Call“ an der Hotelbar an: Mit einem nie für möglich gehaltenen siebten Platz bei der Turn-WM in Tokio haben die deutschen Frauen gleich im ersten Anlauf die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012 in London geschafft.

Die Vision „Tannenbaum statt Kienbaum“ ist Wirklichkeit geworden. „Wir sind wahnsinnig froh, denn in Kienbaum kann man nicht Weihnachten feiern“, meinte Cheftrainerin Ulla Koch, nachdem ihre Schützlinge mit 221,163 Punkten als drittbestes Team Europas nicht nur die London-Tickets gebucht, sondern auch als erst zweite deutsche Riege nach 2001 ein Team-Finale erreicht hatten. Alle Mannschaften auf den Plätzen 9 bis 16 müssen nun auf die zweite Chance hoffen, den Deutschen hätten in diesem Falle vor dem Jahreswechsel quälende Trainingswochen im Camp Kienbaum gedroht.

Die neuen Hoffnungsträgerinnen des deutschen Turnens hatten das beste Ergebnis einer deutschen WM-Riege seit 1989, als in Stuttgart das DDR-Team auf Platz fünf gekommen war, auch viele Stunden später nicht richtig verarbeitet. Keine konnte im Hotel Tokyo Prince ein Auge zumachen. So kam der ARD-Kamera-Dreh am Zojoji-Tempel und beim Markt im nahe gelegenen Shiba Koen Park am Sonntag zur Entspannung gerade recht.

Zuvor hatten sie nicht nur mit Bravour ihren Wettkampf bestritten, sondern auch sieben Stunden lang auf den Tribünen gebangt, dass nicht doch noch andere Teams vorbeiziehen. Gegen 21.30 Uhr Ortszeit waren die Frauen in den weißen Trainingsjacken im Metropolitan Gymnasium schließlich die glücklichsten Turnerinnen der Welt und lagen sich lachend in den Armen. Nach langer Durststrecke zwischen 1992 und 2008 sind die deutschen Frauen zum zweiten Mal hintereinander bei Olympia dabei.

„Diese Stunden des Wartens waren viel schlimmer als Training oder Wettkampf. Nun ist das große Ziel geschafft: Diese WM ist schon jetzt unglaublich“, sagte Vize-Europameisterin Elisabeth Seitz, die mit 56,733 Punkten als Siebte souverän ins Mehrkampffinale einzog. Da konnte sie auch verkraften, dass sie ihr zweites großes Ziel, den Einzug ins Stufenbarren-Finale, knapp verpasste. Dafür präsentierte die Mannheimerin dort ihr selbst kreiertes Element, den Aufschwung von unteren zum oberen Holmen mit ganzer Drehung, der nun den Namen „Seitz“ tragen wird. Im Mehrkampf-Finale wird sie von der ein Jahr jüngeren Nadine Jarosch (Detmold/12.) begleitet.

Altmeisterin Oksana Chusovitina greift sogar nach ihrer elften WM-Medaille. Mit zwei sauber gestandenen Sprüngen kam die 36-jährige Olympia-Zweite auf Rang zwei. „Das war fast perfekt, aber viel wichtiger war der Erfolg der Mannschaft“, sagte die Wahl-Kölnerin. Chusovitina hatte gravierenden Anteil daran, dass die Riege mit 57,832 den zweitbesten Team-Wert noch vor Olympiasieger China und Russland verbuchte.

Dennoch war der „Schlüssel des Erfolges der Balken“, wie es Sportdirektor Wolfgang Willam ausdrückte. „Ich ziehe den Hut: Alle waren topfit auf den Punkt“, lobte er. Kein Absturz vom Zittergerät - allein das ist Beleg für harte Trainingsarbeit der vergangenen Wochen. Die Cheftrainerin sprach daher von einem „Quantensprung“ nach Rang 14 im Vorjahr. Als „schrecklich“ bezeichnete sie das „Hoffen, Bangen und Rechnen“ auf der Tribüne der Olympiahalle von 1964. „Man trinkt Wasser und nimmt eine Aspirin, um die Nerven im Zaum zu halten“, schilderte sie.

Top-Favoriten im Finale sind auch ohne ihre verletzte Sprung-Weltmeisterin Alicia Sacramone die US-Girls (234,253) die den Vorkampf mit drei Punkten vor Titelverteidiger Russland (231,062) für sich entschieden.

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