Sportler des Jahres Der Kleine mit den großen Würfen

BADEN-BADEN · Corona zum Trotz: Auch fürs ablaufende Jahr werden die Sportler des Jahres gekürt – nach einer Saison, die für die meisten kürzer war und in der nur wenige Events von internationalem Rang stattfinden konnten. Einige der möglichen Sieger, die am Sonntag vorgestellt werden (siehe Extra) porträtiert der TV im Vorfeld.  Los geht’s mit  Niko Kappel, Paralympics-Sieger von Rio 2016 und seit diesem Jahr auch neuer Weltrekordler im Kugelstoßen.

 Niko Kappel

Niko Kappel

Foto: dpa

Mit der flachen Hand und voller Vergnügen schlug sich Niko Kappel bei der Pressekonferenz vor der Ehrung der Sportler des Jahres in einem Baden-Badener Hotel auf die kräftigen Oberschenkel – und sagte in Richtung seines Nebenmanns freudestrahlend: „Jojo, bei Dir isch des net so, dass D‘ im Keller was mache kannsch. Bei mir scho!“ Der Paralympics-Sieger  von Rio 2016 und seit diesem Jahr auch neuer Kugelstoß-Weltrekordler (14,30 Meter) hatte – im derzeit angesagten Abstand – einen Gesprächspartner an seiner Seite, bei dem ein Indoor-Training in der Tat mit unüberbrückbaren Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre:  Johannes Vetter, im Athletenkreis nur „Jojo“ genannt, schleuderte den Speer in diesem Jahr nahe an die 100-Meter-Marke heran (97,76 Meter). Nur 72 Zentimeter fehlten seit der einschneidenden Regeländerung mit dem ultraleichten Sportgerät vor mittlerweile 34 Jahren (Verlegung des Schwerpunkts nach vorn und damit Beeinträchtigung der Flugeigenschaft) zum Weltrekord von Jan Zelezny. Vetters Resultat an diesem Tag bedeuteten Deutschen Rekord und Weltjahresbestleistung.

Kappel, der Mann, der die Kugel statt des Speers wie kein Zweiter in seiner Behindertenklasse beherrscht, gelang 2020 das, was Vetter knapp verwehrt blieb. Seine 14,30 Meter, erzielt bei einem Wettkampf in Bad Boll, bedeuteten eine neue Bestmarke. Elf Zentimeter mehr als zuvor sein britischer Dauer-Konkurrent Kyron Duke. Kappel ist ein Mensch, der mit Widrigkeiten umzugehen weiß. Und dies weiß Gott nicht nur wegen seiner Kleinwüchsigkeit, sondern auch, weil er „ein Tüftler isch“, wie sich der Mann aus dem württembergischen Welzheim im schwäbischen Dialekt selbst beschreibt.

Im heimischen Keller hat er sich deshalb eine Trainingsstätte eingerichtet. Mit Hanteln und  Gewichten. Aber auch mit einer Möglichkeit, die Kugel mit der von ihm praktizierten Drehstoß-Technik an eine gegenüberliegende, gedämmte Wand in Wettkampf-Geschwindigkeit zu stoßen.

Vor allem aber sein Kraftlevel zu halten, war Voraussetzung für Bestweiten in kommenden Wettkämpfen. Mit seinen 1,40 Meter Größe stemmt Niko 215 Kilo. Er habe sich in seinem eigenen Trainingsleistungs-Zentrum „mit dieser ruhigen Zeit anfreunden können“, erzählte Niko, als er von seinen persönlichen Erfahrungen in der Corona-Krise berichtete.

Sein Ziel, auf das er konzentriert hinarbeitet: Gold bei den Paralympischen Spielen in Tokio, die auf das nächste Jahr verschoben wurden. Unter welchen Umständen auch immer. Kappel, Mitglied der Leichtathletik-Abteilung und Fan des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart, ist aber auch jemand, der über den Tellerrand hinausblickt. Als Mitglied der CDU-Fraktion sitzt er im Rat seiner Heimatstadt Welzheim, engagiert sich kommunalpolitisch.

Vor dem Hintergrund und dank der Möglichkeiten seiner Prominenz sieht er sich auch als einen Mittler für gelebte Inklusion. Wann immer er dazu die Gelegenheit hat, versucht Niko Kappel, den paralympischen Sport mehr ins Bewusstsein der Menschen zu rücken und „ein paar Minuten mehr im Fernsehen zu bekommen. Nicht nur dann, wenn wir den Medaillenspiegel aufhübschen sollen.“

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