WM ohne Krönung: Hambüchen verpasst Reck-Medaille

Tokio (dpa) · Nach seiner Reck-Show brüllte er ein lautes „Yeah“ Richtung Hallendecke, doch ein winziger Hüpfer beim Abgang hat Fabian Hambüchen in Tokio die erhoffte Medaille verwehrt.

Zuvor hatte er alle Flieger spektakulär über die Stange gebracht und Szenenapplaus von den 6500 Fans im Metropolitan Gymnasium erhalten. Doch schließlich reichte es nur zu Platz vier. Damit blieb es für die Deutschen bei den WM-Silbermedaillen für Oksana Chusovitina am Sprung und Philipp Boy im Mehrkampf.

„Nach Uchimura habe ich nur gedacht: Scheibenkleister. Das ist schon bitter, wenn man mit ansehen muss, wie andere vorbeiziehen“, meinte Hambüchen leicht geknickt. „Doch nach meiner Operation im Januar hatte ich kaum geglaubt, dass ich dieses Jahr überhaupt turnen kann“, sagte er. Sein Rivale Philipp Boy riskierte im Finale alles, vergriff sich aber beim Adler mit halber Drehung und stürzte ab.

Hambüchen musste als Erster an das Gerät, bewies Nerven wie Drahtseile bis zur Landung, bei der die Referees ein Zehntel abziehen mussten. Gerade dies kostete ihn bei 16,237 Punkten hinter Olympiasieger Zou Kai (16,441) und Titelverteidiger Chang Chenglong (beide China/16,366) die Medaille, weil sich auch Mehrkampf-Champion Kohei Uchimura (Japan/16,333) nicht den kleinsten Fehler erlaubte. „Es war ein Nachteil, als Erster zu starten. Die Kampfrichter haben sich Luft nach oben gelassen“, bedauerte der Hesse, der mit Schwierigkeit 7,5 nur knapp hinter den Chinesen lag (7,7 und 7,6).

„Auf unserer Brust steht als Sponsor ein Lotterie-Unternehmen, das passt gut zum Reck“, meinte Vater und Coach Wolfgang Hambüchen, ohne die Gerechtigkeit der Noten in Zweifel zu ziehen. Und sein Schützling fügte achselzuckend an: „Das Niveau ist so hoch, da entscheidet eben der kleine Hopser.“ Das nicht so gute Resultat des Teams als Sechster bezeichnete Hambüchen als „Tritt in den Hintern zur rechten Zeit“.

Wie ein Häuflein Elend stand Philipp Boy in der Mixed-Zone. „So ein Mist. Jetzt muss ich wieder ein Jahr warten, um zu zeigen, dass ich zu den Besten gehöre“, meinte der Cottbuser. „Ich bin ein bisschen verärgert. In der Einturnhalle hat die 7,7-Übung noch so gut geklappt. Und dann bleibe ich mit dem Fingernagel hängen“, fügte er hinzu. Er will sich nun aber davon nicht runterreißen lassen. „Das größte Ziel, die Mehrkampf-Medaille ist erfüllt. Silber war sensationell, also war es ein gute WM“, machte er sich selber Mut.

Tags zuvor hatte die unverwüstliche Oksana Chusovitina die deutsche Bilanz weiter versilbert. „Sie ist ein biologisches Wunder“, entfuhr es Cheftrainerin Ulla Koch, nachdem Chusovitina ihren Rekord als älteste Medaillengewinnerin der Turn-Geschichte weiter verlängert hatte. Trotz eines Muskelfaserrisses in der Bauchmuskulatur sorgte das Phänomen Chuso für den größten Frauen-Erfolg des Deutschen Turner-Bundes in der WM-Geschichte. Für die gebürtige Usbekin war es in der Sprung-Konkurrenz die 18. Medaille bei Olympia, WM oder EM, die elfte allein bei Weltmeisterschaften.

„Die Medaille bekommt nicht Alisher“, kündigte sie in Tokio rigoros an. „Er hat schon die Silberne von Olympia. Diese hier ist nur für mich“, meinte sie stolz, aber nicht euphorisch. Ihr vor Jahren schwer an Leukämie erkrankter Sohn Alisher, der in Köln von Professoren geheilt wurde, war der Grund, warum Chusovitina 2006 die deutsche Staatsbürgerschaft annahm. In Tokio war nur die 21 Jahre jüngere US-Amerikanerin McKayla Maroney eine Nummer zu groß für sie.

Seit zweieinhalb Monaten plagt sie sich nun schon mit dem Muskelfaserriss herum. „Die Schmerzen waren immer da, zeitweise auch richtig stark. Aber Oksana trägt das nicht nach außen“, schilderte Ulla Koch. Die Athletin wird nun nach Ende der Saison eine zwei- bis dreimonatige Pause einlegen, sich richtig auskurieren, um in London einen weiteren Rekord aufzustellen: die sechste Olympia-Teilnahme.

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