Gesundheit Wenn die Sprechstunde nur über Handy läuft

Mainz · Die Landesärztekammer hat den Weg freigemacht für eine ausschließlich telemedizinische Behandlung – etwa über Smartphone oder Laptop. Die Mainzer Kinderchirurgie sammelt als Vorreiter in Deutschland schon heute Erfahrungen mit Videosprechstunden.

 Kinderchirurg Jan Gödeke steht während einer Videosprechstunde in der Kinderchirurgie des Mainzer Uniklinikums vor einem Monitor. Der Deutsche Ärztetag hat den Weg für rein telemedizinische Behandlungen freigemacht.

Kinderchirurg Jan Gödeke steht während einer Videosprechstunde in der Kinderchirurgie des Mainzer Uniklinikums vor einem Monitor. Der Deutsche Ärztetag hat den Weg für rein telemedizinische Behandlungen freigemacht.

Foto: picture alliance/dpa/Gregor Bauernfeind

() Samuel ist 13 Jahre alt und im Juni in der Kinderchirurgie der Mainzer Universitätsmedizin operiert worden. Zur Nachsorge hätte er eigentlich den Weg in die Klinik auf sich nehmen müssen. Samuel aber saß zu der Zeit zig Kilometer entfernt entspannt in seinem Garten – mit seinem Arzt sprach er über eine Laptopkamera. Möglich macht das die telemedizinische Sprechstunde der Mainzer Kinderchirurgie.

Den persönlichen Kontakt zu seinem Arzt vermisst Samuel nicht. „Also eigentlich ist es ja das Gleiche, ob ich so rede oder so“, sagt er. Professor Oliver Muensterer, der Direktor der Mainzer Klinik für Kinderchirurgie, kann das bestätigen. Laut einer Studie sei bei den rund 300 jungen Patienten, die seit Anfang 2015 freiwillig das Angebot der Videosprechstunde annahmen, die Qualität der Nachsorge genauso gut wie bei denen, die zum Gespräch ganz klassisch in die Klinik kamen. Dabei würden aber Stress, Zeit und Kosten bei der Anreise vermieden.

Die Patienten verpassen keinen Unterricht, Eltern müssen nicht freinehmen. Das gilt auch für den Stiefvater von Samuel, der bei der telemedizinischen Sprechstunde neben ihm sitzt. Er hat das Gespräch einfach kurz in seine Mittagspause gelegt. „Gleich gut, aber praktischer“, findet Muensterer das telemedizinische Angebot. Auch Patienten aus dem arabischen Raum, aus China, Russland, Nigeria oder Mosambik haben die Mainzer Ärzte nach einer OP schon auf diese Art beraten. Einen jungen Patienten, erzählt Muen­sterer, hätten sie in Aserbaidschan erwischt – beim Skifahren im Kaukasus, auf über 2500 Metern Höhe. Die Patienten brauchen für das Angebot nur eine Handy- oder Laptopkamera. „Jeder hat diese Hardware daheim und Zugang dazu“, sagt Muensterer. Auch in der Klinik ist die Technik einfach: Ein großer Flachbildschirm, Kamera und Mikrofon, eine Videotelefonie-Software und ein „Universitätsmedizin“-Aufsteller für den Hintergrund – mehr braucht es nicht für Gespräche über Tausende Kilometer hinweg.

Die Nachsorge nach einer OP müsse er gar nicht unbedingt selbst übernehmen, sagt der Kinderchirurg Jan Gödeke, der die meisten der Videosprechstunden in Mainz abhält. Es sei aber auch eine Art Erfolgskontrolle für die Ärzte. Einen großen Teil der Sprechstunden machten Gespräche mit Patienten und Eltern aus, sagt Gödeke. Er binde aber auch Eltern als „Arztersatz“ mit ein und lasse sie Symptome an ihrem Kind beobachten oder ertasten. Manches könne er per Videotelefonie auch selbst untersuchen. „Zum Beispiel der Pupillenreflex – geht wunderbar“, sagt Gödeke. Grenzen gebe es aber, wenn er tatsächlich den Patienten anfassen müsste. „Wir brauchen die Kooperation mit den lokal behandelnden Kinderärzten“, sagt Oliver Muensterer.

Einzig die ausschließliche Behandlung per Videosprechstunde ist Ärzten noch nicht erlaubt. Doch auch das soll sich ändern. Anfang Mai machte der Deutsche Ärztetag in Erfurt den Weg frei für eine ausschließliche Fernbehandlung ohne vorhergehenden persönlichen Kontakt. Nun hat auch die rheinland-pfälzische Ärztekammer einen entsprechenden Beschluss gefasst (siehe Hintergrund). Damit zeige die Kammer, dass sie sich Neuerungen gegenüber nicht verschließe, zugleich aber auch Patientensicherheit von hoher Wichtigkeit sei, sagt deren Präsident Günther Matheis. „Wir sind sehr wachsam und müssen auch einige Dinge noch genau klären.“ Beispielsweise für wen diese Form der Behandlung infrage komme, welche Qualifikation die anbietenden Ärztinnen und Ärzte haben müssten und wo diese gemeldet und für die Kammern greifbar seien. Der ausschließlichen Fernbehandlung seien auch Grenzen gesetzt, etwa dann, wenn ein Arzt seiner ärztlichen Sorgfaltspflicht am Telefon oder Computer nicht nachkommen könne. „Dann muss der Patient auch weiterhin persönlich in die Praxis kommen“, sagt Matheis.  Die Lockerung des Fernbehandlungsverbots sei nicht als Ablösung der herkömmlichen, vorherrschenden Behandlungsform zu verstehen, sondern als ein Zusatzangebot, sagt die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD). Und weiter: „Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt sollte aber weiterhin die Regel sein. Im Vordergrund steht nach wie vor die Einhaltung der ärztlichen Sorgfaltspflicht und somit die Sicherheit der Patientinnen und Patienten.“ Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz begrüßt den Beschluss der Landesärztekammer: „Auch wir sind aber der Ansicht, dass der persönliche Kontakt zwischen den Patienten und den behandelnden Ärzten und Psychotherapeuten von entscheidender Bedeutung ist“, sagt KV-Sprecher Rainer Saurwein.

„Das Fernbehandlungsverbot ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Jörn Simon, Landeschef der Techniker Krankenkasse. Insbesondere Menschen auf dem Land könnten von der Möglichkeit einer Fernbehandlung profitieren, „da ihnen zum Beispiel für viele Erkrankungen der weite Weg in die Praxis erspart bleibt“. Das sieht auch Martin Schneider, Chef des Ersatzkassenverbandes Rheinland-Pfalz, so. „Dazu muss aber der Breitbandausbau flächendeckend vorangetrieben werden.“

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