Teilkontrolliertes Chaos

TRIER. Gitarre, Schlagzeug, Keyboard. Ohne diese Instrumente kommt fast keine moderne Band mehr aus. Auch bei der 1969 gegründeten Formation "Embryo" kommen diese Instrumente zum Einsatz. Aber was ist eine Marimba? Wie klingt eigentlich eine Darabuca, und was macht man bloß mit einer Kanjira?

Wer sich für exzentrische Musik und exotische Instrumente interessiert, ist bei Embryo genau richtig. Und wer damit nichts anfangen kann, sollte vielleicht doch besser bei klassischem Pop bleiben. Im Jahr 2004 feierte die Münchener Band "Embryo" ihr 35-jähriges Bestehen. Dabei ist Embryo keine klassische Band, sondern eher eine Vereinigung, in der mal mehr und mal weniger Musiker mitspielen. So genau nimmt man das nicht. Schon vor dem Exhaus fällt der weiße Band-Transporter mit dem Münchener Kennzeichen auf, und man fragt sich, wie der bloß durch den TÜV gekommen ist. Die Musiker selbst - Deutsche, Österreicher und auch ein Spanier - machen rein äußerlich keinen wirklich eleganten Eindruck. Christian Burchert ist schon seit Beginn, also seit 1969, dabei und trägt zu große Jeans, ein zu großes Hemd und auch einen zu großen Pullover. Die dicke Brille und die langen Haare unterstützen das Klischee des "68-ers". Die Bühne sieht nicht minder abenteuerlich aus: Große Verstärker ruhen auf zwei übereinander gestülpten Coca-Cola-Kisten. Wolldecken und Laken bedecken Teile der Instrumente oder sollen irgendwie dekorativ wirken. Zugegeben, eine Schweinchen-Decke ist nicht mehr der letzte Schrei und ist es auch nie gewesen. Heute spielt Embryo übrigens zu fünft. "Gestern haben wir aber zu acht gespielt", sagt Valentin Altenberger, ein Österreicher. Er spielt die ominöse Darabuca, eine ägyptische Trommel, sowie die Bassgitarre. Und eine "Duff" kann er auch spielen. Was das für ein Gerät ist, wird nicht verraten. Zusammen mit seinem Kollegen Lothar Stahl bildet er die Rhythmus-Avantgarde, denn Stahl spielt das Schlagzeug und die Marimba, eine Art Xylophon. Die Zuschauer haben einen Bart und lange Haare

Als das Konzert eigentlich losgehen soll, wird noch akribisch an der rot-weißen Beleuchtung gefeilt. Außerdem müssen noch Mikros eingestöpselt und Instrumente abgemischt werden. Schließlich soll ein perfekter und voluminöser Klang aus den wackeligen Verstärkern tönen. Und wenn man schon 37 Jahre Musik macht, kommt es auf 45 Minuten Verspätung auch nicht mehr an. Dann schlendern alle fünf Musiker auf die Bühne und Burchert begrüßt die applaudierenden Zuschauer: "Wir sind die älteste Band Deutschlands und spielen in der ältesten Stadt Deutschlands. Und daher beginnen wir mit dem ältesten Lied." Sein Kollege Christian Schmidhofer, etwa Mitte dreißig und mit Bauchansatz, zieht erstmal die Schuhe aus. Warum er das macht, bleibt sein Geheimnis. Auch Burchert entledigt sich seines Schuhwerks. Danach nimmt Schmidhofer eine "Maultrommel", ein kleines Musikinstrument, das er sich an den Mund hält und damit quäkende Geräusche produzieren kann. Die etwa 70 Zuschauer mittleren Alters hören gespannt zu. Fast alle haben entweder einen Bart oder lange Haare. Oder beides. Langsam setzen auch andere Instrumente ein. An einem südindischen Hackbrett, einem "Santur" klopft Burchert mit großen Ausholbewegungen euphorisch auf die Saiten und bewegt sich dazu. Manchmal verfehlt er mit den Klöppeln auch das Instrument und schlägt auf den Holzrahmen. Eine Struktur des Liedes offenbart sich dem Weltmusik-Laien nicht - es fängt an und hört irgendwann wieder auf. "Jetzt werden wir etwas lauter", sagt Burchert nach ein paar doch eher ruhigen Liedern und die Zuschauer rufen "Das wird auch Zeit!" Das Schlagzeug kommt nun zum Einsatz, dazu trommelt Christian Schmidhofer auf der Kanjira, einer südindischen Trommel. Mit virtuosen Vibraphon-Soli bringt die Band die Wände des Exhaus zum Beben und die Zuschauer zum kochen: In den hinteren Reihen vollführt ein Mittdreißiger mit Schnauzbart abenteuerliche Verrenkungen und hätte mit seinem eigenwilligen "Tanz" in den 80ern in jeder Disco abgeräumt. Nur die Sandalen mit orangefarbenen Socken wären schon damals tödlich gewesen. Wer Weltmusik kennt, ist begeistert

Mit einer Art Bauchtanz versucht eine Zuschauerin, das nicht immer kontrollierte Chaos der Band in Bewegungen umzusetzen. Andere halten sich dezent zurück und wippen einfach nur mit der Fußspitze. Zugegeben, wer sich mit dem Genre "Weltmusik" auskennt, wird vom Auftritt von Embryo begeistert gewesen sein. Wer doch lieber konservative Musik hört, findet möglicherweise nach diesem Konzertabend sogar die Band "Tokio Hotel" richtig professionell.

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