An der Nahtstelle zwischen Stadt und Land - Der Trierer Stadtteil Ruwer-Eitelsbach

Kein Stadtteil von Trier steht der ländlichen Umgebung so nahe wie Ruwer. Nicht nur, weil hier jahrelang die Verwaltung der gleichnamigen Verbandsgemeinde aus dem Nachbarkreis saß. Der fließende Übergang zwischen Stadt und Land formt den Charakter dieses Stadtbezirks.

I.
Man könnte es den Ruwerern wirklich etwas schöner machen. Wer sich von Trier aus auf den Weg in den Außenstadtteil macht, holpert über Straßen, von deren Nutzung man Schwangeren dringend abraten sollte. Vorbei an Rotlicht-Gemäuern und Gewerbebrachen. Im Herzen des Ortes eine verkehrsüberfrachtete, Ungemütlichkeit verbreitende Durchgangsstraße. Man muss schon genau hinschauen, um zu sehen, was für eine Vielfalt an Läden und Angeboten sich hier findet, nicht nur Mainstream, sondern querbeet alles, Tattoostudio und Modeschneiderei inklusive. Nebst einem beachtlichen Angebot an Hotels und Restaurants, dem man anmerkt, dass der Trierer Stadtteil die Eingangspforte in die Wein- und Tourismusregion Ruwertal bildet.
II.
Zum Glück sind die Ruwerer klug genug, es sich selbst schön zu machen. Wie Familie Zimmer mit ihrer Laube. Ein schmucker Holz-Anbau im Garten, mit Hirschgeweih und Kuckucksuhr an der Wand. Hilde Zimmer feiert ihren 80. Geburtstag, Ortsvorsteherin Monika Thenot kommt zum Gratulieren vorbei. Ein Dutzend Freunde sind schon am Vormittag da, der Sekt findet ordentlichen Absatz. "Die Ruwerer können feiern", sagt die Ortsvorsteherin. Mit am Tisch: der örtliche Gesangsverein und der Pfarrgemeinderat. Beziehungsweise deren Vertreter. Bei Tomate-Mozarella-Spießen lässt man das Dorfgeschehen Revue passieren - manchmal mit durchaus rustikalem Witz. Was man hier heraushört, ist kein ausgeprägter "Wir sind die Größten"-Lokalpatriotismus wie in Pfalzel. Aber man fühlt sich wohl in seinem Stadtteil, wo jeder jeden kennt.
III.
So wie den Laux-Hermann. Man könnte den 81-Jährigen ein Ruwerer Original nennen. 49 Jahre Tubist im Musikverein, jetzt dortselbst Fahnenträger. Gelernter Müller, langjähriger LKW-Fahrer, seit 20 Jahren Ruheständler. Hermann Laux teilt ein ungewöhnliches Hobby mit einem halben Dutzend Ruwerer Freunden: Er macht Wurst. So wie andere Männer Kegeltouren machen. Seit 35 Jahren trifft man sich immer im Herbst bei Adolf in der alten Schmiede gegenüber der Kirche und verarbeitet Fleisch aus der örtlichen Metzgerei Haag nach eigenem Rezept zu Blut- und Leberwürsten. Bei der Arbeit gehen jede Menge Bier- und Schnapsflaschen den Weg alles Irdischen. Das Produkt des tapferen Einsatzes, 400 Ringe Wurst, bringt nicht nur die Hobby-Fleischer kulinarisch über den Winter, sondern liefert auch begehrte Geschenke für diverse Ruwerer Gabentische.
IV.
Hermann Laux wohnt direkt gegenüber dem bildhübschen Pfarrhaus an der Hauptstraße. "Da brennt nachts jetzt immer Licht", sagt er in verschwörerischem Ton. So ist das halt im Dorf. Aber die Erklärung ist einfach: In das lange leerstehende Haus ist vor kurzem Stephan Wahl eingezogen, einer von zwei Pfarrern für das Ruwertal. Und ein prominenter obendrein, wie seine Schäfchen gerne mit leisem Stolz hinzufügen. Der "Medien-pfarrer", lange Jahre ein Aushängeschild des Fernseh-Wortes zum Sonntag, macht hier katholische Basisarbeit. Den spontanen Reporter-Besuch empfängt der päpstliche Monsignore im Schlabber-Freizeitlook, mit Stoppelbart - und zehn Jahre jünger aussehend als im üblichen kleinen Schwarzen. "Überraschend ruhig" findet er sein neues Domizil. Nur an der Schreibweise des Gemeindenamens muss er noch feilen: Auf der Homepage steht "St. Clemens", auf dem Schild vor dem Pfarrhaus "St. Klemens". Aber das sollte sich klären lassen.
V.
Keine hundert Meter hinter Wahls Garten sprudelt die Ruwer mit beachtlichem Gefälle der Mosel entgegen. Die Mündung bei Flusskilometer 186 könnte ein magischer Platz sein, ein schönes Ausflugsziel, mit Schwänen und lautlos vorübergleitenden Schiffen. Wäre da nicht das ohrenbetäubende Getöse der Autobahn, die das Gluckern und Brausen der Ruwer auf den letzten Metern übertönt. Kein Ausflügler weit und breit, kein Spaziergänger, nur ein Obdachloser, der unter der Autobahnbrücke seine Habseligkeiten trocknet. Schade. Eine verpasste Chance.
VI.
123 Meter liegt die Mündung über dem Meeresspiegel. Der Gipfelpunkt von Ruwer findet sich viel weiter oben, im Ortsteil Eitelsbach, wo der höchste Weinberg bei steilen 270 Metern aus dem Schieferboden ragt. Da braucht es schon stramme Wander-Waden, um den Stadtteil zu Fuß zu erkunden. Aber er lohnt sich, der Blick über die kleine Kapelle Zu den 14 Nothelfern in die Wingerte, die nirgendwo in Trier so eng an die Wohnbebauung heranrücken. Bei manchen Häusern kann man die Trauben direkt von der Veranda aus pflücken. Die Kapelle wird immer noch genutzt, inklusive dem winzigen Friedhof mit 25 Einzelgräbern. Manchmal kommt der alte Pfarrer Mathieu zum Zelebrieren, der sich, längst über 80, eigentlich im Ruhestand befindet. Dann gibt es sogar einen Fahrdienst unten aus dem Ort.
VII.
Das idyllische Weindorf Eitelsbach wird auch von Touristen frequentiert. Gleich nebenan, in der schmucken Wohnsiedlung Auf Dorheck, herrscht dagegen ein eher diskreter Charme. Hoch über dem Alt-Ort steigt mit jeder Serpentine die Bungalow-Dichte. Feiner wird nirgendwo gewohnt in Trier, nur dass sich hier der Wohlstand hinter Hecken und Sträuchern in den verschlungenen Nebengässchen versteckt. Schon die Straßennamen klingen edel, und so überrascht es nicht, dass etwa in der Arbogast-Straße die Behausungen so aussehen, als habe hier ein internationaler Architektenwettbewerb stattgefunden. Von der Stange baut da keiner. Die höchste Straße mit der nobelsten Aussicht heißt übrigens Dagobert-Straße. Ein Schelm, wer dabei an den reichen Onkel von Donald Duck denkt.

VIII.
Auf dem Weg vom Villenviertel zur Ruwer kommt man an einem riesigen bunten Gebäude vorbei. Das farbenfrohe Gemäuer ist die Grundschule, aktuell werden hier 82 Schüler unterrichtet. Entdeckertag und Nachmittagsbetreuung inklusive. Platz wäre für mehr als doppelt so viele. Ruwer ist ein klassisches Beispiel für das Trierer Schuldilemma: Der freie Raum ist keineswegs frei, die Schule fungiert als unverzichtbares Bürger- und Vereinshaus, als Bibliothek und Mehrzweckhalle. Aber die Kosten lasten auf dem Schuletat. Und der schafft es nicht einmal, eine Rampe für die barrierefreie Nutzung oder Stühle für Veranstaltungen zu finanzieren. Der Stadtteil zahlt das, aus seinem Stadtteilbudget. Aber Schulleiterin Petra Truar wartet auch händeringend auf Jalousien für die großen Fassadenfenster, die sich dieser Tage wieder unbarmherzig aufheizen. Das aber kann Ortsvorsteherin Monika Thenot unmöglich über ihre schmale Stadtteilkasse bezahlen.
IX.
Unten im Ort, wo einst die Ruwertal-Eisenbahn die Straße kreuzte, steht ein altes Schrankenwärterhäuschen. Jetzt dient es als Orientierungspunkt für Touristen, erzählt auf Bildern von den roten Triebwagen, die früher von hier aus Menschen in den Hochwald beförderten. Hübsche Idee. Ein älteres Ehepaar, beide um die 80, steht etwas ratlos herum, mit schwer bepackten Fahrrädern. "Wie geht es denn hier weiter?", fragt der Mann. Monika Thenot kann ihm helfen. "Das passiert dauernd", sagt sie mit einem Anflug von Ärger. In der Tat: Der Ruwer-Radweg endet hier im Nichts. Seit Jahren liegen die Pläne für den Weiterbau auf dem Tisch - nur passiert ist wenig. "Es wird höchste Zeit", schimpft die Politikerin.
X.
Da würde ihr die Männerrunde im Hof des Gasthauses Stenglein sicher recht geben. Schon am Werktag-Vormittag fließen an der Freilufttheke Bier und Viez, und manchmal gesellen sich Touristen vom Fahrradweg dazu, der einen eigenen Zugang zum Biergarten hat. Wer wissen will, was in und um Ruwer passiert, ist bei Wirt Werner Stenglein und seinen einheimischen Stammkunden an der richtigen Adresse. Aber auch für Fußballexperten gibt es in der Sky-Sportsbar reichlich Gelegenheit zum Austausch. Wer sich hier arm trinken wollte, hätte angesichts der niedrigen Preise einiges zu tun. Eine klassische Kneipe halt. Rustikal, ohne Chichi, nicht besonders schön, aber sehr gemütlich. Wie Ruwer.
Dieter Lintz

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