Analyse: CSU verpatzt den Start in den Wahlkampf

Nürnberg (dpa) · Es ist die erste schwere Panne für CSU-Chef Horst Seehofer. Der Nürnberger CSU-Parteitag endet am Wochenende nicht mit dem geplanten kräftigen Aufbruchssignal für die Bundestagswahl, sondern in einem Betriebsunfall.

Völlig überraschend strafen die knapp 850 Delegierten das Personaltableau des Chefs regelrecht ab. Seehofer selbst kommt bei seiner Wiederwahl mit einem leichten Dämpfer davon. Der volle Unmut der knapp 900 Delegierten aber trifft das Quartett der Parteivizes, allesamt fahren unerwartet schlechte Ergebnisse ein. Das Treffen in der Nürnberger Messehalle endet in Katerstimmung - und Rätselraten.

Seehofer selbst muss bei der Vorstandswahl mit 88 Prozent anstelle der allgemein erwarteten 90 plus X einen leichten Dämpfer hinnehmen. Am härtesten trifft es bei den Vizewahlen CSU-Landesgruppenchef Ramsauer, obwohl für den Bundestags-Spitzenkandidaten eigentlich auch ein Spitzenergebnis Pflicht gewesen wäre. Doch Ramsauer bleibt mit 78,9 Prozent weit unter den Erwartungen. Mit Ausnahme der populären Landtagspräsidentin Barbara Stamm landen auch die anderen Vizes unter 80 Prozent.

„Das ist für mich nicht erklärlich“, seufzt der Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber anschließend. „Vielleicht ist Horst Seehofer einigen mehr auf die Füße getreten, als sie vertragen haben“, mutmaßt Staatskanzleichef Siegfried Schneider. Viele CSU-Granden gratulieren nicht den Gewählten, sondern kondolieren: „Ärger' dich nicht“, sagt einer zu Seehofer. „Manche haben eben immer noch nicht verstanden, dass wir vor einer Bundestagswahl stehen“, tröstet ein Delegierter den bedrückten Ramsauer. Früher rühmte sich die CSU der „kollektiven Intelligenz“ ihrer Parteitage. Denn auch in stürmischen Zeiten erzielten CSU-Spitzenpolitiker meistens gute Ergebnisse auf Parteitagen. „Das hat diesmal nicht ganz funktioniert“, scherzt ein Vorstandsmitglied.

Dabei ist für Seehofer in den neun Monaten seiner Amtszeit fast alles gut gelaufen: Nach dem CSU-Debakel bei der Landtagswahl 2008 hat er der CSU wieder Gehör in Berlin verschafft und der deprimierten Partei neues Selbstbewusstsein vermittelt. Bei der Europawahl knüpfte die CSU mit 48,1 Prozent schon fast an alte Zeiten an. In Nürnberg wollte Seehofer diesen Schwung nutzen, um seine Truppen für den Bundestagswahlkampf mit dem nötigen Kampfgeist auszurüsten. Doch die meisten der knapp 900 Delegierten fahren am Samstag nicht schwungvoll nach Hause, sondern ratlos.

Kanzlerin Angela Merkel hat selbst dazu beigetragen, dass der CSU-Parteitag so trübselig endet. Die meisten Christsozialen finden Merkels Rede am Freitagnachmittag ziemlich schwach; außerdem gibt sie einen unwillkommenen Ratschlag, den viele als Belehrung von oben herab empfinden: „Ihr könnt ruhig auch besser werden“, sagt die CDU-Chefin.

Doch auch bei Seehofers eigener Rede am Samstagvormittag springt kein Funke über. Er versucht, den Delegierten Stolz auf ihre „einmalige und einzigartige CSU“ einzuimpfen. Seehofer sichert Merkel zwar volle Unterstützung zu - lässt jedoch im CSU-typischen Spagat zwischen Folgsamkeit und Aufsässigkeit keinen Zweifel, dass er auf der Berliner Bühne weiter die Rolle des bayerischen Kraftpakets spielen will: „Davon wird mich auch künftig niemand abhalten.“

Am Schluss seiner Rede entschuldigt sich Seehofer für die Verletzungen, die er im Laufe seiner kurzen Amtszeit schon ziemlich vielen Parteifreunden zugefügt hat. „Ich biete jedem und jeder an, in ein Gespräch einzutreten, wenn solche Gefühle eingetreten sind“, sagt er reuig.

„Es ist so eine Moll-Stimmung da“, klagt Innenstaatssekretär Bernd Weiß. Manche machen die regionalen Grabenkämpfe zwischen Franken und Oberbayern verantwortlich, andere vermuten, dass CSU-Delegierte den Wünschen der Parteispitze einfach nicht mehr wie eine Schafherde folgen wollen. „Vielleicht ist das Revoluzzerpotenzial bei uns größer als früher“, vermutet Präsidiumsmitglied Stefan Müller. Manche alten Fahrensleute trösten sich, dass es schon viel schlimmere Parteitagskatastrophen gab: 1983 stürmte ein wütender Franz Josef Strauß nach einem schlechten Wahlergebnis aus der Halle - der Parteitag endete ohne Parteivorsitzenden. „Und das Leben ist trotzdem schön“, sinniert Seehofer.

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