Archiv 2006: Nickende Köpfe und Blumentöpfe

ECHTERNACH. Mehrere Tausend junge Menschen waren am Wochenende trotz Kälte und Regen beim "e-lake-Festival" am Echternacher See. Auftakt der Veranstaltung war wie jedes Jahr der Konzertabend am Freitag, diesmal unter anderem mit Sprechgesang aus Deutschlands Süden und Osten.

Nickende Köpfe, Hände, die sich auf und ab bewegen, und ganz vorne, direkt an der Absperrung, zwei junge Menschen mit großen Plastik-Blumentöpfen in ihren Händen. Sangria wird daraus nicht getrunken – die Töpfe sind leer, und wenn sie gefüllt werden, dann höchstens mit Regen. Und davon gibt es an diesem Freitagabend genug. Alle paar Minuten verliert einer der Menschen auf den beiden Hügeln links und rechts der Bühne den matschigen Boden unter den Füßen, um ihn unmittelbar danach mit dem Rest des Körpers wieder zu berühren. Manchmal geschieht es auch im Sekundentakt. Einige klettern wieder hoch, andere verschwinden unten in der Menge."...Denn ist die Party erst am laufen, dann bin ich immer dabei. Denn ich steh nun mal nicht gerne am Rand", rappt vorne ein junger Mann, und steht dabei dennoch am Rand – am Bühnenrand. Es ist Clueso, der deutschlandweit bekannt wurde, als er bei Stefan Raab’s Bundesvision Song Contest 2005 davon sang, dass er "kein Bock zu geh’n" hat. Jetzt ist er in Echternach, gemeinsam mit seiner Band. Und auch an diesem Abend sieht es so aus, als habe Clueso kein Bock zu gehen, doch nach einer knappen dreiviertel Stunde Auftritt, der ein eben so (ungewollt) langer Soundcheck voraus gegangen war, verlässt Clueso wieder die Bühne. Zugaben gibt es keine, denn die würden den Zeitablauf durcheinander bringen, der so exakt eingehalten wird, dass er der Open-Air-Veranstaltung schon etwas Bürokratisches verleiht.

Jung und erfolglos am aufsteigenden Ast

Dabei ist Bürokratie nicht ihre Stärke. Weder die des Sportzigaretten rauchenden Cluesos aus Thüringen und schon gar nicht die der fünf "Töpfe" aus München, die nach Mitternacht die Bühne betreten. Nachdem in den vergangen Jahren bereits deutsprachige Hip-Hop-Formationen wie "Fünf Sterne Deluxe", "Such a Surge", "Seeed" oder die "Massiven Töne" am Echternacher Seeufer getextet haben, sind jetzt die Musiker von "Blumentopf" am Start. Über ihren Köpfen schützt sie die Plane vor Regen, unter ihren Füßen vibriert der Bass und vor ihnen bewegt sich die Menge junger Menschen, der weder Nässe noch höchste Dezibelwerte oder niedrigste Frequenzbereiche etwas anhaben können.

Die Besucher des eintrittsfreien Konzerts singen mit, sei es bei Liedern wie "Was der Handel?" über das Scheitern einer Beziehung (...Merkst Du gar nicht, was Du an mir eigentlich hast? Ich bin zwar jung und erfolglos, doch das am aufsteigenden Ast.) oder dem Song über die kleine Schwester, die aus dem Fenster springt, als sich die Boygroup "Take That" auflöst (...Der CD-Player lief noch, ich hörte es deutlich: "How deep is your love?" – es waren 6 Meter 90.).

Schließlich werden auch noch einige Lieder aus dem neuen, noch nicht erschienenen Album "Musikmaschine" gespielt – eines davon gemeinsam mit Clueso, der dann doch noch mal für ein paar Minuten auf die Bühne kann. Und zwischendurch widmen sich die Hip Hopper aus Süddeutschland dann noch dem, was viele ihrer musikalischen Kollegen bereits verlernt oder nie wirklich gekonnt haben: dem Freestyle, also dem Rappen ohne Textbuch, mit Reimen, die ihnen gerade so durch den Kopf gehen. Das hat zwar nicht immer Tiefgang, doch unterhaltsam ist allemal, egal ob es ums Wetter, den ersten Auftritt in Luxemburg, die Plastik-Blumentöpfe in der ersten Reihe oder um Heineken geht, mit dem sich der Blumentopf becherweise selber gießt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort