Volksfreund-Serie Untergang Römisches Reich, Teil 4 Antikes Straßenraster: Ein Römer würde sich in Trier heute nicht zurechtfinden
Trier · Das römische Trier war geprägt von schnurgeraden Trassen und rechtwinkligen Bauflächen. Davon ist heute nur noch wenig zu erkennen. Ist das antike Straßenraster Geschichte? Auf Spurensuche zu Fuß in der modernen Stadt.
Von Miguel Castro
Lastwagen und Autos ziehen an uns vorbei, laut und schnell. Die Kaiserstraße in Trier ist heute Teil des vielbefahrenen Allenrings, der die Innenstadt umschließt. Archäologe Florian Tanz steht am Straßenrand. „Das hier war mal die Mittelachse der römischen Stadt“, sagt der Wissenschaftler in den Verkehrslärm hinein.
Gemeint ist eine der Hauptstraßen des antiken Trier, damals Augusta Treverorum: mit repräsentativen Bauten und Villen an seinen Seiten, und einem großen Badehaus (den heutigen Barbarathermen) und imposanten Amphitheater an den Enden. Möglicherweise war die Straße ausgestattet mit Bürgersteigen und Laubengängen, unter denen die Menschen der antiken Metropole unterwegs waren. Brunnen spendierten überlaufendes Frischwasser, das auch den Schmutz in die Straßenkanäle spülte, vorbei am Forum, dem zentralen Gebäude der Stadt. „Hier dürfte ein reges Treiben gewesen sein“, sinniert der Archäologe - gestützt auf das, was man aus antiken Beschreibungen städtischen Lebens und Ausgrabungsfunden abzuleiten vermag.
Decumanus und Cardo: Eine antike Stadt mit zwei Hauptachsen
Doch das ist Vergangenheit. Weite Teile des einstigen Sitz der Cäsaren wurden aufgegeben, nachdem Roms Macht vor rund 1600 Jahren verblich - bekanntlich Thema der kommenden Landesausstellung in Trier. Die wenigen verbliebenen Einwohner konzentrierten sich fortan am Dombereich nördlich der heutigen Kaiserstraße. Und was einstmals mittig die antike Stadt durchschnitt, wurde zum Mauergraben, zur Abwehr von Feinden. „Dieser Bereich war die Grenze zwischen der mittelalterlichen Stadt auf der Nordseite und dem aufgegebenen Gebiet auf der Südseite. Da kann man erkennen, wie viel Siedlungsfläche aufgegeben wurde“, bringt Tanz die Dimension der damaligen Ereignisse näher, während wir entlang der Straße zum Moselufer ziehen, dem Verlauf des einstigen „Decumanus maximus“ folgend.
Diese zentrale Ost-West-Verbindung bildete zusammen mit ihrem Gegenpart in Nord-Süd-Richtung, dem „Cardo“, die Basis der römischen Stadtstruktur. Nach links, rechts, unten und oben folgten weitere Trassen und bildeten so die als Insulae bezeichneten rechtwinkligen Bauflächen. Experten sagen dazu „Hippodamisches Schema“, benannt nach einem altgriechischen Planer.
Grabungen: Auf der Suche nach den antiken Trassen in Trier
Dass dies heute so bekannt ist, verdanken wir den Altertumsforschern des Landesmuseums. Sie entdeckten bei der Verlegung der modernen Kanalisation Anfang des 20. Jahrhunderts Spuren des antiken Rasters und haben seitdem Stück um Stück, wie bei einem Puzzle, das Wissen um die Römerwege erweitern können. Mit Buchstaben und Zahlen wurden die Trassen benannt. Wie sie früher hießen ist unbekannt. So fanden Archäologen beispielsweise bei den Kanalarbeiten an der heutigen Ecke Kaiserstraße/Neustraße Spuren des höhergelegenen Teils einer Straße Nummer „10“. Zitat: „Der Kieskörper der obersten Schicht zeigt eine stark verringerte Fahrbahnseite und ist an seiner Oberfläche offenbar durch spätere Abgrabungen gestört.“ Akkurat listen die Grabungsexperten auf, in welcher Tiefe sie erst „groben Kies aus Sand“ und dann Schutt, nochmals Straßenkies und schließlich eine Packlage aus Schiefer vorgefunden hatten - nachzulesen in der detailreichen Studie von Reinhard Schindler, früherer Direktor des Landesmuseums, aus den siebziger Jahren.
Archäologe: Römerstraßen in bis zu zwei Metern Tiefe
Bis heute sind so 250 „Aufschlüsse“, also Grabungspunkte im Innenstadtbereich, zusammengekommen. 50 davon in den letzten vierzig Jahren, erklärt Archäologe Tanz. Und gegraben wird auch weiterhin, wie jüngst im Palastgarten (der TV berichtete). Tanz ist überzeugt. „Wir würden noch den größten Teil der Trassen finden, weil die Straßen nicht so viel reyclingfähiges Material hergeben.“
Von den alten Römerwegen ist auf unserem Spaziergang aber zunächst nichts zu finden. Das hat einen einfachen Grund: Überbauung. Erst in bis zu zwei Meter Tiefe könnten wir durch jüngere Bauschichten hindurch auf Stein, Kies und vielleicht Kalkplatten römischer Straßen treffen. „Früher war es ja wesentlich aufwendiger, Schutt wegzubringen“, sagt Tanz. Stattdessen wurde alles an Ort und Stelle einplaniert und einfach ein Neubau darüber errichtet - eine Siedlung wuchs im Laufe der Zeit „hoch“, wie es der Experte ausdrückt.
Wir stehen an der Römerbrücke. Von hier ging es einst fast geradeaus ins Zentrum der damaligen Stadt, zum Forum. Doch: „Hier sind in der Nachantike ganz massive Veränderungen passiert, weswegen bestimmte Straßenabschnitte nicht mehr fassbar sind.“
„Bis in das 9. Jahrhundert hinein sind auch im später von der mittelalterlichen Stadtmauer befestigten Siedlungsbereich die römischen Straßen weitergenutzt und sogar in einzelnen Bereichen ausgebessert worden (so etwa im Bereich der heutigen Zuckerbergstraße 1998 dokumentiert)“, weiß Professor Lukas Clemens von der Universität Trier. Der Historiker hat rekonstruiert, wie die einst mächtige römische Kaiserstadt hunderte Jahre nach dem Ende ihrer Glanzzeit wohl ausgesehen hat. „Nach den Zerstörungen Triers im Zuge des Normanneneinfalls 882 wird im Kernbereich der Stadt um den Dombereich bis zur Römerbrücke und im Norden bis zur Porta Nigra das antike Straßenraster aufgegeben und durch neue Gassen, die sich aus Trampelpfaden zwischen den Ruinen entwickeln, ersetzt.“
Auch wir gehen von der Mosel einen solchen „neuen“ Weg entlang: Die heutige Verbindung zwischen Brücke und Dom, schräg durch das heutige Stadtbild, zeugt von diesem neuen Pfad - es war der kürzeste Weg zum neuen Zentrum der im Mittelalter arg verkleinerten Stadt. „Im Großen und Ganzen laufen wir tatsächlich über römische Bebauung“, sagt Tanz, als wir etwa auf Höhe des Karl-Marx-Hauses sind.
Viehmarktplatz: Zwei römische Straßen kreuzen sich
Schließlich stoßen wir auf unserer Wanderung durch die Stadt doch auf Hippodamos` antikes Straßenraster: Neben den Viehmarktthermen ist eine Kreuzung mit rötlichen Pflastersteinen markiert. Sie liegt genau über zwei römischen Straßen im Untergrund, die sich hier treffen. „Wenn man sich so umguckt, wirkt alles deplatziert“, sagt Tanz, als wir auf dem gleichnamigen Platz stehen. Was er meint: Die Häuserlinien am Platz orientieren sich nicht mehr an der antiken Straßenführung. Nicht markiert ist der einstige Abwasserkanal, Spezialgebiet des Trierer Archäologen. Florian Tanz hat über das flüssige Gut in Trier seine Dissertation verfasst. „Die antike Kanalisation ist tatsächlich noch hier erhalten. In der Kreuzung war ein Knotenpunkt, von dort floss das Wasser unter anderem Richtung Mosel.“
Tatsächlich ist auch im heutigen Trier-Süd Roms Straßenplan noch zu erahnen: Hier wurden nach dem Fall der Cäsaren aus Insulae Felder und aus den Straßen Flurgrenzen, die mit der Zeit überwucherten. Mehrere Trassen im Stadtteil folgen diesen antiken Führungen.
Trierer Hauptmarkt: Ein Platz in einem Wohnhaus
Wir ziehen hingegen weiter zur Konstantinbasilika in nordöstliche Richtung. Der Archäologe bringt den „Sichteindruck“ von Bauwerken ins Spiel. „So wie wir es gewohnt sind auf die Basilika zu gucken, das hätte es in der Antike nicht gegeben. Die Straße existierte nicht und wir hätten hier eine Bebauung gehabt. Bleibt zu fragen, was wir überhaupt von der Basilika gesehen hätten.“
Ein römischer Trierer aus dem dritten oder vierten Jahrhundert würde sich in der modernen Version seiner Stadt wohl nicht zurechtfinden. „Die Porta Nigra und die Basilika als Fixpunkte, vielleicht. Aber mit dem Rest wäre er ziemlich überfordert.“ Und wer weiß, eventuell würde er (oder sie) sogar in seiner oder ihrer eigenen Wohnung stehen, wenn man sieht, wie sehr sich die Straßenführung und Bebauungsgrenzen geändert haben.
Das betrifft nämlich auch den Hauptmarkt, den wir auf unserer Tour schließlich erreichen. Im Hintergrund grüßt die Porta. Hier begann einst die Nord-Süd-Achse, der Cardo. „Einen Meter unter uns dürften wir römische Siedlungsspuren haben“, sagt Tanz. Wir stehen auf beziehungsweise in einer Insulae, so wie alle Passanten um uns herum. Denn der Cardo knickte vom römischen Stadttor kommend etwas nach links ab und zog unter der heutigen Häuserzeile des Hauptmarkts an diesem vorbei Richtung Forum. Die Glocken der St.-Gangolf-Marktkirche übertönen unser Gespräch. Zu Römerzeiten gab es dieses Bauwerk noch nicht. Das Mittelalter lässt grüßen.