Volksfreund-Serie Untergang des Römischen Reiches, Teil 7 Detektive am 1600 Jahre alten Bischofsgrab in Trier: Ist es der echte Paulinus?

Trier · Nicht nur Kriminelle werden anhand ihrer Fingerabdrücke überführt. Immer mehr nutzen auch historische Forscher die Methoden der Kriminalistik, um Spuren früherer Jahrhunderte zu sichern. Beim Grab des spätantiken Bischofs Paulinus in Trier bringen sie ungeahnt wertvolle Erkenntnisse ans Licht.

 Vor der Kirche St. Paulin steht die Bronzestatue des Patrons, der seit dem 4. Jahrhundert hier begraben sein soll. Foto: Anne Heucher

Vor der Kirche St. Paulin steht die Bronzestatue des Patrons, der seit dem 4. Jahrhundert hier begraben sein soll. Foto: Anne Heucher

Foto: Anne Heucher

Bischof Paulinus starb in der Fremde. Weil er nicht bereit war, auf einem Konzil im Jahre 353 seinen Glaubensbruder Athanasius zu verurteilen, der einer nicht akzeptierten Glaubensrichtung anhing, wurde er von Kaiser Constantius II. (337-361) bestraft. Paulinus musste statt zurück nach Trier in die Verbannung gehen, nach Phrygien, ein Gebiet in Zentralanatolien (heute Türkei), wo er wenige Jahre später starb.

Doch wie kommt sein Grab dann nach Trier in die Krypta der Kirche St. Paulin? Immerhin liegen knapp 3000 Kilometer zwischen dem Sterbeort und der letzten Ruhestätte. „Es war eine ganz seltene Translation“, sagt Markus Groß-Morgen, Direktor des Museums am Dom im Trier, also der Transport des Leichnams an seine frühere Wirkungsstätte. Der Überlieferung nach sollen seine Anhänger beschlossen haben, Paulinus nach Trier zu holen, nachdem sich das Meinungsklima im Land mit einem neuen Kaiser verbessert hatte. Hier wurde der Märtyrer in einer Grabbasilika beigesetzt, dem Vorgängerbau der heutigen Kirche St. Paulin.

„Für dieses erstaunliche Unterfangen sind im 4. Jahrhundert kaum Parallelen bekannt“, sagt die Restaurationswissenschaftlerin Nicole Reifarth. Gemeinsam mit anderen Forschern und Studierenden an der Technischen Hochschule Köln hat sie sich daran gemacht, das Geheimnis dieses Grabes zu lüften. Dabei versuchen die Projektbeteiligten mithilfe moderner Analysemethoden herauszufinden, wer in dem Sarkophag liegt, ob die Überreste darin tatsächlich von Paulinus sein können und wie die Umbettung vonstatten gegangen sein könnte.

 In der Krypta der Rokkoko-Kirche St. Paulin befindet sich das Grab des einstigen Bischofs Paulinus.  Foto: Anne Heucher

In der Krypta der Rokkoko-Kirche St. Paulin befindet sich das Grab des einstigen Bischofs Paulinus. Foto: Anne Heucher

Foto: Anne Heucher

Das Besondere an dem Projekt, das die Gerda Henkel Stiftung fördert, liegt nicht nur darin, dass Studierende aktiv in die Forschung eingebunden sind. Über einen Blog lassen die „Paulinis“, wie sie sich nennen, mit ihrer Dozentin Reifarth Interessierte auch hautnah teilhaben an ihrer Arbeit. „Sehr engagiert und voller Begeisterung“, freut sich Groß-Morgen über das Projekt, dessen Ergebnisse das Museum am Dom demnächst im Rahmen der Landesausstellung „Der Untergang des Römischen Reiches“ präsentiert. Schon in den ersten neun Blog-Folgen sind so spektakuläre Erkenntnisse über die Zeit des Paulinus im 4. Jahrhundert zutage getreten, dass es ein Highlight der „Untergang“-Ausstellung werden wird. So oder so.

Den Sarkophag haben Reifarth und ihr Team nicht geöffnet, denn das hatten vor ihnen schon andere getan. 1402 und im Jahr 1883, so berichtet es der Blog, hatte man den Deckel des Grabs gehoben und nicht nur hineingeschaut. Beim ersten Öffnen des Grabs wurde der Kopf des Bestatteten entnommen und in ein eigens angefertigtes Kopfreliquiar gebettet.

Beim zweiten Mal entnahmen die Akteure jede Menge Proben – Textilien, Balsamierungsrückstände, Pflanzenbeigaben und menschliche Überreste. Sie werden, soweit das noch nicht geschehen ist, nun analysiert. „Tatsächlich gibt es Überreste der Grabausstattung, die noch nie untersucht worden sind“, erklärt Reifarth in einem Interview des Blogs. „Wir betreten mit unserem Projekt Neuland. Das betrifft neue Forschungsfragen, neue Methoden und noch unbekanntes Material.“

Los ging es für das Team mit grundsätzlichen Fragen: Sollen wir die in Päckchen verpackte Proben überhaupt öffnen? Was spricht dafür, was dagegen? Welche Vorsichtsmaßnahmen sind zu treffen, um keine Spuren zu vernichten? Geradezu detektivisch gehen die jungen Leute an die Arbeit. Für sie geht es um viel mehr als um die Identität eines spätantiken Kirchenmannes oder die Frage, welche Spuren von der langen Reise aus Kleinasien möglicherweise noch zu finden sind. Sie entdecken winzige Textilspuren und lernen, diese zu verstehen. Etwa wie ein Garn gedreht ist oder ein Muster gewebt. Oder wie sich unterschiedliche Stoffe verhalten und sich mit der Zeit verändern. „Das Erkenntnispotenzial dieser Funde kann kaum hoch genug eingeschätzt werden“, urteilt Reifarth, „wenn wir uns allein vor Augen führen, wie wenige spätantike Zeugnisse aus organischem Material im Vergleich zu anderen Fundgattungen überliefert sind.“

Alles wird haarklein dokumentiert. Aus dem vorsichtigen Öffnen und Entfalten der geheimnisvollen Päckchen unter Spezialklima machen die Studierenden ein Video im Zeitraffer – 3 Wochen in 2 Minuten. Danach beginnt das Puzzle-Spiel, um die einzelnen Teile zusammenzufügen. Die gefundenen Stoffreste erwiesen sich als Volltreffer: Es ist kostbare Seide – und das in einmaligem Umfang. „Das Spannende ist, dass die Hälfte aller bislang bekannten Seidendamaste aus spätantiken Gräbern in Trier stammen“, erklärt Reifahrt in dem Blog. Nirgends sonst ist die Bandbreite an solchen Textilien offenbar so groß wie im römischen Trier. „Während man die meisten dieser Elitegräber nur mit einem Seidenstoff – zum Beispiel als Tunika oder Grabtuch – ausstattete, sind allein aus dem Paulinusgrab aktuell sechs verschiedene Seidendamaste dokumentiert.“ Seide haben die Römer aus China importiert, doch wo genau die Stoffe gewebt, gefärbt und weiter verarbeitet wurden, ist bislang ein Rätsel. Könnte es gar im spätantiken Trier eine kaiserliche Seidenmanufaktur gegeben haben? Ein Indiz spricht dafür: Auf einem der Seidenfragmente ist lateinische Schrift eingestickt.

Die Inschrift unter der Bronzestatue vor der Kirche St. Paulin in Trier.  Foto: Anne Heucher

Die Inschrift unter der Bronzestatue vor der Kirche St. Paulin in Trier. Foto: Anne Heucher

Foto: Anne Heucher

Hersteller hinterlassen immer eine Art textilen Fingerabdruck, wie man mittlerweile weiß. Eindeutig erkennbar sind heutzutage zum Beispiel die Unterschiede von Stoffen der Römer im Vergleich zu den ihnen folgenden Franken: „Aufgrund ihrer frappierend einheitlichen Merkmale ist mitunter selbst an kleinstem Faserspuren im Sediment vermeintlich fundleerer Gräber noch eine kulturelle Zuweisung möglich“, hatten Forschungen von Nicole Reifarth bereits vor rund zehn Jahren erbracht. Im Mikrobereich lassen sich somit viele Spuren über die Zeit des Untergangs des römischen Imperiums finden, wo andere Quellen rar sind.

Die Ermittlungen der jungen Detektive bringen also sensationelle Dinge ans Licht. Kein Wunder, dass die Studierenden offensichtlich mit Spaß und Begeisterung dabei sind. Als etwa drei unterschiedliche Haare zwischen den Seidenfragmenten zum Vorschein kommen, legen sie kurzerhand Haare von Kölner Kommilitonen oder Institutsmitarbeitern unters Mikroskop, die erkennen lassen, wie menschliche Haare in der Vergrößerung aussehen und was sie etwa von Tierhaaren unterscheidet. Ein anderes Mal müssen sie sich mit ungebetenen Gästen unter dem Mikroskop auseinandersetzen.

Dieser Tage erscheint der zehnte und letzte „Paulini“-Blog. Auf die finalen Ergebnisse der Expedition müssen Interessierte noch einen Monat warten. In der Woche vor Eröffnung der Untergang-Ausstellung wollen deren Macher das Paulinus-Projekt groß öffentlich bekannt machen. Bis dahin gilt eine Informationssperre. Sicher sind sich die Beteiligten aber bereits darin, dass das Projekt ein absolutes Highlight werden wird.

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