Welche Nachbarstaaten nehmen afghanische Flüchtlinge auf? Außenminister auf brisanter Mission

Antalya · Heiko Maas wirbt in Nachbarstaaten Afghanistans für die Aufnahme von schutzbedürftigfen Flüchtlingen. Erste Station ist die Türkei.

  Außenminister Heiko Maas (l.) am Verhandlungstisch mit seinen türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu (r.). Die Türkei will zusammen mit Katar den Flugbetrieb in Kabul aufrechterhalten.

Außenminister Heiko Maas (l.) am Verhandlungstisch mit seinen türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu (r.). Die Türkei will zusammen mit Katar den Flugbetrieb in Kabul aufrechterhalten.

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Irgendwann wollen sie wieder fliegen – von und nach Kabul. Viele Afghanen wollen weiter nur eines: einfach weg. Heiko Maas und Mevlüt Cavusoglu ist an diesem Sommerabend an der türkischen Riviera klar: Es wird noch dauern, bis zumindest beim Flugbetrieb wieder eine Art Normalität in Kabul vermeldet werden kann. Vom restlichen Leben in der afghanischen Hauptstadt ganz zu schweigen. Der deutsche Außenminister ist am Sonntag zu einer ebenso dringlichen wie politisch brisanten Mission aufgebrochen. Maas will die Lage sondieren, auf welchen Wegen zu Lande oder in der Luft schutzbedürftige Menschen, für die sich Bundesregierung in der Verantwortung sieht, noch aus Afghanistan herausgeholt werden können. In einem extrem unsicheren Umfeld – gerade nach den Anschlägen am Flughafen von Kabul. Erste Station einer mehrtägigen Vermittlungsmission, die ihn noch in die afghanische Nachbarschaft führt: Antalya, Türkei.

Zu seinem Amtskollegen Cavusoglu pflegt Maas gute Arbeitsbeziehungen. Vor drei Jahren besuchten die beiden Chef-Diplomaten gemeinsam die Deutsche Schule in Istanbul und erzählten den Schülerinnen und Schülern aus ihren Leben. Cavusoglu wollte Fußballprofi werden, musste sich dann aber mit dem Außenministerium seines Landes begnügen. Auch ein schöner Titelgewinn. Maas sagte da, es sei ihm nicht vorbezeichnet gewesen, als Außenminister die Interessen seines Landes weltweit zu vertreten. In einer Welt, in der immer neue Risiken und Gefahren auftauchten. So wie etwa in Afghanistan.

Cavusoglu setzt auf Gespräche mit den Taliban. Die türkische Regierung wie auch die Regierung von Katar verhandelt derzeit mit den Taliban darüber, wie nach dem Abzug der westlichen Truppen auf dem Flughafen Kabul weiter operiert werden kann. Denn ohne Flugbetrieb dürfte es mit der Ausreise weiterer schutzbedürftiger Afghanen, bei denen die Bundesregierung nach eigener Ankündigung im Wort steht, schwierig werden. Als eine Option gilt, dass die Türkei den Flughafen technisch betreibt, Katar wiederum dort für die Sicherheit sorgt. Der Airport könnte so für viele Afghanen das Drehkreuz auf dem Weg in die Freiheit von den Taliban werden.

 Maas dankt Cavusoglu für die „Evakuierungsleistung“ der Türkei. Neben afghanischen Ortskräften sollen etwa auch Menschenrechtsaktivistinnen und Frauenrechtlerinnen die Chance bekommen, „so schnell es möglich ist, nach Deutschland zu kommen“. Dazu müssen die Menschen „aus Kabul abfliegen können“. Auch eine Schutzzone, eventuell von den UN überwacht, rund um den Flughafen sei im Gespräch. Deswegen: Deutschland sei „außerordentlich dankbar“, dass die Türkei den Taliban ein Angebot gemacht habe, den Flughafen weiter zu betreiben. Deutschland sei bereit, mit Geld und Ausrüstung dabei zu helfen. Denn der Flughafen Kabul ist stark beschädigt: Piste, Tower, Equipment.

 Am Abend geht es für Maas und Delegation dann gleich weiter – in die afghanische Umlaufbahn. Fünf Stunden Nachtflug in die usbekische Hauptstadt Taschkent, wo am Montag nächste Gespräche anstehen. Der schwierige Nato-Partner Türkei hat schon einmal – gegen viel Geld – geholfen. Mit dem höchst umstrittenen EU-Türkei-Flüchtlingsdeal aus 2016 verfolgten die Europäer das Ziel, die Zahl der Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien nach Europa spürbar zu reduzieren. Jetzt soll die Türkei wieder dabei sein, wenn es darum geht, eine sichere und schnelle Passage für bedrohte Afghanen ins benachbarte Ausland zu organisieren.

Auf den Ausreiselisten des Auswärtigen Amtes sollen noch rund 10 000 Schutzbedürftige stehen – plus Mitglieder ihrer Kernfamilien, insgesamt rund 40 000 Menschen. Viel Arbeit, viel Organisation, um sie außer Landes zu bringen. Maas sagt denn auch: „Vor Ort hoffen weiterhin unzählige Menschen auf Ausreise, und die Lage in Afghanistan ist extrem unbeständig und gefährlich.“

Einer dieser Partner heißt Türkei, Alliierter in der Nato und Langzeit-EU-Beitrittsaspirant. Das westliche Militärbündnis hat sich in Afghanistan zuletzt bis auf die Knochen blamiert. Jetzt soll repariert werden, was repariert werden kann. Der schwierige Nato-Partner Türkei könnte helfen – sowohl durch den Betrieb am Flughafen Kabul wie auch bei der Verteilung von Flüchtlingen. Schließlich will die Bundesregierung, so gut es geht, alle jene Schutzbedürftigen, mit denen sie zusammengearbeitet hat, noch vor dem Zugriff der radikal-islamischen Taliban bewahren und über diplomatische Kanäle aus dem Land herausholen. Möglichst in sichere Nachbarländer, wenn diese Menschen schon nicht nach Europa kommen sollen oder können. Maas betont denn auch, dass Deutschlands Engagement nicht mit dem Abschluss der militärischen Evakuierung ende. „Am Gelingen unserer Evakuierungsmission“ hätten auch einige der Staaten, in die der deutsche Außenminister reist, ihren Anteil gehabt. Maas braucht und sucht im Namen der Bundesregierung Mitstreiter für die kritische Phase der internationalen Zusammenarbeit, „die jetzt beginnt“. Die Zeit drängt.

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