Die Grünen und eine Wahlkampagne mit Pannen Enttäuschte Hoffnung Kanzleramt

Meinung | Berlin · Lange haben Annalena Baerbock und Robert Habeck ihre Zusammenarbeit bis zur Perfektion gelebt. Doch die durchwachsen laufende Wahlkampagne fordert vor allem Habeck in der Kunst der Zurückhaltung

Ist er nicht ein Guter? Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit ihrem Co-Vorsitzenden Robert Habeck bei einem gemeinsamen Auftritt

Ist er nicht ein Guter? Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit ihrem Co-Vorsitzenden Robert Habeck bei einem gemeinsamen Auftritt

Foto: AP/Jens Meyer

Sie oder er? Seit kurz nach Ostern haben sie ihre Rollen. Sie: Annalena Baerbock, ist erste Kanzlerkandidatin in gut 41 Jahren grüner Parteigeschichte. Er: Robert Habeck, der für den grünen Frieden an der Parteispitze verzichtet hat, ist Spitzenkandidat seiner Partei. Wenn die Grünen an diesem Sonntag bei ihrem Wahlparteitag zum Schlussspurt dieses Wahlkampfes ansetzen, heißt es: Sie und er. Baerbock und Habeck haben sich in den vergangenen Wochen das Land für den Wahlkampf nach Regionen aufgeteilt. Baerbock hier, Habeck dort, selten zu zweit. Nun treten sie wieder einmal gemeinsam auf eine Bühne. Noch acht Tage bis zur Bundestagwahl. Jetzt geht es wirklich nur noch zusammen. Gegen den Abwärtstrend.

Die Polit-Ehe zwischen Baerbock und Habeck, die beide Politiker seit ihrer Wahl an die Parteispitze Ende Januar 2018 bis zur Perfektion gelebt und gezeigt haben, ist einem echten Härtetest ausgesetzt. Wenn die eine will, und der andere auch, muss einer zurückstecken. Habeck hat den Tag der Nominierung von Baerbock einmal als „schmerzhaftesten in meiner politischen Laufbahn“ beschrieben. Und natürlich wird er sich die Frage gestellt haben: Was wäre, wenn…? Was wäre, wenn er die Kanzlerkandidatur übernommen hätte. Vermutlich wären ihm, dem Schriftsteller, jene Fehler im Quellenverzeichnis, die Baerbock bei ihrem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ unterlaufen sind, nicht passiert. Und auch die öffentliche Debatte über den Lebenslauf der Kanzlerkandidatin, der allgemein als aufgehübscht empfunden worden war, war mehr als verzichtbar, jedenfalls waren die Fehler vermeidbar.

Die Grünen-Kampagne, zunächst fulminant angelaufen, ist seither ziemlich ins Stocken geraten. Die Ökopartei ist in diesem Wahlkampf angekommen in der Wirklichkeit. Das Umfragehoch ist nach den bekannten Pannen einem Sonnen-Wolken-Mix gewichen. Auf rund 15 Prozent sind sie nach derzeitigen Umfragen geschrumpft. Vorbei die Zeiten, als die Partei mit Werten von 25 Prozentpunkten und mehr zeitweise noch vor der Union und klar vor der SPD lag. Baerbock und Habeck verkündeten da selbstbewusst und unverblümt, die Grünen hätten den Anspruch, „unser Land von vorne zu führen“. Von vorne: aus dem Kanzleramt. Davon spricht nun plötzlich keiner mehr. Fast wirkt es so, als würde Baerbock das Wort „Bundeskanzlerin“ verbunden mit ihrem eigenen Regierungsanspruch inzwischen vermeiden. Auf die Frage, ob Sieg oder Platz jetzt ihr Ziel sei, sagte sie unlängst: „Ne, klar, sonst würde ich nicht hier stehen.“ Sie hätte auch sagen können: „Ich möchte Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland werden.“ Aber das sagt sie nicht. Sie formuliert eher defensiv, „dann möchte ich als Bundesregierung dafür sorgen“, dass beispielsweise zwei Prozent der Fläche des gesamten Landes mit Windrädern bestückt werden sollen. „Ich als Bundesregierung“? Ganz so, als würde ihr eine Regierungsbeteiligung mittlerweile genügen. Also Platz.

Baerbock und Habeck werden am Sonntag noch einmal dafür werben, dass sie, die Grünen, im Falle einer Beteiligung an einer nächsten Bundesregierung für einen Aufbruch stünden. Für den Umbau des Landes hin zu Klimaneutralität, dem großen Thema dieser Zeit, wofür die Grünen eine Art Copyright für sich beanspruchen. Sie geben Bettina Jarasch, der Bürgermeisterkandidatin für die Wahl zum Berlin Abgeordnetenhaus, die Bühne, ebenso Anne Shepley der Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, wo in beiden Ländern am selben Tag gewählt wird wie im Bund. Ein letzter gemeinsamer Auftritt von Baerbock und Habeck ist zum Wahlkampfabschluss am kommenden Freitag in Düsseldorf geplant. 

Zurückzustehen ist nicht einfach, gerade wenn man davon überzeugt ist, man hätte es (mindestens) genauso gut gemacht. Vermutlich hätte Habeck andere Fehler gemacht, so wie alle Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten eines monatelangen Wahlkampfes ihre Tiefs erleben, in Situationen kommen, in denen sie angreifbar sind. Es gilt die alte Weisheit: Politische Karrieren sind nicht planbar. Spitzenkandidat Habeck dürfte die Rolle neben Kanzlerkandidatin Baerbock viel Disziplin und Zurückhaltung abverlangt haben. Er wird sich schon mehrfach gefragt haben, ob die Chance einer Kanzlerkandidatur für ihn noch einmal wiederkommt. Aber nun wollen sie zumindest eines zusammen: in die nächste Bundesregierung und beide in ein Ministeramt. 

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