Interview DIHK-Chef Peter Adrian: „Wir erleben eine Investitionsblockade der Unternehmen“

Berlin · Der Chef des Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Peter Adrian aus Trier, hofft auf offene Ohren für die Wirtschaft in der neuen Bundesregierung.

DIHK-Chef Peter Adrian aus Trier: „Wir erleben eine Investitionsblockade der Unternehmen“
Foto: IHK/THEWALT.Helmut

Adrian warnt vor Firmenflucht, wenn Steuern erhöht werden, und fordert einen weltweiten CO2-Mindestpreis. Der DIHK-Präsident ist Chef der Trierer Industrie- und Handelskammer.

Herr Adrian, noch sind es gut zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Steht Deutschland vor einem Richtungswechsel?

Adrian Den Umfragen zufolge wird es jedenfalls spannend. Wir hoffen, dass wir in jeder Koalition ein offenes Ohr für die Anliegen der Wirtschaft finden werden. Ich bin da ganz zuversichtlich.

Fürchten Sie einen Linksruck?

Adrian Als DIHK- Präsident bin ich parteipolitisch neutral. Für die Wirtschaft ist nach der Wahl wichtig, dass die neue Regierung eine investitionsfreundliche Politik macht.

Welche drei Punkte muss eine neue Regierung sofort anpacken?

Adrian Es muss schnell einen gemeinsamen Weg zur Bewältigung der Klimakrise geben, ohne dass wir wesentliche Teile unserer Industrie dauerhaft verlieren. Wir wünschen uns keine nationalen oder europäischen Alleingänge, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen muss gewahrt werden. Unsere energieintensiven Unternehmen dürfen nicht abgehängt werden.

Und weitere Punkte?

Adrian Unser System der sozialen Sicherung können wir auf hohem Niveau nur halten, wenn wir ausreichend wirtschaftliches Wachstum erzielen. Dazu gehört, dass Unternehmen und Mitarbeiter nicht durch steigende Lohnzusatzkosten belastet werden. Das alles ist eine enorme Herausforderung auch durch Top-Punkt 3, die Demografie: Jedes Jahr gehen 300.000 Menschen mehr in Rente als Berufsanfänger nachrücken – mit steigender Tendenz. Alleine dadurch werden uns in wenigen Jahren einige Millionen Fachkräfte fehlen. Das müssen wir ausgleichen.

Wie beurteilen Sie die SPD-Forderung nach einem Mindestlohn von zwölf Euro?

Adrian Lohnforderungen und Verhandlungen darüber überlasse ich den Tarifparteien beziehungsweise der dazu eingesetzten Kommission. Aus der betrieblichen Praxis kann ich berichten: Für viele Unternehmen sind die zwölf Euro heute schon gelebte Realität. Aber es gibt natürlich andererseits wichtige Bereiche, die sich mit steigenden Mindestlöhnen schwertun.

Wie geht es den Unternehmen, investieren diese genug?

Adrian Wir erleben aktuell in gewisser Weise eine Investitionsblockade, die sich nicht allein auf den starken Corona-Effekt zurückführen lässt. Auch von den Industriebetrieben meldet in unserer letzten Umfrage ein Drittel eine problematische Finanzlage. Die Unternehmen haben ihre Ausrüstungsinvestitionen im vergangenen Jahr um mehr als 13 Prozent reduziert. In 2021 sieht es weiter verhalten aus. Bei der Kreditnachfrage der Betriebe gab es zwischen 2015 bis 2019 noch ein starkes Plus von 140 auf 190 Milliarden Euro. Derzeit stagnieret der Bestand bei knapp 200 Milliarden. Wir können daran erkennen, dass die Unternehmen unterdurchschnittlich Neukredite aufnehmen und damit auch weniger investieren. Diese Zahlen sind ein Warnzeichen. Denn sie zeigen, dass die Unternehmen aktuell davor zurückschrecken, in erheblichem Umfang in Anlagen und Maschinen zu investieren.

Woran liegt das?

Adrian Es fehlt die langfristige Vertrauensbasis, dass sich solche Investitionen auszahlen. Das Investitionsklima ist deutlich schlechter geworden.

Was macht das mit dem Aufschwung?

Adrian Einen sich selbst tragenden Aufschwung kann es nur geben, wenn sich die Investitionsblockade löst. Das sehe ich noch nicht, auch wenn sich die Wirtschaft seit dem Lockdown wieder positiv entwickelt. Noch könnten wir sogar schon Ende dieses Jahres wieder das Niveau vor Corona erreichen. Aber es gibt für eine konstante Aufwärtsentwicklung viele Fragezeichen etwa mit Blick auf den Fachkräftemangel, die Lieferkettenprobleme und neue – noch unbekannte – politische Rahmenbedingungen.

Was ist das größte Problem bei den Lieferengpässen?

Adrian Wir haben extrem gestiegene Transportkosten seit der Corona-Krise, teilweise haben sich diese versechsfacht. Die Schiffsladungen sind ausgebucht, Termine können nicht gehalten werden. Selbst die Autoindustrie musste schon kurzzeitig runterfahren, weil wichtige Vorprodukte fehlen.

Meinen Sie mit politischen Rahmenbedingungen die mögliche Einführung einer Vermögenssteuer? Ist dann mit Standortverlageru ngen zu rechnen?

Adrian Dies könnte der Fall sein. Wir liegen laut OECD bereits jetzt in der Rangliste bei den Unternehmenssteuern ganz oben. Wir haben Unternehmen, die sind auf den Standort Deutschland angewiesen. Aber es gibt sicher Unternehmensbereiche, die durchaus in anderen Ländern operieren könnten. Unternehmenssteuern sind auf jeden Fall ein Standortfaktor, die Unternehmen zu schwerwiegenden Maßnahmen zwingen könnten.

Auf der anderen Seite hat der Staat in der Corona-Krise den Unternehmen auch massiv unter die Arme gegriffen…

Adrian Das stimmt, die Bundesregierung hat mit Kurzarbeitergeld und Corona-Hilfen sowie Kreditprogrammen dazu beigetragen, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der Lockdowns abzufedern. Die Zahl der Insolvenzen hat sich bislang nicht wesentlich verändert. Aber fast jeder vierte Betrieb meldet abgeschmolzenes Eigenkapital, ein Fünf tel sogar Liquiditätsengpässe. Ein erneutes Runterfahren wäre fatal, die Schmerzgrenze ist vielfach erreicht.

Dass die Unternehmenssteuern wirklich gesenkt werden, ist angesichts des Vorsprungs von Olaf Scholz wenig wahrscheinlich. Welche Folgen hätte ein Ausbleiben der Entlastungen?

Adrian Ich persönlich denke, dass jede Regierung künftig vor der großen Herausforderung steht, den Haushalt zusammenzuhalten. Denn der Staat hat sich durch die Pandemie und die Hilfen, die Bund und Länder getragen haben, enorm zusätzlich verschuldet. Fest steht: Steuererhöhungen wären der falsche Weg, diese Herausforderungen zu meistern. Denn das wäre Gift für die Konjunktur und den Wirtschaftsstandort. Wir haben nach der Finanzkrise 2010 gesehen, dass wir auch herauswachsen können aus den Schulden. Die Steuereinnahmen haben sich dadurch in einem Jahrzehnt bis 2019 um 50 Prozent erhöht. Ein stabiles Wachstum der Wirtschaft wie vor der Pandemie erreichen wir nur, wenn die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Betriebe stimmen. Und da sind die Belastungen für Unternehmen in anderen Ländern inzwischen deutlich niedriger. Damit wird sich jede neue Bundesregierung beschäftigen müssen.

Bis 2030 soll die Wirtschaft einen beispiellosen Transformationsprozess durchlaufen hin zur Klimaneutralität. Wie schaffen wir das, wenn sich die Unternehmen jetzt schon mit Investitionen zurückhalten?

Adrian Die deutsche Wirtschaft kann diese Transformation schaffen, wenn sie von der Politik einen klaren, realistischen und vor allem langfristig verlässlichen Rahmen bekommt. Die Spielregeln sind aber noch nicht mal kurzfristig verlässlich. Ein Beispiel: In Aachen haben wir an einem Industriestandort zwei große fossile Kraftwerke stillgelegt und durch eine Investition in dezentrale, moderne Gas-Anlagen ersetzt. So haben wir den Energieverbrauc h um 60 Prozent reduziert. Ich kann jetzt nicht sofort, nur weil die Politik noch ehrgeizigere Klimaziele vorgibt, diese neuen Anlagen durch noch klimafreundlichere ersetzen.

EU-Kommission und Bundesregierung haben aber ehrgeizigere Klimaziele vorgegeben, das Stichwort lautet Fit for 55: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 55 Prozent reduziert werden. Schaffen wir das?

Adrian Die neuen Ziele haben die Industrie teils überrascht. Viele haben jetzt Probleme, ihre Investitionspläne so kurzfristig anzupassen. Mein Beispiel zeigt, dass die Umsetzung an praktische und wirtschaftliche Grenzen stößt. Das EU-Programm schafft bei vielen Unternehmern nicht das erforderliche Vertrauen, dass die Investitionssicherheit in Zukunft gegeben sein wird. Hinzu kommt, dass Deutschland jetzt im Alleingang einen CO2-Preis für Verkehr und Wärme eingeführt hat. Dadurch wird die Industrieproduktion bei uns noch mal teurer als in L ändern, mit denen wir im Wettbewerb stehen. Europa muss sich unbedingt mit China und den USA an einen Tisch setzen, um gemeinsame weltweite Bedingungen zur Umsetzung der Pariser Klimaziele zu vereinbaren.

Was soll da genau vereinbart werden?

Adrian Die EU muss mit China und den USA einen gemeinsamen Weg hin zum Klimaziel minus 55 Prozent vereinbaren. Andernfalls haben wir eine massive Wettbewerbsverzerrung zu unseren Ungunsten. Wir brauchen so etwas wie beispielsweise einen weltweiten CO2-Mindestpreis.

Wettbewerbsnachteile will die EU mit einer Grenzausgleichssteuer verhindern, die sie auf importierte Produkte erheben will, die mit zu viel CO2 produziert worden sind.

Adrian Eine Grenzausgleichssteuer ist nicht nur kompliziert, sondern würde auch handelspolitische Konflikte heraufbeschwören – und das Problem allein auch gar nicht lösen. Denn die St euer hilft uns ja nicht beim Export: Europäische Produkte sind wegen unserer ehrgeizigeren Klimapolitik künftig sehr viel teurer. Das müssen wir verhindern, denn das kann uns viele Jobs kosten. Die Annahme, wir gehen voran und dann werden uns automatisch alle folgen, ist eine Illusion. Wir müssen die Probleme in internationaler Kooperation marktwirtschaftlich und technologieoffen angehen.

Also lehnen Sie zum Beispiel ein Verbot des Verbrenners ab, wie es die Grünen fordern?

Adrian Sollten wir einen klimaneutralen Verbrennermotor haben, würde ich ein Verbot ablehnen, richtig.

Gehen Ihnen die neuen Klimaziele zu weit?

Adrian Nein! In der Zielsetzung sind wir uns doch alle einig. Es ist unbedingt auch das Interesse der Wirtschaft, unseren Lebensraum für nachkommende Generationen zu erhalten und ihnen ein vernünftiges Leben zu ermöglichen. Da gibt es überhaupt keinen Dissens. Uns geht es darum, auf ganz reale Probleme bei der Umsetzung in der unternehmerischen Praxis hinzuweisen.

Klimakrise, Demografieproblem, Digitalisierungsrückstand, Fachkräftemangel – stehen wir vor ganz schweren Jahren?

Adrian Ich bin von Hause aus Optimist. Herausforderungen bedeuten Aufbruch und Veränderung. Es gibt in vielen Unternehmen erkennbar auch eine Aufbruchstimmung. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen. Unternehmen brauchen dafür aber entsprechende Rahmenbedingungen – und da setzen wir auf durchgreifende Verbesserungen durch die neue Bundesregierung.

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