Migration Hoffnung schwindet, Verzweiflung wächst

Eifelkreis · Irmgard Mminele betreut seit sechs Jahren Flüchtlinge im Eifelkreis. In dieser Zeit hat sich ihr Berufsalltag sehr verändert. Die Ursache: Geflüchtete erleben es als zunehmend schwierig, sich hier ein Leben mit Familie und Arbeit aufzubauen.

 Geflüchtete suchen den Weg in den Arbeitsmarkt und Arbeitgeber brauchen dringend ihre Arbeitskraft. Doch die Bestimmungen machen es ihnen schwer, zueinander zu kommen.

Geflüchtete suchen den Weg in den Arbeitsmarkt und Arbeitgeber brauchen dringend ihre Arbeitskraft. Doch die Bestimmungen machen es ihnen schwer, zueinander zu kommen.

Foto: dpa/Patrick Pleul

„Der Klimawandel und die Migrationsproblematik sind die Themen der Zukunft und das Klimaproblem wird die Migrationsbewegung forcieren“, davon ist Irmgard Mminele überzeugt. Sie hat jeden Tag mit Geflüchteten zu tun. Seit 2015 leitet sie den Bereich Flucht, Migration und Integration beim DRK im Eifelkreis. Sie beobachtet, wie sich hier etwas verändert. „Arbeitsmarktintegration und Familiennachzug sind schwieriger geworden.“ Ursache sind neue Gesetze, die rechtliche Hürden aufbauen. In der Konsequenz würden Menschen mürbe gemacht. „Bis 2017 war man hier in der Beratung jemand, der Hoffnung geben konnte“, sagt Mminele. Dann haben sich die Rahmenbedingungen für neu ankommende Flüchtlinge und Geduldete verschlechtert. Seitdem werden beispielsweise den Menschen aus Syrien und Eritrea die Flüchtlingseigenschaften in der Regel nicht mehr zuerkannt. Stattdessen erhalten sie nur noch subsidiären Schutz mit der Konsequenz, dass der Anspruch auf Familiennachzug wegfällt. Mit dem 2020 eingeführten so genannten neuen Migrationspaket durften dann Geduldete ohne Pass nicht mehr arbeiten. Auch das verschärft die Situation. 

Mittlerweile würden die Leute in der Beratungsstelle vor allem ihren Frust los. Für die Mitarbeitenden in den Beratungsstellen heißt es nun oftmals: statt Hoffnung geben, Verzweiflung aushalten. Meistens geht es um nicht erfolgreichen Familiennachzug, Verzögerungen bei den Anträgen auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis, Probleme beim Bezug von Hartz IV und in vielen Fällen um den Versuch, eine Erlaubnis zur Ausbildung oder Beschäftigung zu bekommen.

„Wir brauchen die Arbeitskräfte“

 Was gerade beim Thema Arbeitserlaubnis zu wenig gesehen werde, sei, „dass wir diese Menschen als Arbeitskräfte brauchen“. Oft riefen Arbeitgeber aus dem Kreisgebiet bei ihr an, damit sie dabei hilft, dass Auszubildende oder Beschäftigte zur Arbeit zugelassen werden oder weiterarbeiten dürfen. Ihrer Ansicht nach sollten nicht nur Anerkannte, sondern auch Geduldete arbeiten dürfen. „Die Leute wollen nicht von der Sozialhilfe leben.“

Die Kreisverwaltung muss das geltende Recht umsetzen. Aber sie hat auch einen gewissen Ermessensspielraum. Worüber Mminele den Kopf schüttelt: „Damit jemand unbefristet bleiben darf, wird im Eifelkreis mittlerweile ein unbefristeter Arbeitsvertrag verlangt. Gleichzeitig stellen Arbeitgeber keinen unbefristeten Arbeitsvertrag aus, so lange die Arbeitnehmer nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis haben. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Das ist für die Betroffenen Arbeitgeber wie Arbeitnehmer wirklich schwer nachvollziehbar!“ Für diejenigen, die sich bemühten, sei das zermürbend.

 Frage an die Verwaltung: Warum wird das im Eifelkreis so streng gehandhabt? Dazu die Ausländerbehörde: „Es ist sicherlich davon auszugehen, dass unsere Ausländerbehörde dies nicht strenger handhabt als andere Ausländerbehörden. Es geht hier um die Prüfung von Tatbestandsvoraussetzungen.“

Ausländer haben Angst

 Gunda Gercke-Stolzenbach, Vorsitzende des Beirats für Migration und Integration im Eifelkreis, sieht  zwischen Beirat und Ausländerbehörde „in Richtung vertrauensvoller Zusammenarbeit noch viel Luft nach oben“. Nicht EU-Bürger hätten aufgrund der Art und Weise wie sie dort behandelt würden, „Angst vor der Behörde“.

Mminele plädiert dafür, bei Entscheidungen über das Bleiberecht den Einzelfall näher zu betrachten. „Es stimmt, wir können nicht alle aufnehmen. Aber ich finde, wo Menschen alles tun, um sich zu integrieren, müssten wir auch schauen, was wir dazu beitragen können, damit sie bleiben.“ Das liefe oftmals in die umgekehrte Richtung.

Dazu erzählt sie die Geschichte einer Familie aus Tschetschenien, die im Eifelkreis lebt. Die beiden ältesten Söhne absolvieren eine pflegerische Ausbildung im Krankenhaus, lernen Berufe, die dringend nachgefragt sind. Die älteste Tochter möchte ebenfalls nach dem Schulabschluss in diese Richtung. Dann erleben sie mit, wie eines nachts Polizisten in die Wohnung eindringen, sie aus dem Schlaf reißen, um die Eltern und die zwölfjährigen Zwillinge abzuschieben - ganz rechtmäßig. Die Mutter schreit. Einer der Söhne will an den Polizisten vorbei, hin zu ihr. Nach seiner Schilderung fesseln ihn die Beamten und drücken ihn auf den Boden. Er versucht sich zu befreien und beschimpft die Polizisten. Auch seine 18-jährige Schwester attackiert die Beamten verbal. Der Vater flieht in Panik, die Mutter und die Zwillinge werden zum Flughafen gebracht.

Strafverfahren eingeleitet

Am nächsten Tag werden die zurückgebliebenen Geschwister zur Ausländerbehörde zitiert und wegen Widerstands angezeigt, berichtet Mminele und fragt: „Ist das nötig? Es geht um eine 18-Jährige, die nicht weiß, wohin mit ihrem Schmerz, und einen Sohn, der Angst um seine Mutter hat. Natürlich ist das auch für die Mitarbeitenden der Ausländerbehörde belastend – aber es wäre trotzdem schön, wenn wir Verständnis für die Reaktion der erwachsenen Kinder in so einer Notlage aufbringen könnten.“

Warum diese Härte? In einer Stellungnahme antwortet die Ausländerbehörde: „Aus datenschutzrechtlichen Gründen teilen wir hierzu lediglich mit, dass die örtliche Polizeiinspektion von Amts wegen gegen mehrere Beteiligte Strafverfahren einleitete, da ein Verstoß gegen hohe Rechtsgüter vorlag.“

Familiennachzug wird erschwert

Es gibt viele Fälle, in denen nach Mmineles Ansicht Menschen mit Fluchthintergrund gezielt mürbe gemacht werden. Sie  zieht die Akte eines Mannes aus Eritrea aus der Schublade. Er ist seit 2017 anerkannter Flüchtling, darf aber seine Frau und seine Kinder nicht zu sich nach Bitburg holen, weil Geburtsurkunden fehlen. „Er arbeitet, macht keinen Ärger, liegt niemandem auf der Tasche und trotzdem macht man ihm das Leben schwer. Warum frustrieren wir die Menschen so, die hier arbeiten? Mit einem DNA-Test könnte er seine Vaterschaft leicht beweisen.“ 

Ein Softwareentwickler aus Syrien darf seine Mutter nicht herholen, obwohl er eine Verpflichtungserklärung unterzeichnen würde, dass er alle Kosten für sie übernimmt. „Er überlegt, wegzuziehen, und wir verlieren wieder eine Fachkraft.“ Es gibt viele Beispiele von frustrierten ausländischen Fachkräften im Eifelkreis, die lieber wegziehen.

Kooperation von Behörden und Beratungsstellen

Gunda Gercke-Stolzenbach spricht von „sturer und lähmender Bürokratie“ der Behörden - neben der Ausländerbehörde meint sie auch das Finanzamt sowie das Standesamt und nennt Beispiele: „Es war ein zäher Kampf für ein hier geborenes Kind eine Geburtsurkunde zu bekommen, da auf der vorliegenden Heiratsurkunde aus Syrien der Heiratsort nicht vermerkt ist“, was in Syrien üblich sei. Und das Finanzamt erkenne häufig Heirats- und Geburtsurkunden nicht an.

Irmgard Mminele setzt sich dafür ein, den Blick zu weiten: „Es wäre schön, wenn wir im Eifelkreis als Behörden und Beratungsstellen uns bei Einzelfällen zusammensetzen würden und nach guten Gründen schauen, warum eine Familie bleiben sollte und wie wir sie dabei unterstützen können.“ Das erhofft sie sich für einen humaneren Umgang mit den Menschen. Denn Integration sei keine Einbahnstraße. Gunda Gercke-Stolzenbach sieht das sehr ähnlich: „Wir wünschen uns eine Ausländerbehörde, die neben den Aspekten Sicherheit und Ordnung - ihre originäre Aufgabe - auch ein Teil der Integration ist und diese zum Ziel hat.“

(sys)
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