Bunte Webteppiche erzählen Lebensgeschichten und führen zur Tunika Jesu

Trier · Sie leuchten in schillernden Farben, rot, gelb, grün; manche sind auch weiß, grau oder schwarz. Dicke und dünne sind dabei; einige fühlen sich grob und rau an, andere zart und butterweich. So unterschiedlich diese Fäden auch aussehen mögen, sie haben viel gemeinsam: Sie alle erzählen Geschichten, die das Leben schreibt und sind letztendlich wichtige Bausteine eines großen Ganzen.

Er ist drei Meter breit, drei Meter hoch und nicht zu übersehen. Und das ist gewollt. Denn bevor die Pilgerinnen und Pilger in den Dom gelangen, um den Heiligen Rock zu verehren, heißt es zunächst im Zelt: "Herzlich willkommen." Begrüßt werden die Gläubigen nicht nur vom Helfer-Team, sondern eben auch vom "Fürstlichen Gewichtswebstuhl" - wie er im Fachjargon nicht zuletzt wegen seiner stattlichen Größe genannt wird. Er wartet schon sehnsüchtig auf Futter und Stoff. Und das kommt mit jeder Pilgergruppe: Das muntere Fäden-Einsammeln kann losgehen.

Botschaften und schöne Begegnungen

Manche Besucher kommen mit leeren Händen, haben im Vorfeld nichts gehört von diesem besonderen Empfang. Doch auch für sie ist gesorgt. Sie bedienen sich mit Material aus den bereitgestellten Körben und genießen es einfach, am Ende des Tages "Teil eines großen Ganzen" zu sein. Andere kommen gut gewappnet nach Trier. Rita Rentrop zum Beispiel aus dem Bistum Essen. Sie hatte gelesen, dass man Woll- oder Textilfäden mitbringen kann, die einem sehr viel bedeuten. Da musste sie nicht lange überlegen. Seit Jahren strickt sie Schals, verkauft sie und spendet den Erlös dem Caritas Baby Hospital in Bethlehem. Dort kümmert die Caritas sich um Kinder, die ohne medizinische Grundversorgung in Armut und Ungerechtigkeit leben müssen. Nun hat Rita Rentrop einen solchen Schal-Faden eingewebt. Seine Botschaft: Jeder kann helfen, auch mit bescheidenen Mitteln.

"Das ist ein sehr schönes Symbol zur Hinführung auf den Heiligen Rock", sagt auch Hiltrud Gubernator aus Seibersbach. "Sehr gerne" leistet auch sie ihren Beitrag, damit ein bunter Webteppich entstehen kann. Sie ist mit ihrer Schwester nach Trier gekommen, mit dabei auch die Ehemänner. Alle heißen Gubernator: Ursel und Helmut, Hiltrud und Kurt. Wie kann das sein? "Nun, wir sind Schwestern, unsere Männer sind Brüder." Gemeinsam gehen die Vier durchs Leben, gemeinsam werden sie demnächst Goldene Hochzeit feiern, und gemeinsam besuchen sie auch den Heiligen Rock.

Maria Grenner mag ihren Dienst am Webstuhl. Sie war früher Küsterin in Trier-Olewig, arbeitet im "richtigen Leben" in der Baumschule Bösen und engagiert sich - wie auch ihr Mann - sehr gerne während der Wallfahrt. "Es sind wirklich schöne Begegnungen", sagt sie. Am 14. April sei sogar ein frisch getrautes Paar gekommen und habe das Brautband eingewebt. Grenner: "Wer will, kann sein Band gerne selber einweben. Wir erklären dann, wie das geht." Marie Breuer aus Zülpich nimmt das Angebot gerne an: Sie hat gerade an einer Fahne für den Karnevalsverein gestickt und "den Rest" mitgebracht. "Eine Bekannte hat mir von dem Webstuhl erzählt. Das finde ich richtig gut."

Wenn das Leben am seidenen Faden hängt

Plötzlich kommt Bewegung ins Zelt: Die Klasse 8b der Blandine-Merten-Realschule ist angekommen. "Ich freue mich, mit meinen Schülerinnen hier zu sein", sagt Klassenlehrerin Lydia Müller. Es sei ein schönes Gefühl, sich in der Gemeinschaft auf den Weg zu machen. Die Webstuhl-Aktion sei "eine sehr gute Idee". Die Schülerinnen haben sich entschieden, ihre Fäden aneinander zu knoten und dann einzuweben. Einige Zeit später: Lisa und Lena aus der 8b sind nach dem Besuch des Heiligen Rocks wieder ins Zelt zurückgekommen. In eines der eigens bereitgelegten Bücher schreiben sie stellvertretend für die Klasse: "Unsere Fäden waren uns Begleiter auf dem Weg hierher. Sie stehen für den Zusammenhalt der Klasse und für dieses einmalige, gemeinsame Erlebnis. So wie die Fäden unterschiedliche Farben haben, hat auch jeder von uns andere Gedanken und Gefühle."

"Darf man lesen, was ich den Büchern steht?", fragt ein junges Mädchen. Aber selbstverständlich. Denn viele der Fäden bekommen durch die aufgeschrieben Geschichten erst ein Gesicht, erhalten einen tieferen Sinn. Da geht es um den roten Faden im Leben, den man manchmal verloren hat, oder auch um Fadenscheiniges. Und es geht um Leben, das am seidenen Faden hängt. Eltern eines zu früh geborenen Kindes haben Elektroden eingewebt. Sie erinnern damit an eine Zeit im Krankenhaus, eine Zeit des Hoffens und Bangens. Viele kämpften um das Leben des Kindes - mit Erfolg, heute ist es gesund.

Ein Band erzählt von "der Liebe meines Lebens"

Eine "Oma aus Bernkastel-Kues" schreibt: "Mit diesem Faden habe ich meiner Enkelin Zoe einen Pullover gestrickt. Mögen die Fäden zwischen uns immer bestehen bleiben." Eine andere Großmutter "bringt den Faden für ihre Enkelin mit, die Sorgen macht". "Eine Elena" hat notiert: "Mein Faden ist grün wie eine Wiese, deshalb habe ich ihn lieb." Ein anderer Faden ist "eine Erinnerung an meinen Opa, der gestorben ist. Er erinnert mich an die schöne Zeit". Zu lesen auch: "Mein Faden ist schwarz-grau-weiß, wie das Leben." Ein Eintrag vom Eröffnungstag, dem 13. April, fällt ebenfalls auf: "Dieser Tag ist unser Hochzeitstag. Vor fünf Jahren habe ich die Liebe meines Lebens geheiratet. Mein Band soll sagen: Ich wünsche uns ein langes, gesundes Leben."

"Also mindestens zehn Meter haben wir bis jetzt bestimmt schon gewebt. In jedem Teppich von etwa dreieinhalb Metern Länge stecken etwa 4000 Fäden", erzählt Anna Maria Höchtl. Sie kommt aus Cuxhaven und liebt ihren Einsatzort als Helferin vor dem Webstuhl. Durch das "Pilgern im Watt" ist die kirchlich engagierte 65-Jährige auch auf die Wallfahrt in Trier aufmerksam geworden. Ihre Anfrage, ob Helfer auch "von etwas weiter weg" gefragt seien, sei mit einem herzlichen "aber selbstverständlich" beantwortet worden. So ist sie nun für drei Wochen in der Jugendherberge einquartiert und lässt während des Dienstes den Webteppich nicht aus den Augen.

Und was geschieht mit den fertigen Webteppichen? Sie werden samstags jeweils zu Beginn der langen Domnacht vor den Schrein mit der Tunika Jesu Christi gelegt. Schicksale und Geschichten, die mit den Fäden verknüpft sind, werden erzählt. Viele Pilgerinnen und Pilger helfen somit unbewusst mit, das Leitwort der Wallfahrt mit Leben zu füllen: "Und führe zusammen, was getrennt ist." Gut eingefädelt also, diese Heilig-Rock-Wallfahrt.

Info
Täglich zwischen 10.30 und 21 Uhr heißt es im Zelt auf dem Domfreihof beim geistlichen Empfang: Wer ankommt, ist willkommen und kann sich zudem beteiligen. Die Aufforderung lautet: "Bringen Sie doch bitte einen Woll- oder Textilfaden mit, vielleicht sogar einen Faden, der für Sie besondere Bedeutung hat. Wir haben einen Webstuhl, der die unterschiedlichen Lebensfäden miteinander verwebt. So entsteht ein neues Tuch als sichtbares Zeichen des Wallfahrtsmottos: Und führe zusammen, was getrennt ist."
Weitere Informationen rund um die Heilig-Rock-Wallfahrt gibt es im Internet unter www.heilig-rock-wallfahrt.de oder im Wallfahrtsbüro, Telefon 0651-7105-8012.

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