Der andere Konsum

Fast einem Automatismus gleich wiederholen sich Meldungen zur Kauflaune der Deutschen. Man könne und wolle in diesem Jahr wieder mehr ausgeben, also auch etwas anders einkaufen.

 Volle Einkaufstaschen: Wenn die Konjunkturprognosen stimmen, können sich die Deutschen auch in Zukunft allerhand leisten. Foto: dpa

Volle Einkaufstaschen: Wenn die Konjunkturprognosen stimmen, können sich die Deutschen auch in Zukunft allerhand leisten. Foto: dpa

Kauflaune mag ein soziales Phänomen sein, das sich messen lässt (siehe unten auf dieser Seite). Aber wenn ausgewählte Konsumenten nicht immer wieder gefragt würden, was sie beim Kaufen denn so umtreibt: Sie müssten sich dann vielleicht gar keine Sorgen darüber machen, ob sie in diesem Jahr anders, mehr oder weniger Geld ausgeben wollen. So aber liest auch der ungefragte Verbraucher über das, was ihn angeblich beschäftigt, und kommt vielleicht ins Grübeln, im Sinne von: "Wer hätte das gedacht?"
Wer durch unsere Einkaufsstraßen geht, wird sich in der Tat die Frage stellen müssen: Für wen sind all diese Waren gedacht und gemacht? Erst recht, wenn immer häufiger die Rede davon ist, dass das Einkaufen vermehrt neue Wege im Netz beschreitet. Wer hier "offline" durch die Geschäfte läuft, kauft in der Regel nicht mehr ausschließlich dort, sondern vermehrt auch im Internet - und ärgert sich nun mit ein wenig Pech statt über die Schlange an der Kasse über die Schlange bei der Post, weil niemand zuhause war, als die Ware eintraf. Die "ordernde Gesellschaft" legt Wert auf Bequemlichkeit. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich der nächste "At your service"-Dienst dieses Problems annimmt. So hatte man doch eigentlich nicht gewettet. Die Idee des Fair Trade bekommt einen neuen Anwendungsfall.
Überhaupt ist das klassische Feld des fairen Handels zugleich ein Bereich, in dem Misstrauen ständig mitläuft. Eine Studie hat dokumentiert, wie die Kriterien für fairen Handel und Nachhaltigkeit im Lebensmittelsektor nach und nach verwässert werden, zum Beispiel bei Mischprodukten (Kekse, Säfte). Als vor einigen Jahren ein neues Akronym auf sich aufmerksam machte - LOHAS (= Lifestyle of Health and Sustainability) -, da waren in Deutschland und anderen westlichen Ländern die Anhänger dieses Lebensstils nicht lange eine kleine Gruppe von Neuerern.Handel im Wandel


Unlängst ist der häufige Griff in die Bio-Regale (siehe Geld und Markt, Seite 7), insbesondere der jüngeren Bevölkerung, mit Hinweisen auf das Verhalten von Hollywood-Größen in Verbindung gebracht worden, die die Vorzüge der Bio-Kost preisen. Von einer Bio-Welle war die Rede, eine Metapher, die an Mode- und Innovationszyklen denken lässt: Neuerer oder Innovatoren machen den Anfang, Meinungsführer bringen das Phänomen unters Volk, das sich dann gegenseitig ansteckt. So entsteht offenbar ein Massenmarkt, der einstmals neuen Ideen ihren Sinn nimmt. Was als Aufforderung, anders zu konsumieren, begann, endet in Mogelpackungen. Auch jene, die für eine alternative Ökonomie des Teilens plädieren, wundern sich über die vielen kleinen, und vermehrt auch großen Unternehmer, die auf der "Konsum-Allmende" ständig neue Marktlücken entdecken. Eine Repräsentantin von Transfair wird mit dem Satz zitiert: "Früher wollten Kunden die Welt retten - heute wollen sie ein gutes Produkt mit Mehrwert."
Wann dieses "früher" war? Wahrscheinlich gab es viele "früher" und viele, die für einen anderen Konsum, was eben auch anderes Einkaufen bedeutet, plädierten. Aber der Konsument hört nicht so sehr auf Plädoyers und er will ungern als Nachahmer gesehen werden. Wenn, dann will er seine Entscheidung als etwas sehen, das aus ihm kommt - allen Massenphänomenen zum Trotz. Den schlechten Botschaften geht er eher aus dem Weg. Es müssen sich auch Spielräume für ihn persönlich eröffnen. Er bevorzugt daher den Unterschied, auch wenn er häufig klein ist. So ist etwa die Farbe der Schale, in die ein neues technisches Gerät schützend hineingesteckt wird, nicht trivial. Auch die Vielfalt beim täglichen Einkaufen gehört dazu. Warum also diese Vielfalt bei Dingen, die jeder braucht? Weil auch dort eine Mischung aus kleinen und großen Abweichungen Farbe in den Alltag bringt, der doch eigentlich - auch qua Bezeichnung - eher farblos wirkt. Treffend ist daher der Ausspruch eines Wirtschaftshistorikers: "Früher gab es ein Brot für jeden Geschmack. Heute gibt es für jeden Geschmack ein Brot."
Das Unterschiedsbedürfnis der Menschen ist ohnehin ein fruchtbarer Boden für viele Strategien. Man denke etwa an Botschaften, die den Konsumentenkreis, für den die Produkte bestimmt sind, aktiv definieren und damit bewusste Ausgrenzung an den Tag legen. Modische Kleidung soll zum Beispiel nur an sportlich-aktiven Trägern gesehen werden, die neuesten Gadgets (= Geräte, aber auch Schnickschnack) nur in den Händen junger, moderner Nutzer. Das wiederum führt dazu, dass es in einem nächsten Schritt wiederum das Ablehnen jeglicher Exklusivität ist, die neue Exklusivität verspricht: Die Anti-Status-Strategie, wie sie besonders augenscheinlich von einem Automobilhersteller eingesetzt wird ("… das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen"), setzt auf Bescheidenheit (die gleichwohl unbescheiden daherkommt), die anderen zu fehlen scheint. Konsum lebt offenbar von seltsamen Vergleichen und will durch Grenzziehungen Attraktivität herstellen. Wen wundert es dann noch, dass sich der Begriff "Marke" etymologisch auf das mittelhochdeutsche Wort "marc"= Grenze, Grenzland zurückführen lässt.
Gemeinsam ist letztlich vielen, dass sie etwas gewinnen wollen: Beim Geldausgeben sparen, beim Einkauf Gutes tun, beim Konsum bescheiden bleiben - das alles hat eine betörende Wirkung. Jetzt, mit dem Online-Handel, kommt auch noch die Zeit hinzu, die man glaubt effektiver nutzen zu können. Manchmal ist das auch so: Aber das moderne Home Office macht uns auch zu Kontrolleuren des Versandhandels, Verwaltern von Passwörtern und Pins, Wiederverpackern, Bewertern, Testern, Geschäftskorrespondenten in eigener Sache usw. Man muss deshalb nicht gleich in die Luft gehen. Gelegentlich reicht es aus, einfach mal wieder häufiger an diese zu gehen. Nicht nur Schnäppchen machen, auch mal Luft schnappen.

Professor Michael JäckelExtra

Der Autor des Gastbeitrags, Michael Jäckel (53) ist seit 2002 Professor für Soziologie an der Universität Trier. Medien und Kommunikation gehören zu den wichtigsten Themenbereichen seiner wissenschaftlichen Arbeit. Seit 2011 ist Jäckel Präsident der Uni Trier. DiL

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