Der Geist ist aus der Flasche

Wenn eine Partei versucht, eine andere zu kopieren, dann entscheidet sich der Wähler lieber für das Original. Nun ist es nicht so, dass die CSU die deftigen Töne für sich neu erfunden hätte.

Doch ihr Wahlkampf auf dem Rücken anderer, gegen und nicht für Europa, hat viele Bürger verschreckt - und diese Menschen zum Teil in die Arme des Originals AfD getrieben. Das ist eine Pleite für CSU-Chef Horst Seehofer, und zwar ganz persönlich. Nach der gewonnenen Landtagswahl im vergangenen Jahr ist Seehofer in Berlin aufgetreten wie ein Zampano. Jetzt muss er vorerst deutlich kleinere Brötchen backen. Die Schlappe Seehofers wird der Kanzlerin insgeheim gefallen.
Mehr Gründe zur Freude hat Merkel allerdings nicht. Der Geist ist jetzt aus der Flasche. Mit der AfD scheint sich in Deutschland eine Partei rechts der Union im bürgerlichen Lager zu etablieren, was bei CDU und CSU stets als politischer Supergau angesehen worden ist. Gewiss, wer dort Stimmen fangen will, kann sich schnell bei den Rechtsextremen wiederfinden.
Das haben vor der AfD schon andere Parteien erlebt, zum Beispiel die in den 90er Jahren erfolgreichen Republikaner. Doch die Ausgangslage ist diesmal eine andere: Mit Angela Merkel an der Spitze hat die Union im Bund den Platz rechts der Mitte konsequent frei gemacht und ist nach links gedriftet. Viele in der Union haben das nur deshalb hingenommen, weil die Kanzlerin als Person ihnen die Macht garantiert hat. Und wer von Merkel enttäuscht war, hat sein Kreuz eben bei der FDP gemacht. Die Liberalen sind jedoch als Partei so gut wie tot. In die Lücke stößt nun die AfD. Das macht die Sache für die Kanzlerin so gefährlich.
Strategisch hat die Union noch keine überzeugende Antwort auf die neue Lage. Jetzt werden prompt Stimmen laut, die einer Koalition das Wort reden. Es wäre vordergründig der bequemste Weg für die Union - erdrücken durch umarmen. Aber auch dann würde sich zwangsläufig die Frage nach Original und Plagiat wieder stellen, die zulasten der Union entschieden werden würde. Merkel steckt somit in der Zwickmühle. Verschärft wird die Situation dadurch, dass es bei CDU und CSU weit und breit niemanden mehr gibt, der als Person überzeugend die konservative Flanke abdecken kann.
Wer Merkel kennt, der weiß, was sie nun machen wird: nichts. Es kann ja sein, das die AfD bei den anstehenden Landtagswahlen floppt und an Strahlkraft verliert, wenn sie erst einmal parlamentarisch Politik machen muss. Gut möglich ist auch, dass sich das eitle Personal der Newcomer selbst zerlegt. Wie bei den Piraten. Darauf wird Merkel jetzt setzen. Und abwarten. Passiert das aber nicht, bekommt die Kanzlerin bestimmt ein Problem. Und mit ihr die gesamte Union.
nachrichten.red@volksfreund.de

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