Die Hinhörer

Trier · Jogi Löw zischt, Joschka Fischer knarrt und Christian Wulff presst. Für Angelika Braun sind solche Details in den Stimmen prominenter Sprecher meistens viel interessanter als das, was sie inhaltlich sagen.

Phonetiker hören ganz genau hin
Braun ist seit Oktober 2009 Professorin für Phonetik an der Universität Trier, sie übernahm den Lehrstuhl von „Pionier“ Jens-Peter Koester. Aktuell lassen sich dort 70 Studenten zu Phonetikern ausbilden, und sie lernen vor allem eines: ganz genau hinzuhören. Sie erkennen damit Besonderheiten in der Sprechweise, aus denen sie Rückschlüsse auf die Person ziehen können: Herkunft, Alter, soziale Stellung.

Allgemein beschäftigt sich das Fach Phonetik mit allem, was zur menschlichen Stimme dazugehört: Die Artikulation der Laute, die Übertragung der Schallwellen, die Wahrnehmung des Klangs mit dem Ohr.

Sprecher anhand der Stimme identifizieren

Als fertig ausgebildete Phonetiker haben die Absolventen mehrere Berufsfelder, in denen ihr Wissen dringend gebraucht wird: Wenn etwa in einem Gerichtsverfahren ermittelt werden muss, ob der Angeklagte es war, der telefonisch eine Bombendrohung bei der Polizei bekanntgab. Auch bei der Entwicklung von Spracheingabesoftware für den Computer ist der Rat von Phonetikern kaum ersetzbar. Aber selbst in Musikstudios oder in medizinischen Labors gibt es für sie Aufgaben – eben überall dort, wo Sprache eine wichtige Rolle spielt.

Ermittlung bei Entführung und Geiselnahme

In Trier haben sich die Mitarbeiter auf den Bereich der forensischen Phonetik spezialisiert. Dabei werden in polizeilichen Ermittlungen oder in Gerichtsverfahren Stimmen untersucht und Sprecher identifiziert. Oft hängt der Ermittlungserfolg maßgeblich von den geschulten Ohren des Phonetikers ab. Die Trierer Studierenden profitieren von dieser engen Verzahnung von Forschung und Praxis: Angelika Braun kann ihnen von vielen Fällen berichten, mit denen sie als damalige Mitarbeiterin des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden befasst war.

Die Entführung von Jan Philipp Reemtsma im Frühjahr 1996 ist so einer: Als wissenschaftliche Rätin für Sprechererkennung beim BKA waren die Mitschnitte der Entführer-Anrufe ihre Arbeitsgrundlage. Ein anderes Beispiel waren die Aufzeichnungen der spektakulären dreitägigen Geiselnahme in Gladbeck 1988. In beiden Fällen ging es den Ermittlern darum, aus der Stimme wertvolle Informationen über die Entführer zu gewinnen.

Auch als 1997 ein Flugzeug der Bundeswehr über Südafrika mit einem amerikanischen Transportflugzeug zusammenstieß, oblag ihr die Auswertung des Cockpit-Stimmenrekorders. „Die deutsche Maschine flog damals auf der falschen Höhe, und wir mussten aus dem Funkverkehr herleiten, wie es zu dem Missverständnis kam“, erinnert sich Braun.

Nachweis mit Hilfe des Computers

Doch es sind nicht immer die großen und spektakulären Fälle, bei denen forensische Phonetiker von den Behörden gerufen werden. Auch weniger brisante Ereignisse wie etwa die Havarie eines mit Heizöl beladenen Schiffes auf der Elbe vor mehreren Jahren gehören zum Job. „Man wusste, dass der Kapitän früher einmal ein Alkoholproblem hatte. Und aus den Aufzeichnungen des Funkverkehrs mussten wir dann feststellen, ob er im Zusammenhang mit dem Unfall auch etwas getrunken hatte“, sagt Braun.

Das Ergebnis war eindeutig: „Es gab deutliche Anzeichen dafür. Das Sprechtempo wird langsamer, die Pausen zwischen den Sätzen länger und die Aussprache undeutlicher – übrigens auch schon bei geringen Mengen“.

Mit Hilfe eines Computers gelingt dieser Nachweis eindeutig: Moderne Software kann die Stimme detailliert vermessen und Übereinstimmungen feststellen.

Das Lebensalter prägt die Stimme

„Die Stimme ist aber nicht wie ein Fingerabdruck“, sagt Braun, „sie ist beweglich und verändert sich. Das macht es natürlich anspruchsvoll.“

Die Stimme sagt aber noch viel mehr über den Menschen aus. „Das Lebensalter können wir auf etwa fünf bis zehn Jahre genau schätzen“, sagt Herbert Masthoff, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Phonetik an der Universität Trier. „Auch die regionale Herkunft lässt sich eingrenzen. Wenn ein Sprecher einen Dialekt spricht, dann ist die Schulzeit meist die prägende Phase“, sagt er. Danach ist ein Dialekt kaum mehr abzutrainieren.

Aber auch die soziale Herkunft lässt sich aus der Stimme herleiten: „Das hat dann aber mehr mit der Grammatik und dem Wortschatz zu tun“, sagt Angelika Braun. Besser ausgebildete und sozial besser gestellte Menschen drückten sich korrekter und anspruchsvoller aus als weniger Gebildete.

Dieses Wissen nutzen die Phonetiker – zumeist ungewollt – auch im Alltag. „Wenn der Inhalt eines Gesprächs oder eines Vortrags nicht interessant ist, dann driftet man weg und konzentriert sich auf die Sprache“, sagt Angelika Braun. Herbert Masthoff ergänzt: „Die Blickweise des Phonetikers geht niemals weg. Das konzentrierte Zuhören macht einfach Spaß.“

Insbesondere, wenn man es mit einem zischenden Fußball-Bundestrainer, einem knarrenden Ex-Außenminister und einem pressenden Bundespräsidenten zu tun hat.

Kim-Björn Becker

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