Die Koalitionäre blasen zum Angriff

Berlin · Die Kuschelei ist vorbei. Der Europawahlkampf hat bisher nur wenige Bürger wirklich interessiert. Doch nun keilen die Parteien aus und wollen so Leben in die bevorstehende Abstimmung bringen.

Berlin. "Die SPD soll sich mal an ihre eigene Nase fassen", meinte gestern der Spitzenkandidat der CDU für die Europawahl, David McAllister, zu unserer Zeitung. Endlich nehme der Wahlkampf "überhaupt Fahrt auf", ergänzte seine Parteifreundin, die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Alle Beteiligten seien auch "keine Kinder von Traurigkeit". Zwei Wochen vor der Europawahl setzen die Berliner Koalitionäre jetzt auf das Prinzip Attacke. Das soll die Wähler mobilisieren.
Europawahl 25. Mai 2014


Zuerst polterte am Wochenende die CSU los: Sie bezeichnete den Spitzenkandidaten der europäischen Sozialisten, den SPD-Mann Martin Schulz, als "Geschäftsführer der Schlepperbanden in Afrika". Schulz hatte sich für eine großzügigere Aufnahme von Bootsflüchtlingen ausgesprochen. Außerdem stamme Schulz zwar aus Deutschland, "aber die Stimme und die Inhalte stammen aus den Schuldenländern". Starker Tobak, der gestern SPD-Chef Sigmar Gabriel empörte: Das seien "böse Verunglimpfungen", die Spitzen der Union müssten dafür sorgen, "dass sich das nicht wiederholt".

Doch ein Machtwort der Kanzlerin wird es nicht geben. "Die Sozialdemokraten und Herr Schulz sind auch Freunde der deutlichen Aussprache", konterte CDU-Generalsekretär Peter Tauber nach der Sitzung des Parteipräsidiums in Berlin. Für ein Eingreifen der Kanzlerin sehe er "keine Notwendigkeit". Merkel wird sich auch hüten - sie müsste sich dann mit CSU-Chef Horst Seehofer anlegen. Außerdem dürfte sie wie alle anderen für jeden Schwung im dahindümpelnden Europawahlkampf dankbar sein. Das Interesse der Bürger am Urnengang ist laut Demoskopen weiter mau, es fehlt an inhaltlicher Zuspitzung, wie das Fernseh-Duell zwischen Schulz und dem konservativen Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker gezeigt hat. Also wird jetzt verstärkt ausgeteilt, in der Hoffnung, die Menschen zu mobilisieren, am 25. Mai zur Wahl zu gehen. Nur 17 Prozent der Deutschen würden Schulz kennen, deswegen sei der SPD-Mann wohl "ein bisschen nervös", stichelte Tauber. Auf die Frage, ob denn Juncker bekannter sei, räumte der CDU-General ein: "Die Zahlen sind nicht besser als die von Martin Schulz." Vielleicht sogar schlechter?

Merkel ist zudem ein Dorn im Auge, dass insbesondere Schulz die Europawahl so vehement zur Entscheidung über den nächsten EU-Kommissionspräsidenten stilisiert. Das will sie nicht, schon gar nicht will sie den SPD-Mann in diesem Amt sehen. Ihre Haltung ist, dass es rechtlich gesehen keinen Automatismus gibt, wonach der Wahlsieger den Posten bekommt - also entweder der Sozialist Schulz oder der Konservative Juncker.
Am Ende soll weiterhin das Votum der Staats- und Regierungschefs zählen, auch wenn das Europaparlament den Kommissionspräsidenten wählt. Die SPD warnt Merkel bereits vor Kungelei.
Gemeinsamer Wahlaufruf


Beim Konfrontationskurs der Koalitionäre tut sich allerdings noch eine ganz besondere Kluft auf: die zwischen Christdemokraten und Christsozialen. Die CDU will nicht so extrem zulangen wie die CSU. Außerdem präsentiert sich die kleine bajuwarische Schwester weitaus europakritischer. Am kommenden Montag wollen beide Parteien dennoch einen gemeinsamen Wahlaufruf präsentieren. Man darf gespannt sein, wie das Papier inhaltlich ausfallen wird. "Unser Wahlprogramm ist dick genug, dass sich da Gemeinsamkeiten finden lassen", wurde gestern im Konrad-Adenauer-Haus gespottet.

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