Die Macht des Rockes

Trier · Die Heilig-Rock-Wallfahrt wurde von der Kirche stets dazu genutzt, politische Interessen durchzusetzen, behauptet der Historiker Wolfgang Schieder. Demnach sollte die Ausstellung von 1844 die Bürger beispielsweise von revolutionären Ideen fernhalten.

Deutschland, Anfang des 19. Jahrhunderts. Nach der Französischen Revolution, der napoleonischen Besetzung und den Befreiungskriegen versuchen die europäischen Herrschaftshäuser, ihre Macht zu konsolidieren. Doch besonders im Bürgertum brodelt es: Die Märzrevolution von 1848 kündigt sich an.

Neben Kaiser und Staat fühlt sich auch die Amtskirche vom Vormärz-Gedankengut bedroht. Mit einer Wallfahrt nie gesehenen Ausmaßes versucht sie deshalb im Jahr 1844, ihre Schäfchen um sich zu scharen - und Macht und Einfluss unter Beweis zu stellen. Das behauptet der Geschichtswissenschaftler Wolfgang Schieder in seinem Buch "Religion und Revolution".
Die Heilig-Rock-Wallfahrt von 1844 sollte demnach eine perfekt durchorganisierte Massenveranstaltung werden. Mehr als eine halbe Million Menschen pilgerte nach Trier, einige Quellen sprechen sogar von einer Million. Zum Vergleich: Zu den Demonstrationen des liberalen Bürgertums kamen gerade Mal ein paar Tausend Menschen. Die Kirche behauptete, mit der Wallfahrt eine neue Volkseinheit zu stiften. Auf einer Flugschrift aus dieser Zeit steht: "Was der Freiheitsschwindel über rauchenden Trümmern und Leichen erreichen möchte, hat die Religion vollbracht: Es herrschte brüderliche Gleichheit unter den Tausenden." Doch die Pilger kamen nicht aus allen Gesellschaftsschichten - es waren arme Winzer und Bauern, die nach Trier pilgerten, "blutarme, ungebildete Leute, die ihren letzten Kreuzer nach Trier brachten", wie die bürgerliche Deutsche Allgemeine Zeitung im Oktober 1844 schrieb. Das revolutionäre Bürgertum, die eigentliche Zielgruppe der Kirchenlenker, blieb während der Wallfahrt zu Hause. Und startete vier Jahre später eine Revolution.
Provokation für Reformatoren
Stets habe die Kirche versucht, mit Hilfe der Wallfahrten eigene Ziele durchzusetzen, erklärt Wolfgang Schieder. Zwischen 1517 und 1538 wurde der Rock vier Mal gezeigt - damit wollten die Kirchenführer Stärke gegenüber der aufkommenden Reformationsbewegung beweisen, schreibt der Historiker. Besonders den großen Reformatoren sei die Wallfahrt deshalb gehörig gegen den Strich gegangen. So ließ sich Martin Luther sogar zu der Frage hinreißen: "Was soll diese neue Bescheißerei in Trier mit dem Rock Christi? Was für einen Jahrmarkt hat der Teufel da gehalten und so unselige, falsche Wunderzeichen verkauft?"
Die Wallfahrt von 1655 sollte den Wiederaufstieg der Kirche nach den Erschütterungen des Dreißigjährigen Krieges verdeutlichen. Im Jahr 1810 sollte die Rockausstellung den gelungenen Neuaufbau der Kirche nach der Französischen Revolution unter Beweis stellen. Die Wallfahrt vom Jahr 1891 markiert das Ende des Kulturkampfes mit dem preußischen Staat, der die Kirche viele ihrer Kompetenzen gekostet hatte.
Auch die Wallfahrt von 1959 war nach Ansicht von Schieder ein Machtbeweis: Auf dem Höhepunkt der christlich-demokratischen Regierungsmacht in der Bundesrepublik Deutschland pilgerte sogar Kanzler Konrad Adenauer andächtig nach Trier.
Das Buch "Religion und Revolution - die Trierer Wallfahrt von 1844" ist im SH-Verlag Vierow erschienen.

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