"Ehrgeiz ist bei Angela Merkel nicht festzustellen"

Unverdrossener Wahlkämpfer: SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier setzt ganz auf die Mobilisierung in der Schlussphase. Im Interview mit unserer Zeitung attackiert er erstmals Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

 Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in seinem Büro mit den Berliner Korrespondenten des Trierischen Volksfreunds, Werner Kolhoff (links) und Hagen Strauß. Foto: krohnfoto

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in seinem Büro mit den Berliner Korrespondenten des Trierischen Volksfreunds, Werner Kolhoff (links) und Hagen Strauß. Foto: krohnfoto

Berlin. (wk/has) Mit einer kleinen, sechssitzigen Maschine jettet Frank-Walter Steinmeier derzeit von Wahlkundgebung zu Wahlkundgebung. Sein Amtszimmer im Berliner Außenministerium, in dem er sich mit unseren Korrespondenten Werner Kolhoff und Hagen Strauß zum Interview traf, sieht er nur selten. Und Frau und Tochter allenfalls noch zum Frühstück.

Herr Steinmeier, können die Opelaner nach der Entscheidung von GM zum Verkauf an Magna jetzt aufatmen?

Steinmeier: Die Opel-Beschäftigten bangen seit November vorigen Jahres um ihre Jobs. Sie haben auf Lohn verzichtet, um dem Unternehmen zu helfen. Es war wichtig, dass für die Beschäftigten und ihre Familien wieder Sicherheit und Planbarkeit herrschen. Ich meine, das ist eine gute Entwicklung für die Opelaner.

Sind Sie sicher, dass das Magna-Modell dauerhaft trägt?

Steinmeier:
Wir haben in der Bundesregierung das Magna-Konzept intensiv geprüft. Es hat uns überzeugt, und es wird tragen.

Sie haben sich früh für die Opel-Rettung engagiert, aber Angela Merkel geht mit den Punkten nach Hause. Ärgert Sie das?

Steinmeier: Magna als Investor bei Opel war meine Idee. Die haben wir dann in der Bundesregierung gemeinsam verfolgt. Nur der Wirtschaftsminister irrlichterte zwischendurch immer wieder. Aber wir haben die Absprachen mit Magna gemeinsam durchgesetzt. Das freut mich, weil es ein Erfolg ist.

Warum steckt die SPD Ihrer Meinung nach seit Jahren bei den Umfragen im 25-Prozent-Keller?

Steinmeier: Wir haben sicherlich in der Vergangenheit kein geschlossenes Bild abgegeben und keine genügend klaren Botschaften vermittelt. Weil es zu viele waren, die für die SPD gesprochen haben. Ich finde, das hat sich seit dem Führungswechsel im September vergangenen Jahres erheblich gebessert.

Rechtfertigt das die schlechten Umfragewerte?

Steinmeier: Da verstehen Sie mich ganz falsch. Ich bin mit den Umfragen nicht zufrieden. Das muss besser werden, und die Chancen dafür sind groß. Denn viele Millionen Menschen sind noch unentschieden, wen sie wählen werden.

Ist es aber nicht auch so, dass Sie und der damalige Kanzler Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 der SPD die Identität geraubt haben?

Steinmeier: Eine Situation mit fünf Millionen Arbeitslosen, wie wir sie im Frühjahr 2005 hatten, konnten wir doch nicht einfach hinnehmen. Ohne die damaligen Weichenstellungen wären unsere sozialen Sicherungssysteme heute in der Krise kollabiert. Dass sie Reformpolitik. In der SPD ist damals eine Auseinandersetzung stellvertretend für die ganze Gesellschaft geführt worden. Das musste sein. Aber ich behaupte nicht, dass wir in jeder Sekunde richtig lagen. Bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose haben wir ja auch eine Korrektur vorgenommen

Was entgegnen Sie dem Satz: Hartz IV ist Armut per Gesetz?

Steinmeier: Der Satz ist falsch. Erst die Reformen haben doch dazu geführt, dass Hunderttausende, die früher in der Sozialhilfe keinerlei Anspruch auf Vermittlung und Qualifikation hatten, wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt werden konnten. Ich glaube, dass wir den richtigen Kompass gehabt haben. Unsere Politik hat die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ausbruch der Wirtschaftskrise auf drei Millionen reduziert. Wir haben dafür gesorgt, dass die Krise in Deutschland nicht eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hat.

Wegen der Agenda-Reformen hat sich aber auch eine Partei links von der SPD etabliert. Dass Sie nach der Bundestagswahl 2009 mit den Linken nicht zusammenarbeiten wollen, haben Sie oft erklärt. Aber ist dafür nach 2013 die Zeit gekommen?

Steinmeier: Auf Landesebene gab es eine Koalition mit der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, es gibt sie in Berlin. Aber wenn Sie mich als Außenminister und Kanzlerkandidaten fragen, dann sage ich: In der Bundespolitik hat die Linkspartei in allen entscheidenden und gerade in außenpolitischen Fragen keinerlei Verantwortung gezeigt. Mindestens genauso besorgniserregend ist ihr anti-europäischer Kurs, der in den letzten Jahren immer populistischer geworden ist. Ich weiß nicht, welche Entwicklung die Linkspartei nehmen wird oder nehmen will. Mit dieser Linkspartei geht gar nichts zusammen.

Wäre eine Annäherung leichter, wenn Oskar Lafontaine von der politischen Bühne abtreten würde?

Steinmeier: Mein Eindruck ist, dass innerhalb der Linkspartei die populistischen Haltungen in der Außen- und Europapolitik nicht nur von Lafontaine vertreten werden.

Im Wahlkampf warnen Sie vor Schwarz-Gelb, in der Sozialpolitik nicht umgesetzt werden. Warum soll Schwarz-Gelb so schlimm sein?

Steinmeier: In einer schwarz-gelben Koalition wird es nicht allein an Frau Merkel hängen. Es ist doch völlig klar, dass in einem solchen Bündnis der Wirtschaftsflügel der Union und maßgebliche Ministerpräsidenten der CDU eine marktradikale Politik viel stärker einfordern werden und auch durchsetzen können. Und zwar mit Hilfe der FDP. Es werden sich noch alle wundern in diesem Land, wie schnell dann die CDU wieder zu ihren alten neoliberalen Programmen finden wird. Und Frau Merkel immer vorneweg.

Aber Sie wollen selbst mit der FDP in einer Ampel regieren. So schrecklich kann Westerwelle ja wohl nicht sein.

Steinmeier: Erinnern wir uns an 2005: Das Erste, was wir damals mit der Union gemacht haben, war die Vereinbarung, Kündigungsschutz, Tarifautonomie und Mitbestimmung nicht anzutasten. Wenn nach dem 27. September eine Dreierkonstellation notwendig ist, wird es genauso laufen. Das ist auch Guido Westerwelle klar....

...der aber eine Ampel ausgeschlossen hat. Hoffen Sie, dass er nach der Wahl umfällt?

Steinmeier: Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass Union und Liberale eine schwarz-gelbe Regierung wollen. Sie wird aber nicht zustande kommen. Gedulden wir uns ein wenig und lassen erst mal die Wähler entscheiden

Wenn die Wähler so entscheiden sollten: Stehen Sie auch als Vizekanzler einer neuen Großen Koalition unter Merkel zur Verfügung?

Steinmeier: Ich kämpfe für eine starke SPD. Für eine Regierung, in der die SPD führt. Über anderes denke ich erst zur rechten Zeit nach.

Viele Wähler entscheiden sich ja erst in den letzten Wochen. Worauf wird es jetzt noch bis zum 27. September ankommen?

Steinmeier: Die Zahl derjenigen, die die Wahl schon für Schwarz-Gelb als entschieden ansehen, nimmt kontinuierlich ab. Ich hoffe, das geht einher mit einer wachsenden Zahl derer, die auch zur Wahl gehen.
Wenn es eine hohe Wahlbeteiligung gibt, gibt es auch eine starke SPD. Die Veranstaltungen sind voller als vor vier Jahren, die Menschen sind neugierig auf unsere Antworten.

Trotzdem will die Mehrheit der Bürger nicht Sie als Kanzler, sondern Merkel als Kanzlerin.

Steinmeier: Es geht doch nicht nur um die Spitzenpersonen, sondern vor allem um die Richtung von Politik. Und die wird unter einer schwarz-gelben Regierung eine andere sein als die, für die ich mit der SPD stehe. Mit Schwarz-Gelb gäbe es keine Konjunkturpakete, keine Kurzarbeiterregelungen, keine Umweltprämie. Da können Sie sicher sein. Aber ich reduziere die Gestaltung von Politik nicht auf Krisenmanagement. Meinen Deutschlandplan mit dem Ziel der Vollbeschäftigung in zehn Jahren habe ich bewusst im Wahlkampf zur Diskussion gestellt. Wir müssen mit ehrgeizigen Zielen in das nächste Jahrzehnt gehen. Wer das nicht tut, bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Hat Angela Merkel diesen Ehrgeiz nicht?

Steinmeier: Das Unions-Programm ist ein Notprogramm. Und Frau Merkel hat das Ziel der Vollbeschäftigung als unredlich bezeichnet. Insofern ist es tatsächlich so: Ehrgeiz zur Gestaltung ist bei ihr nicht festzustellen.

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